Aus den Projekten: Zusammen gegen Ausbeutung
In Singapur sind Hausangestellte immer wieder sexueller Gewalt ausgesetzt. Die Videoüberwachung selbst im Schlafzimmer ist üblich. Gewerkschaften wollen die Arbeitsmigrantinnen stärken.
Der grausame Fall von Moe Moe Than hat über die Grenzen Singapurs hinaus ein Schlaglicht auf die »moderne Sklaverei« geworfen, die Arbeitsmigrantinnen in Singapur immer wieder ausgesetzt sind. Die junge Birmanin wurde als Haushaltshilfe von ihren Arbeitgebern missbraucht, mit einem Bambusstock verprügelt, gezwungen, ihr eigenes Erbrochenes zu essen und nur in Unterwäsche zu putzen. Than gelang die Flucht, fand für zwei Jahre Zuflucht bei der Organisation »Humanitarian Organization for Migration Economics« (HOME), mit deren Hilfe sie ihre Arbeitgeber vor Gericht brachte. Der Mann und die Frau wurden jetzt zu je drei Jahren Gefängnis und zur Zahlung eines Schmerzensgelds an ihr Opfer in Höhe von umgerechnet 9.000 Euro verurteilt.
Der Fall von Moe Moe Than ist kein Einzelschicksal. Immer wieder werden in Singapur Fälle von körperlichen Misshandlungen und sexuellen Übergriffen an Hausangestellten bekannt. Alltäglich sind die Zahlung zu geringer Löhne, Verweigerung eines freien Tags in der Woche, Konfiszierung von Handys und Pässen, permanente Videoüberwachung selbst im Schlafzimmer der Hausangestellten, unmenschliche Unterbringung, extrem lange Arbeitszeiten.
Eine_n Hausangestellte_n zu haben ist längst nicht mehr das Privileg der ›crazy rich Asians‹, sondern längst auch ein »Status«symbol der Mittelklasse in Singapur dank der extrem niedrigen Löhne für Hausangestellte. Rund 250.000 Hausangestellte aus Kambodscha, Myanmar, Indonesien und von den Philippinen arbeiten in dem Stadtstaat mit 5,6 Millionen Einwohnern. In Singapur sind sie weitgehend rechtlos, weil die Arbeitsgesetzgebung nicht für Arbeitsmigrant_innen gilt. Im jährlichen Bericht über den internationalen Menschenhandel der US-Regierung stehe Singapur weiterhin auf der Stufe 2 (von vier), klagte Ende Juli 2019 HOME und kritisierte: »Die Regierung hat bedeutsame Schritte unternommen, um das Problem anzugehen. Aber sie erfüllt noch immer nicht völlig die internationalen Standards.«
Das autoritär regierte Singapur ist ein schwieriges Pflaster für Arbeitsmigrant_innen. »Anders als in Malaysia oder Hongkong haben wir in Singapur kein Netzwerk, das uns bei der gewerkschaftlichen Organisierung unterstützt«, sagte Joanna Nice Coronacion, stellvertretende Generalsekretärin des Gewerkschaftsdachverbands Sentro der Philippinen, telefonisch aus Manila. Im Rahmen des Projekts »Internationale Migration von Hausangestellten« des DGB Bildungswerk Bund bringt Sentro jetzt aber migrierenden philippinischen Hausangestellten bei, sich zur Durchsetzung ihrer Rechte gewerkschaftlich zu organisieren.
Wichtige Grundlagen sind auch dafür die Übereinkommen 189 über Standards der menschenwürdigen Arbeit für Hausangestellte der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) sowie das in diesem Juni verabschiedete ILO-Übereinkommen 190 als erster internationaler Standard zum Schutz von Arbeitnehmenden vor Gewalt und sexuellen Übergriffen. Die ILO-Übereinkommen werden allerdings nur wirksam, wenn sie von den ILO-Mitgliedsländern ratifiziert werden. Singapur ist zwar ein ILO-Mitglied, hat aber nicht das Übereinkommen 189 ratifiziert.
Der »Export« von Arbeitskräften ist in Asien ein Riesengeschäft, dessen Grundsätze gar in bilateralen Abkommen zwischen den Regierungen der Herkunfts- und Zielländer geregelt wird, die leider kaum Schutz für die Arbeitsmigrant_innen bieten. Nach Angaben von Migrante International arbeiten derzeit rund 15 Millionen Filipinos in 239 Ländern. 2018 überwiesen sie laut der philippinischen Zentralbank umgerechnet knapp 30 Milliarden Euro an ihre Familien zu Hause und trugen damit zehn Prozent zum Bruttosozialprodukt bei.
Joanna Coronacion von Sentro mag zwar in diesem Zusammenhang den Begriff »Export« nicht, gesteht aber traurig, dass er die Realität korrekt wiedergibt. »Es gibt bei uns weder genügend Arbeitsplätze noch eine auf die Schaffung von Arbeitsplätzen ausgerichtete Wirtschaftspolitik.«
Also bleibt Sentro nichts anderes übrig, als die Hausangestellten im Ausland gewerkschaftlich zu organisieren, auch in Singapur. Von Sentro ausgebildete Hausangestellte klären vor Ort ihre Kolleginnen über ihre Rechte auf. Zum Beispiel in der Shopping Mall Lucky Plaza in der Orchard Road, wo sich immer wieder sonntags, dem arbeitsfreien Tag der Hausangestellten, Tausende Filipinas an Wechselstuben Geld an ihre Familien überweisen, shoppen gehen und Klatsch und Tratsch austauschen. Coronacion sagt kämpferisch: »An ihrem freien Tag können die Hausangestellten ja machen, was sie wollen. Auch Kolleginnen für eine zukünftige Gewerkschaft rekrutieren. Wenn langfristig genügend mitmachen, kann die Regierung das nicht mehr ignorieren.«
Autor: Michael Lenz arbeitet als Korrespondent in Singapur
September 2019