Kampf gegen Asbest »Und wer wird krank? Die Armen!«
09.12.2022 I Jedes Jahr sterben schätzungsweise 200.000 Arbeiter_innen wegen Asbest. In Ländern wie Brasilien, die den hochgiftigen billigen Baustoff verboten haben, wird er noch verwendet. Warum ist der Kampf gegen ein weltweites Aus so schwierig?
Es ist ein drastisches Bild: »In Brasilien und in aller Welt ernährte die Asbestindustrie ihre Maschinen mit Menschenfleisch«, schreibt Eliane Brum, die viel über das Thema publiziert. »Sie wussten, was sie taten. Trotzdem taten sie es. Und sie tun es noch heute.« Schauplatz des millionenfachen Dramas, das die prominente brasilianische Journalistin so beschreibt, ist der Globale Süden.
»In Brasilien und in aller Welt ernährte die Asbestindustrie ihre Maschinen mit Menschenfleisch« (Eliane Brum)
Crecentia Mofokeng von der Bau- und Holzarbeiter-Internationale kämpft in Afrika für ein weltweites Verbot des hochgiftigen, aber sehr preiswerten Faserbaustoffs. Die meisten afrikanischen Länder hätten Asbest noch nicht verboten, meint sie. Und sagt: »Asbest ist billig, und wer wird krank? Die Armen.« Das interessiere wenige, der Kampf sei darum so schwierig.
Herstellung von asbesthaltigen Wellblechdächern im Bundesstaat São Paulo (2016)
Das ist auch in Lateinamerika nicht anders. Dort haben bisher auch nur sechs Länder ein Asbestverbot verhängt: Argentinien, Uruguay, Chile, Honduras, Brasilien und Kolumbien. Und auch das heißt noch nicht, dass Asbest dort völlig verschwunden ist. Dabei hält auch die Weltgesundheitsorganisation ein Verbot des Stoffes für alternativlos, da Jahr für Jahr weltweit grob geschätzt 200.000 Arbeiter_innen an Asbest-Erkrankungen wie Asbestose, dem bösartigen Mesotheliom-Tumor oder Lungenkrebs sterben. Die Dunkelziffer ist hoch. »Oft treten die Krankheiten mit jahrzehntelanger Verzögerung auf«, sagt der Ex-Metaller Carlos Aparício Clemente aus dem brasilianischen Osasco. Der industrielle Vorort der Megametropole São Paulo ist das brasilianische Zentrum des politischen und juristischen Widerstands gegen Eternit und andere Firmen, deren Arbeiter_innen durch Asbest am Arbeitsplatz vergiftet wurden. Der 66-jährige Clemente ist seit 1979 dabei und hat seine Erfahrungen gemacht.
Jahr für Jahr sterben weltweit, grob geschätzt, 200.000 Arbeiter_innen an Asbest-Erkrankungen wie Asbestose, dem bösartigen Mesotheliom-Tumor oder Lungenkrebs. Die Dunkelziffer ist hoch.
Als in den 1990ern Gewerkschaften in aller Welt Asbestverbote forderten, stellten viele Unternehmen aus der Baubranche und Bremsenfabriken langsam auf giftfreie Ersatzstoffe um. Eternit schloss die Fabrik in Osasco. Schließlich verfügte der Oberste Gerichtshof 2017 das Verbot in Brasilien. Nur: Es werde immer noch oft unterlaufen, berichtet Clemente, »so gibt es viel zu wenige Inspekteure des Arbeitsministeriums«. Und: Trotz des Verbotes ist Brasilien nach Russland, Kasachstan und China nach wie vor der viertgrößte Asbestexporteur.
Denn im zentralbrasilianischen Minaçu ist noch immer eine Weißasbestmine in Betrieb. Regionalpolitiker_innen setzten dem Verbot ein eigenes Gesetz entgegen, der Abbau geht weiter. Die Eternit-Tochter Sama bestreitet, dass es Gefahren durch Asbest gebe, verweist auf Arbeitsplätze und den angeblich »sicheren Gebrauch« des Faserstoffs. Die dortige Gewerkschaft wird vom Unternehmen finanziert. Sie widerspricht nicht.
Brasilianische Dokumentarfilmer deckten unlängst auf, dass kranke Mitarbeitende Ablasszahlungen erhielten, Politiker mit üppigen Wahlkampfspenden unterstützt wurden, Professorinnen Studienaufträge bekamen und dann im Sinne der Asbestlobby publizierten. »Asbestexporteure und -importeure in aller Welt betreiben eine systematische Desinformationspolitik«, erklärt Fernanda Giannasi. Sie war früher im brasilianischen Arbeitsministerium Arbeitsinspektorin – und ist das bekannteste Gesicht der Anti-Asbest-Bewegung in Brasilien. Bei den Entschädigungen der Opfer und der Entsorgungsproblematik stehe man noch ganz am Anfang. Warum die Mine immer noch funktioniert? »Die Sache liegt schon lange beim Obersten Gericht«, weiß Giannasi. »Aber der Vorsitzende nimmt sie einfach nicht auf die Tagesordnung.«
»Asbestexporteure und -importeure in aller Welt betreiben eine systematische Desinformationspolitik«
(Fernanda Giannasi)
Auch der kolumbianische Gewerkschafter Miguel Ángel Hernández, der sich seit 43 Jahren um Gesundheitsschäden am Arbeitsplatz kümmert, verweist auf die starke Lobby der Asbesthersteller. In Kolumbien ist erst Anfang 2021 ein Verbot in Kraft getreten. Die einzige Asbestmine des Landes hat auf den Abbau von Talkum umgestellt. Doch noch immer sind giftige Wellblechdächer in Armenvierteln beliebt. In Sibaté, einer Kleinstadt bei Bogotá, wo Abfälle der lokalen Eternit-Fabrik im ganzen Ort verbaut wurden, liefen die Klagen Betroffener gegen den Multi und den kolumbianischen Staat ins Leere. Immerhin hätten Arbeiter_innen, die einen gesundheitsgefährdenden Job hinter sich haben, nun Anspruch auf eine Sonderrente wegen »Spezialrisiken«, sagt Hernández.
Nilton Freitas aus Brasilien ist Regionalbeauftragter der Bau- und Holzarbeiter-Internationale für Lateinamerika. Er betont, die Verbote in verschiedenen Ländern und die weitgehende Reduzierung des Schadstoffs in der Produktion seien große Erfolge gewesen. So sei das Thema zuletzt in den Hintergrund gerückt. Doch nun sei es an der Zeit, wieder zu kämpfen. Er sagt: »Jetzt haben wir wieder Arbeitsgruppen gebildet, etwa zum Rückbau von Asbest. Ohne Druck und weitere Verbote wird die Lobby nicht nachgeben.«
Autor: Günther Michahelles lebt seit vielen Jahren als Journalist in Lateinamerika, aktuell in Buenos Aires.
NORD I SÜD news IV/2022 >> zum Newsletter anmelden
Links: Film zum Asbestproblem
https://programm.ard.de/?sendung=287244000765403&
Gefordert: Weltweites Asbestverbot
https://www.unia.ch/de/arbeitswelt/von-a-z/internationale-kampagnen/stopp-asbest-weltweit