Gewerkschaftsbewegung weltweit: Belarus - Repression und Widerstand
20.06.2022 I Das belarussische Regime treibt die Zerschlagung der unabhängigen Gewerkschaften voran.
Ihre Anwesenheit sei »eine völlige Farce«, schimpfte Atle Høie auf der 110. Internationalen Arbeitskonferenz Anfang Juni in Genf. Høie ist Generalsekretär des globalen Industriegewerkschaftsbundes IndustriALL – und seine große Verärgerung galt dem belarussischen Regime.
Neben den Delegierten der Arbeitnehmenden und der Arbeitgebenden war zwar auch eine achtköpfige Abordnung der Regierung aus Minsk angereist, wo der Ausschuss zur Einhaltung der Arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO von ihr auch Antworten zu Berichten über die Unterdrückung der unabhängigen Gewerkschaften in Belarus erwartete. Doch noch während der Konferenz trieb Minsk die Zerschlagung der Bewegung zu Hause weiter. Generalstaatsanwalt Andrej Schwed beantragte beim Obersten Gerichtshof die Auflösung der meisten unabhängigen Gewerkschaften – des Belarussischen Kongresses der Demokratischen Gewerkschaften (BCDP), der Freien Gewerkschaft von Belarus (SPB), der Freien Gewerkschaft der Metallarbeiter (SPM), der Weißrussischen Unabhängigen Gewerkschaft der Bergleute, Chemiker, Ölraffinerien, Energieingenieure, Transportarbeiter, Bauarbeiter und anderen Arbeitern (BNP) sowie der Belarussischen Gewerkschaft der Arbeitnehmer der Radio- und Elektronikindustrie (REP). Schwed warf ihnen vor, dass sie »politisch tätig« und ihre Führer an »zerstörerischen Aktivitäten« beteiligt seien.
Die Regierungsvertreter_innen hätten keinerlei Absicht gehabt, den Ausschuss ernst zu nehmen, sagte Høie. Es geht vor allem um die Missachtung der Konvention 87, dem Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts, das zu den ILO-Kernarbeitsnormen gehört. In Belarus ist es seit 1956 in Kraft. Bereits 2004 zeigte ein erster Untersuchungsbericht der UN-Sonderorganisation Missstände auf. Inzwischen hat die belarussische Regierung nicht nur die Arbeitsrechte weitgehend geschliffen, sondern auch die Gewerkschaftsbewegung immer weiter unterdrückt. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Minsk nun immer mehr Gewerkschaftsvorsitzende und andere Aktive inhaftiert. Anfang April stufte der Staatsschutz zunächst die REP als »extremistisch« ein.
Als »Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat«, schätzt Maria Taradetskaja von der SPB einen Auftritt von Staatspräsident Aleksandr Lukaschenko von Mitte April ein, bei dem dieser »mehr Repression« forderte. Anlass war der zunehmende Widerstand der belarussischen Bevölkerung gegen eine aktive Beteiligung am russischen Krieg, der sich in Sabotageakten und Hackerangriffen an und auf Infrastruktur äußert.
Taradetskaja war damals stellvertetende Vorsitzende der Gewerkschaft. Sie studierte gerade in Berlin und plante, bald nach Belarus zurückzukehren. Doch direkt nach Lukaschenkos Äußerung schlug der Staatsschutz dort zu. 20 Gewerkschafter_innen wurden verhaftet, mehrere Büros durchsucht. Anfang Juni waren 10 der Aktiven immer noch in Haft. Taradetskaja führt den Kampf nun von Berlin aus weiter.
Der ILO-Ausschuss für die Anwendung der Normen erklärte seine »tiefste Besorgnis« in einer Resolution und forderte die Freilassung aller inhaftierten Gewerkschaftsführer_innen. Bis zum 1. September soll Minsk zudem in Absprache mit den Sozialpartnern einen Bericht vorlegen, »der Informationen über die Anwendung des Übereinkommens in Recht und Praxis« enthält.
Autorin: Beate Willms