
Gräfenhausen: LKW-Fahrer protestieren weiter
Rund 150 LKW-Fahrer_innen setzten auch im August ihre Proteste an einer hessischen Raststätte fort. Sie werfen ihrem polnischen Spediteur Lohnbetrug vor. Der geht mit juristischen Mitteln gegen sie vor.
Nach den Aufsehen erregenden Protesten im April sammelten sich ab Mitte Juli erneut rund 150 Fahrer, vor allem aus Georgien, Usbekistan, Kasachstan und Tadschikistan an einer Raststätte an der A5 im südhessischen Gräfenhausen. Alle fahren für die Unternehmensgruppe Mazur auf deutschen Autobahnen. Die Männer gaben an, seit fünf Monaten keinen Lohn, sondern allenfalls Essenszuschüsse erhalten zu haben. Der Eigentümer der polnischen Speditionsfirma erstattete Anfang August Strafanzeige. „Im Rahmen der Anzeige wird neben anderen Delikten auch der Vorwurf der Erpressung erhoben“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt. „Ob und inwieweit die erhobenen Vorwürfe zutreffen und wie der Sachverhalt rechtlich zu bewerten sein wird, ist Gegenstand der Ermittlungen.“
Michael Rudolph, Vorsitzender des DGB Hessen-Thüringen nannte die Anzeige eine „bodenlose Frechheit“. Sie sei „der Versuch, die Opfer zu Tätern zu machen. Wenn sich jemand etwas zu Schulden kommen lässt, dann ist es Mazur selbst. Er soll den Fahrern endlich das ihnen zustehende Geld zahlen. Das ist der Weg“. Statt sich mit den Problemen in seinem Geschäftsmodell zu beschäftigen und die Fahrer für ihre Arbeit angemessen zu bezahlen, versuche Mazur die Fahrer in Gräfenhausen nun zu kriminalisieren, ihnen die Lkw und damit ihre Unterkunftsmöglichkeiten wegzunehmen und sie loszuwerden, so Rudolph.
„Gewerkschaften, Kirchen und Beratungsstellen unterstützen die Fahrer, soweit das möglich ist“, sagte Dominique John, der Leiter des Beratungsnetzwerks Faire Mobilität. Auf der anderen Seite stehen ein „zutiefst unseriöser Arbeitgeber und verschiedene Auftraggeber in einer Lieferkette, die sich weigern Verantwortung zu übernehmen. Dieses Geschäftsmodell basiert auf Ausbeutung und muss beendet werden“.
Schon seit Jahren berichteten Fahrer unterschiedlicher Herkunft, wie sie in Abhängigkeitsverhältnisse gedrängt werden, sagte Anna Weirich von der Beratungsstelle Faire Mobilität. „Die schlimmsten Ausbeutungsfälle beobachten wir bei Fahrern aus Drittstaaten, denn ihr Aufenthalt hängt am Arbeitsverhältnis. Wir sprechen hier von einer doppelten Abhängigkeit.“ Als im April in Gräfenhausen rund 60 Fahrer derselben Spedition protestiert hatten, konnten sie nach sechs Wochen ihre Forderungen durchsetzen. Ihre Aktion lenkte stärkere Aufmerksamkeit auf die Arbeitsbedingungen im internationalen Gütertransport.
„Die Unternehmen, die den Gütertransport beauftragen, haben eine Verantwortung für alle Beteiligten der Lieferkette“, sagte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis. Politik und Kontrollbehörden nähmen ihre Verantwortung nicht ausreichend wahr, indem „mangels schützender Gesetze und viel zu geringen Kontrolldichten hingenommen wird, dass der Straßengütertransport in Deutschland tausendfach pro Tag illegal abläuft“, so Kocsis. Der Straßengütertransport müsse so organisiert werden, dass Menschen nicht ausgebeutet werden. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sehe dies bislang nur für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten vor. „Eine Ausweitung, auch auf kleinere Unternehmen, muss schnell folgen, da ohne gesetzliche Regelung offenbar kein Einsehen in der Wirtschaft besteht“, so Kocsis.
Entnommen aus Forum Migration September 2023