Mit Anlegererklärung zu guter Pflegearbeit
10.09.2024 I Private Investoren im Care-Sektor sind längst Normalität. Eine Initiative von UNI Global Union in Kooperation mit Geldgebern versucht, Druck auf die Kapitalempfänger auszuüben.
Die Covid-19-Pandemie hatte die Gesundheitssysteme weltweit an ihre Grenzen gebracht: Madagascar, April 2020.
Die Pflegewirtschaft zieht große Kapitalgesellschaften an, denn Investoren versprechen sich von diesem Markt große Gewinne. Doch das ist nicht alles: Mit ihren Anlegeentscheidungen können sie Einfluss auf die Geschäftspolitik von Unternehmen nehmen – und einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Bedingungen für Beschäftigte und Betreute verbessern. Damit Kapitalgeber ihre Macht dafür nutzen, hat der globale Gewerkschaftsverbund der Dienstleistungsgewerkschaften, UNI Global Union, die „Investor
Initiative for Responsible Care“ ins Leben gerufen.
Herzstück der Initiative ist die „Anlegererklärung“. Die Unterzeichnenden benennen darin Erwartungen an Pflegeheimbetreiber und Besitzer von Pflegeimmobilien, die das angelegte Geld bekommen: Sie sollen genug Personal vorhalten und dessen Gesundheit und Sicherheit gewährleisten. Außerdem sollen sie gute Löhne zahlen und Verträge schließen statt auf informelle Arbeit zu setzen. Die Investoren erwarten außerdem, dass die Kapitalempfänger die Vereinigungsfreiheit der Beschäftigten achten und Tarifverhandlungen führen sowie eine gute Qualität der Pflege sichern.
Ausgangspunkt der Initiative war die Corona-Pandemie, die in der Pflege große Missstände gezeigt und vertieft hat – sowohl für die Betreuten als auch für die Beschäftigten. Als erste unterzeichneten die Erklärung 2021 die vier Investoren BMO Global Asset Management, die Ethos-Stiftung, PIRC und Sycomore Asset Management. Mittlerweile haben sich 160 Kapitalanleger und Treuhänder der Initiative angeschlossen. Dazu gehören Fondsgesellschaften, kirchliche Vermögensanleger wie Cassa pensioni di Lugano oder die Personalvorsorgestiftung der Würth-Gruppe. Zusammen investieren sie ein Vermögen von mehr als 4,4 Billionen US-Dollar. Die Unterzeichner kommen vor allem aus Europa und aus Nordamerika. Im Globalen Süden wächst die Pflegewirtschaft rasant, doch bislang investieren dort wenige multinationale Unternehmen in die Branche.
In der Anlegererklärung bekennen sich die Investoren zu den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte – und sie erwarten das auch von ihren Investitionsempfängern. „Die Einhaltung dieser Standards kann auch die rechtlichen, rufschädigenden und betrieblichen Risiken für unsere Beteiligungsunternehmen im Pflegeheimbereich mindern“, heißt es in der Erklärung. Um Unterbesetzung beim Personal zu verhindern, sollen sich Betreiber an Best-Practice-Beispiele aus der Branche halten. Sie sollen für angemessene Arbeitszeiten sorgen, auf prekäre Verträge verzichten und sich auch nicht von Leiharbeit abhängig machen.
Die Kapitalempfänger werden aufgefordert, die Rechte der Beschäftigten auf Vereinigungsfreiheit und kollektive Verhandlungen zu achten. „Führen Sie einen konstruktiven
sozialen Dialog mit Gewerkschaften auf lokaler, nationaler und globaler Ebene“, heißt es in der Erklärung.
Das Sekretariat der Initiative ist bei UNI Global Union angesiedelt, der Verband koordiniert die Aktivitäten. Die Mitglieder treffen sich, um Erfahrungen auszutauschen, wie die Standards in der Branche verbessert werden können. Mit Erfolg.
Um die in der Erklärung formulierten Bedingungen zu realisieren, entstanden Gruppen von Investoren, die sich auf verschiedene Unternehmen konzentrieren. Auf Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften thematisieren die Anleger diese Anliegen. In Kanada etwa hat der Investor SHARE eine Resolution eingereicht und den Vorstand der Pflegekette Chartwell aufgefordert, die Personalkennzahlen offenzulegen – er wurde von fast einem Drittel der Aktionäre unterstützt. Das können Vorstände nicht ignorieren.
Bei der Hauptversammlung des Pflegekonzerns Fresenius musste sich der Vorstand mit Fragen auseinandersetzen, ob er die in der Erklärung geforderten Bedingungen erfüllt. Auch mit weiteren großen Anbietern von Pflegedienstleistungen setzten sich Mitglieder der Initiative auseinander, etwa mit Humana, Korian, LNA Santé, Orpea und Sienna Senior Living oder mit Unternehmen wie Ventas, Vonovia and Welltower, die für Pflege genutzte Immobilien besitzen.
Der Nutzen für Investoren: Sie profitieren davon, auf Missstände aufmerksam zu werden. Sie haben ein Interesse daran, weil ungelöste Probleme für sie zu einem Reputationsrisiko werden können. Was einzigartig sein dürfte: UNI Global Union hat die Möglichkeit, im direkten Austausch mit Investoren Erkenntnisse und Positionen der Gewerkschaften einzubringen. Die Initiative leistet auch Beiträge in politischen Beratungen, etwa in den USA – bei den Pflegeheimreformen von US-Präsident Joe Biden geht es um Mindeststandards für die Personalausstattung und um mehr Transparenz über die Eigentümer von Pflegeeinrichtungen. Ein Thema, das im zweiten Halbjahr 2024 in den Mittelpunkt der Arbeit der Initiative rücken wird, ist die Wanderarbeit in der Pflegewirtschaft.
Weil das Projekt so erfolgreich ist, hat UNI Global Union gemeinsam mit anderen Gewerkschaften zu Beginn dieses Jahres ein ähnliches aufgelegt: das Labour Rights Investor Network, das branchenübergreifend ist.
Weiterführende Links
https://uniglobalunion.org/investor-initiative-for-responsible-care/
https://www.uni-europa.org/wp-content/uploads/v2-1-year-initiative-letter.pdf
Autorin: Anja Krüger arbeitet als Journalistin in Berlin.
BU: Die Covid-19-Pandemie hatte die Gesundheitssysteme weltweit an ihre Grenzen gebracht: Madagascar, April 2020.