Just Transition nach Glasgow: Klimaschutz wird offiziell gerecht
17.12.2021 I Auf dem Weg zur klimaneutralen Gesellschaft muss das Soziale mitgedacht werden. Diese Erkenntnis hat nun Eingang in die Ergebnisse der Weltklimakonferenz in Glasgow gefunden. Wie es konkret gehen kann, soll sich jetzt in Südafrika zeigen. Doch bleiben noch Fragen – etwa bei der Finanzierung.
Anfang August 2021 ging im Norden Südafrikas das 4.700-Megawatt-Kraftwerk Medupi ans Netz, eins der größten Kohlekraftwerke weltweit überhaupt. Deutsche Firmen wie Siemens verdienten kräftig mit, gesponsert dank Export-Bürgschaften auch durch den deutschen Staat. Drei Monate später, Anfang November, stehen Südafrikas Kohlekraftwerke erneut im Fokus, diesmal auf dem Weltklimagipfel in Glasgow.
Die USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und die EU heben eine Energiepartnerschaft aus der Taufe. Sie wollen Südafrika beim Ausstieg aus der Kohleverstromung unterstützen. Klimaschützer_innen allerdings witzelten: Mit neuen Milliarden verbrennen die Industrieländer ihre alten Milliarden, die sie zuvor in die fossilen Projekte gesteckt haben. Zugleich zeigt das Vorhaben aber, wie die Kohleausstiegsklausel umgesetzt werden soll, die der Klimagipfel beschlossen hat.
Mit der Klausel werden die Länder aufgefordert, saubere Stromerzeugung und Energieeffizienz rasch auszuweiten und ihre Bemühungen zu beschleunigen, schrittweise aus der Kohleverstromung auszusteigen. Zugleich gelte es, heißt es dort, die Ärmsten und Schwächsten gezielt zu unterstützen und die Notwendigkeit eines »gerechten Übergangs (Just Transition)« anzuerkennen.
Wie die Transformation des Kohlesektors in Südafrika angegangen werden soll, ist »prinzipiell richtig«, auch weil die Beschäftigten eine große Rolle spielen, sagt Jan Philipp Rohde. Er ist beim DGB-Bundesvorstand für Umwelt-, Klima und Nachhaltigkeitspolitik zuständig. Das sei »beileibe noch nicht überall der Fall«. Rohde verweist auf die schon bestehende Energiepartnerschaft zwischen Chile und Deutschland. In Chile waren Gewerkschaften bisher nicht nur bei der Gestaltung der Transformation ausgeschlossen – sie hatten sogar mit Repressalien zu kämpfen. »Das ist alles andere als Just Transition«, kritisiert Rohde.
Dennoch sagt Rohde: »Bei den meisten Regierungen ist die Botschaft angekommen: Eine reine Debatte um Treibhausgas-Minderungen reicht nicht aus.« Die Transformation zur Klimaneutralität werde künftig einen enormen Druck auf alle Bereiche der Wirtschaft und Arbeitswelt ausüben: »Wenn wir in die tiefe Dekarbonisierung einsteigen, wird es ohne die Strategien der Just Transition nicht gehen.« Ziel sei es, die Welt des Klimaschutzes und die der Arbeit miteinander zu verknüpfen.
Der DGB-Experte hebt die vom Weltklimagipfel beschlossene Erklärung »Supporting the Conditions for a Just Transition Internationally« hervor. Diese haben die USA, Großbritannien, Kanada, Neuseeland, die EU, Deutschland und weitere europäische Länder unterzeichnet.
Die Staaten erkennen in dem Papier an, dass der Klimawandel unverhältnismäßig stark diejenigen trifft, die in Armut leben. Sie erklären, dass er wirtschaftliche, geschlechtsspezifische und andere soziale Ungleichheiten verschärfen könne, darunter auch diejenigen, die aus Diskriminierung aufgrund von Rasse und ethnischer Zugehörigkeit resultieren. Und sie schreiben, dass der Übergang zu »Net Zero CO2«, zu null Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid, vor allem die Beschäftigten, Sektoren, Städte und Regionen treffen werde, die heute noch auf kohlenstoffintensive Industrien und Produkte angewiesen sind.
Der Begriff »Just Transition« findet sich inzwischen in immer mehr nationalen Klimastrategien, den Nationally Determined Contributions, NDCs. Mit diesen NDCs verpflichten sich die Länder zu einem bestimmten Beitrag, um das Pariser Klimaabkommen umzusetzen und die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. 79 der insgesamt 197 Länder, die das Pariser Abkommen unterschrieben haben, haben das Just-Transition-Konzept bereits darin aufgenommen. Das zeigt eine im Oktober 2021 veröffentlichte Studie (»Just Transition in National Climate Plans«) des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Darin heißt es allerdings auch, dass es sich bei »Gerechtigkeit« und »Übergang« nur um eine Phrase handeln könne. Insbesondere Akteur_innen, die kein Interesse an sozialer Gerechtigkeit, organisierten Beschäftigten und Gewerkschaften hätten, neigten dazu, Just Transition als »Modewort« zu verwenden. Studienautorin Christiane Beuermann vom Wuppertal Institut plädiert darum zum Beispiel dafür, in den NDCs auch Berichte zu Just Transition Prozessen zu fordern. »Das würde dem Thema mehr Priorität geben und ein Signal sein, dass sich die Staaten mit Just Transition stärker auseinandersetzen und entsprechende Prozesse anstoßen.«
Bei alldem stellt sich vor allem für ärmere Länder die Frage, wie die soziale Transformation finanziert werden kann, wenn selbst für Südafrika, das wirtschaftliche stärkste Land Afrikas, mehr als umgerechnet 7,5 Milliarden Euro von außen zugeschossen werden müssen.
Expertin Beuermann erwartet, dass es bei der internationalen Klimafinanzierung künftig viel stärker auch um die sozialen Prozesse gehen wird. Dass die Industrieländer zum Weltklimagipfel ihre alte Ankündigung wieder nicht eingehalten haben, ab 2020 jedes Jahr 100 Milliarden Euro für ärmere Länder zur Bekämpfung des Klimawandels bereitzustellen, habe in Glasgow für viel Verdruss gesorgt, sagt sie. Im Prinzip hätten die Industrieländer aber mit der Formulierung »recognizing the need for support« in der Abschlusserklärung des Glasgower Klimapaktes anerkannt, dass Just Transition mit Finanzierungsfragen verbunden ist.
Auch DGB-Experte Rohde sieht in der Klimafinanzierung durch die Industrieländer den entscheidenden Hebel für die Just Transition. Da gehe es weniger um bilaterale Lösungen, sondern um einen großen internationalen Fonds, sagt er.
Wie schnell und wie sozial sich die Transformation in Südafrika vollziehen wird, lässt nicht voraussagen. Die ursprünglich geplanten 50 Jahre Laufzeit wird das Kohlekraftwerk Medupi aber auf keinen Fall erleben.
Der Autor: Jörg Staude ist Journalist in Berlin. Er beschäftigt sich tagtäglich mit Fragen der Erderhitzung.