Gewalt am Arbeitsplatz - Frauen müssen sich zu wehren wissen
In vielen vietnamesischen Firmen gibt es bereits Richtlinien gegen sexualisierte Gewalt. Nur: Weder Management noch Arbeiter_innen wissen oft davon.
Nähmaschinen dicht hintereinander, dicht nebeneinander. Dazwischen bunte Stoffballen, am Ende der Halle Regale mit noch mehr Stoffballen. So sehen die meisten Textilfabriken in Vietnam aus. An den Maschinen Frauen mit hochgesteckten Haaren, den Blick stets gesenkt auf die Stoffstreifen, die sie mit raschen Bewegungen durch die vibrierenden Nadeln ziehen. Das Rattern der Maschinen erfüllt den Raum.
Vietnam zählt neben China, Bangladesch und Indonesien zu den vier größten Bekleidungsproduzenten der Welt. Textilien gehören neben Kaffee und Rohöl zu den Hauptexportgütern. Rund 2,5 Millionen Menschen arbeiten in den 6.000 Textilunternehmen im Land. Die meisten von ihnen sind Frauen.
Viele Näher_innen leben mit der Drohung, dass ihr Arbeitsvertrag nicht verlängert oder ganz gekündigt wird, wenn sie den Anweisungen nicht folgen. Sie schuften mitunter zehn bis zwölf Stunden am Tag, in Akkordzeit nähen sie T-Shirts, Blusen, Hosen zusammen. Nicht selten müssen sie obendrein Überstunden machen. Denn der gesetzliche Mindestlohn ist zu gering, um über die Runden zu kommen. Er deckt trotz Anhebung nur um die 90 Prozent der Kosten für den benötigten Lebensunterhalt.
Junge Mütter kehren recht schnell wieder an den Arbeitsplatz zurück – vor allem aus Angst, diesen zu verlieren, wenn sie allzu lange dem Job fernbleiben. Kitas gibt es nur wenige, Eltern und Großeltern betreuen den Nachwuchs.
Der zentrale staats- und regierungsnahe Gewerkschaftsbund Vietnam General Confederation of Labour (VGCL) hat das Problem erkannt und setzt sich auch gegenüber der Regierung für Kitaplätze ein. In einem Projekt in Zusammenarbeit mit dem DGB Bildungswerk verhandelte er mit ausgewählten Unternehmen etwa Stillräume einzurichten und bei Geburten und Hochzeiten Zulagen zu zahlen.
Aus dem politischen System heraus sind Männer und Frauen gleichgestellt, so steht es auch im vietnamesischen Arbeitsgesetz. Frauen besetzen Führungspositionen, sie leiten auch Interessenvertretungen von Arbeitnehmenden wie Betriebsgewerkschaften von staatlichen Unternehmen. In der Realität setzen sich häufig tradierte Rollenbilder fort.
Fast jede zweite vietnamesische Textilarbeiterin kennt auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Das zeigt eine aktuelle, noch unveröffentlichte Studie zu sexualisierter Gewalt von Textilarbeiterinnen in Vietnam, auf die sich das Bündnis für nachhaltige Textilien beruft. Erarbeitet wurde sie von der gemeinnützigen Organisation Fair Wear Foundation und der Nichtregierungsorganisation Care International.
43 Prozent der Näherinnen gaben demnach an, im vergangenen Jahr wenigstens einmal von Kollegen, Vorgesetzten und anderen männlichen Mitarbeitern sexuell belästigt worden zu sein oder andere körperliche Gewalt erfahren zu haben. Manche wechselten aufgrund der Übergriffe den Job, jede zehnte Näherin verließ ihren Arbeitsplatz. Andere Frauen berichteten davon, wie ihnen auf dem Heimweg aufgelauert wird, wie Chefs mit Gegenständen nach ihnen werfen und den Arbeitsdruck erhöhen, wenn die Näherinnen die vorgegebene Norm nicht schaffen.
Das passt zu dem, was Better Work Vietnam, ein gemeinsames Programm der ILO und der Weltbank, bei seinen Studien zu »Sexualisierter Gewalt in der Arbeitswelt in Vietnam« zusammengetragen hat. Better Work Vietnam hat mit der ILO und nationalen Partnern zusammen Richtlinien aufgestellt, wie mit sexueller Belästigung umzugehen ist.
Es hapert an der Umsetzung. »Wir haben bei unseren Trainings in den Fabriken viel von Übergriffen gehört, aber die Arbeiterinnen wagen es nicht, sie zu melden«, sagt David Williams, der technische Direktor des Programms. Weil die Frauen weder ihre Rechte kennen würden, noch die Wege, wie sie sie durchsetzen können, müssten die Better Work-Teams sie direkt an ihren Arbeitsplätzen aufsuchen. »Die Frauen müssen ermächtigt werden, ihre Rechte zu kennen und sich zu wehren, wenn ihnen sexuelle Übergriffe widerfahren.« Auch das Management müsse für das Problem und die Richtlinien sensibilisiert werden. »Wir müssen auch mit ihnen arbeiten, damit sie die Vorgaben in praktische Politik umsetzen«, sagt Programmmanager Nguyen Hong Ha.
Auch die Fair Wear Foundation, FWF, versucht, die Textilarbeiter_innen so weit es geht zu unterstützen. Die global agierende Stiftung, die sich über Mitgliedsbeiträge von Unternehmen, Gewerkschaften, Regierungen, NROs und Privatpersonen finanziert und als Non-Profit-Organisation versteht, prüft die Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in den produzierenden Ländern und ist bemüht, mit den Regierungen Gesetze zu vereinbaren. Regelungen gegen sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz spielen dabei eine wichtige Rolle. Mit Vietnam konnte FWF allerdings noch kein Gesetz verhandeln, sagt Saskia Wishart vom Gender-Programm der FWF.
Autorin: Simone Schmollack beschäftigt sich journalistisch mit Gender-Themen und Frauenrechten