Internationale Solidarität - »Wir sehen, dass alle Regierungen die Mittel kürzen«
20.06.2022 I Die Bedingungen für Gewerkschaftsarbeit im Globalen Süden sind besonders prekär. Deshalb arbeiten die Kolleg_innen mit Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungsorganisationen zusammen. Aber es gibt auch sogenannte TUSSO – Trade Union Solidarity Support Organisations – wie Mondiaal FNV. Geschäftsführerin Karen Brouwer erklärt, welchen Mehrwert sie haben.
Nord | Süd news: Welchen Ursprung hat Mondiaal FNV?
Karen Brouwer: Mondiaal FNV ist eine Stiftung des Niederländischen Gewerkschaftsbundes FNV und vor etwa 50 Jahren aus dem tief empfundenen Gefühl entstanden, dass wir Organisationen und vor allem Gewerkschaften im Globalen Süden unterstützen müssen, also aus gewerkschaftlicher Solidarität. In den Niederlanden hat zu dieser Zeit das Außenministerium begonnen, diese Arbeit zu unterstützen. Es ist auch heute an Projekten von Mondiaal FNV beteiligt.
Was genau macht Mondiaal FNV?
Am Anfang ging es um Nord-Süd-Kooperation: Organisationen aus dem Norden spenden Geld oder helfen Menschen im Süden. Das hat sich geändert. Natürlich kommt immer noch viel Geld aus dem Norden, weil wir hier Zugang zu Geldern haben. Aber heute sind die Projekte in Kooperation miteinander angelegt. Es geht um Zusammenarbeit, nicht um einfache Hilfe. Wir sagen: Es ist nicht in Ordnung, dass die Menschen im Norden entscheiden, wer Geld bekommt oder was damit gemacht wird. Die Organisationen im Süden sind selbst dazu in der Lage, zu entscheiden, welche Art von Arbeit benötigt wird. Die Eigenverantwortung des Südens für Projekte ist notwendig.
Auch andere internationale Organisationen unterstützen die Gewerkschaftsarbeit im Globalen Süden. Warum braucht man zusätzlich TUSSO?
Wir haben eine wirklich einzigartige Rolle. Wir sind nicht einfach nur eine Nichtregierungsorganisation (NRO). Wir stammen aus den Gewerkschaften und sind enger mit ihrer Arbeit verbunden als NROs. Wir arbeiten im Namen der Beschäftigten und haben Verbindungen zur Gewerkschaftsbewegung und zu den Arbeitnehmenden. NROs entscheiden, ob sie in ein Land gehen oder zu einem speziellen Thema arbeiten. Für Gewerkschaftsunterstützungsorganisationen ist der Prozess anders. Wir müssen uns erst mit den Arbeitnehmenden und den dortigen Gewerkschaften verständigen und die Grundlagen schaffen, bevor wir mit der Arbeit beginnen können.
Mondiaal FNV unterstützt Projekte in Afrika, Nahost, Asien und Lateinamerika. Worum geht es dabei?
Gemeinsam ist den Projekten, dass es um die Verbesserung der Arbeitnehmerrechte und die Schaffung starker Gewerkschaften geht. Egal, ob wir Frauen in Indien unterstützen, die beim Recycling von Produkten aus der Schiffsabwrackindustrie arbeiten, den Aufbau einer Baugewerkschaft in Malawi oder Arbeiter_innen in der Obst- und Gemüsebranche oder eine Seefahrer_innengewerkschaft in Peru. Wir arbeiten auch im Textilbereich in Bangladesch. Diese große Bandbreite ist möglich, weil wir sehr flexibel sind. Wir haben verschiedene Einkommensquellen. Wir erhalten als gewerkschaftliche Solidaritätsorganisation von der Stiftung einen Prozentsatz der Mitgliedsbeiträge, um mit den Mitgliedern des Trägers Projekte auf den Weg zu bringen. Außerdem unterstützt das Außenministerium unsere Projekte. Wir haben ein Programm mit dem Außenministerium, in dem wir uns auf den sozialen Dialog fokussieren, auf Arbeitnehmer_innenrechte und die Schaffung nachhaltiger Lieferketten.
Was sind aktuell die größten Herausforderungen für Ihre Organisation?
Die Pandemie hat gezeigt, dass es in einer Welt mit hoher Einkommensungleichheit noch viele Unterschiede gibt. Viele Menschen haben keine Sozialversicherung. Wenn etwas passiert, stehen sie ohne Einkommen, ohne Ressourcen und ohne Unterstützung da. Wir müssen uns auf diese großen Probleme konzentrieren. Ein weiteres Problem: Die Gewerkschaftsmitgliedschaft schrumpft. Das bedeutet auch, dass wir über unsere Unterstützungsbasis nachdenken müssen. Wie stellen wir sicher, dass unsere Mitglieder unsere Arbeit kennen, und wie gewinnen wir Mitglieder für Gewerkschaften? Wir sehen, dass alle Regierungen die Mittel kürzen. So wird das Geld für die internationale Entwicklung immer weniger.
Was ist in dieser Lage erforderlich?
Es ist sehr wichtig, die Kräfte zu bündeln. Wir müssen uns andere Wege überlegen, um unsere Arbeit fortzusetzen. Es gibt viele Organisationen, die in ähnlichen Bereichen arbeiten. Wie können sie sich gegenseitig nutzen, um effektiver zu werden? Als TUSSO können wir darüber sprechen, auf welche Weise wir zusammenarbeiten, damit wir als gewerkschaftliche Unterstützungsorganisationen mehr Wirkung erzielen können. Wenn wir als Gewerkschaften etwas bewirken wollen, müssen wir sicherstellen, dass wir etwas Größeres schaffen als die Summe der einzelnen Teile.
Die Interviewte: Karen Brouwer ist Managing Director, eine Art Geschäftsführerin, bei Mondiaal FNV.)
Die Interviewerin: Anja Krüger ist Journalistin und lebt in Berlin