Gendergerechtigkeit und (Aus)Bildung in Ghana: »Den Fernseher belegt der Vater mit Beschlag«
Die Coronapandemie bedeutet einen schweren Rückschlag für die (Aus-)Bildungschancen von Mädchen und jungen Frauen. Wer in Ghana nicht mehr zur Uni oder in die Lehre gehen kann, ist schnell zu Hausarbeit verdammt – und teilweise zu noch Schlimmerem.
Nord | Süd news: Ghana hat sein Bildungswesen stark ausgebaut und verbessert. Auch außerhalb der großen Städte und dem stärker entwickelten Süden sind neue Schulen, Ausbildungsstätten und Hochschulen entstanden. Hat das auch geholfen, die Lücke zwischen den Geschlechtern zu schließen?
Agnes Atia Apusigah: In der Grundstufe besuchen inzwischen genauso viele Mädchen wie Jungen die Schule. Ab der Mittelstufe betragen die Unterschiede aber immer noch bis zu 30 Prozent, der Übergang an die Hochschulen ist vor allem für Mädchen aus benachteiligten Familien immer noch sehr schwierig. Aber es gibt Lichtblicke, etwa die Einführung von Fernunterricht, Unterrichtsmodule sowie Abend- und Wochenendprogrammen, an denen auch junge Frauen teilnehmen können, die Kinder haben oder nebenbei Geld verdienen müssen.
Haben sich auch die Chancen auf berufliche Ausbildung verbessert?
Das ist ein wichtiger Teil der Bildungsoffensive. Es wurde in die Institutionalisierung und Formalisierung auch der beruflichen und technischen Ausbildung investiert, die etwa an technischen Instituten oder Berufsschulen angeboten wird. Zudem hat der Staat Ausbildungszentren eingerichtet, auch Frauenausbildungszentren. Hinzu kommen informelle Schulungsmöglichkeiten, die von den Branchenverbänden organisiert werden. Hier können auch junge Menschen Berufe erlernen, die keinen Schulabschluss oder kein Geld fürs Studium haben. Obwohl es hier Initiativen gibt, Mädchen und Frauen auch für traditionell von Männern dominierte Bereiche zu interessieren, konzentrieren sich die meisten aber immer noch auf die – schlechter bezahlten – Berufe Friseurin, Schneiderin, Catering.
Auch in Ghana sind Schulen und andere Einrichtungen wegen Corona von März bis Dezember 2020 geschlossen wurden. Was bedeutet das für Mädchen und junge Frauen?
Es waren nicht nur die Schulen, auch viele Auszubildende wurden nach Hause geschickt oder konnten nur wenig arbeiten. Das betraf vor allem Servicebereiche, in denen viele Frauen arbeiten – ohne große Veranstaltungen sank der Bedarf an Friseur- und Schneiderdienstleistungen oder Catering.
Was machen die Mädchen, wenn sie zu Hause sind?
Insbesondere in den ländlichen und benachteiligten Gemeinden spielen traditionelle Bräuche und Praktiken immer noch eine große Rolle. Mädchen und Frauen übernehmen hier die Hausarbeit und werden nun noch stärker in diese Rolle gedrängt.
Gilt das auch für die Schülerinnen und Studentinnen?
Homeschooling ist nur für einen Teil der Familien in Ghana machbar. Denn nicht alle Eltern können ihren Kindern helfen zu lernen, viele haben nicht einmal Zugang zu Lernressourcen. Wenn es nur einen Fernseher oder auch Computer im Haus gibt, kann es sein, dass der Vater ihn mit Beschlag belegt, weil er Sport oder Nachrichten sehen will. Und wenn er ihn abgibt, dann oft eher an den Sohn als an die Tochter. Jungen werden vor allem im benachteiligten Norden mehr geschätzt. Die Familien konzentrieren ihre Ressourcen darauf, dass sie die beste Erziehung erhalten, um später gute Jobs zu bekommen und die Familien zu ernähren.
Da klingt nach einer angespannten Situation in den Familien. UN-Organisationen haben generell über einen Anstieg häuslicher Gewalt berichtet. Gibt es den auch in Ghana?
Ja, es gab einige Studien, die darauf hinweisen. Während die Einkommen schrumpften, stiegen die Haushaltskosten, auch weil nun alle zu Hause sind und etwa Schüler_innen nicht in der Schule verpflegt werden. Berichtet wird von Männern, die aus Frust, weil sie ihrer Rolle als Familienernährer nicht nachkommen können, gewalttätig wurden. Es gibt aber auch Fälle, wo es zu Gewalt kam, weil der Arbeitsdruck und die Hausarbeit dazu führten, dass sexuelle Wünsche nicht erfüllt wurden.
Wie kann man die Bildungsmöglichkeiten von Mädchen und jungen Frauen verbessern?
Eine wesentliche Herausforderung sind die Bildungskosten, die Familien immer eher für die Jungen als für die Mädchen zahlen. In der Grund- und Mittelstufe wurden die Gebühren zwar zuletzt abgeschafft, aber es gibt immer noch die versteckten Kosten: Sanitärbedarf wie Binden, Schulbedarf, Schulkleidung und Essen. Und an den Schulen selbst fehlt es an Ausstattung – und sogar an Sanitätseinrichtungen für alle. Auch die Ausbildung muss zumindest in den formellen Ausbildungseinrichtungen bezahlt werden. Am schwierigsten ist es beim Hochschulzugang.
Wegen der Studiengebühren?
Ja. Und wenn Mädchen es doch schaffen, ist es oft ihre einzige Chance, sich für Krankenpflege oder den Lehrerinberuf zu entscheiden, weil es da Ausbildungsbeihilfen gibt und der Übergang auf den Arbeitsmarkt schnell geht. Eigentlich brauchen die Frauen ein Unternehmerinnentraining. Zugleich müssen Institutionen, die Mädchen und Frauen unterstützen, besser ausgestattet werden: das Ministerium für Gender, Kinder und soziale Entwicklung, die Abteilung Mädchenausbildung beim Bildungsministerium, die Abteilung zur Unterstützung von Opfern häuslicher Gewalt bei der Polizei.
Die Interviewte: Agnes Atia Apusigah ist Professorin für Entwicklungssoziologie mit Schwerpunkt Gender Studies und Vizepräsidentin des Regentropfen College of Applied Sciences in Kansoe-Bongo.
Fragen und Übersetzung: Beate Willms
März/2021