Internationale Solidarität: Ein Muss im Zeichen von Rechtswende und Militarisierung
01.09.2025 I Für die „eskalierende Konkurrenz“ und „waffenstarrende Austeritätspolitik“ zahlten arbeitende Menschen weltweit, kommentiert Arbeitssoziologin und Professorin Nicole Mayer-Ahuja – und „Wer, wenn nicht die Gewerkschaften, kann diesem Wahnsinn entgegentreten?“
Solidarität ist eine Herausforderung für Gewerkschaften. Sie widerspricht der Logik des Kapitalismus, der auf Unterschiedlichkeit und Konkurrenz beruht. Nicht nur Unternehmen und „Wirtschaftsstandorte“ konkurrieren ständig miteinander, sondern auch arbeitende Menschen. Solidarisierung – also eine Verständigung auf gemeinsame Interessen von Lohnabhängigen, gegenseitige Unterstützung und Zusammenstehen gegen diejenigen, die (etwa auf Unternehmensseite) gegensätzliche Interessen vertreten – ist deshalb ein mühsamer Prozess. Er gelingt nur selten, und stets droht der Rückfall in den Kampf aller gegen alle. Dennoch ist gewerkschaftliche Politik ohne das stetige Ringen um Solidarisierung nicht vorstellbar.
Seit Beginn der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung haben sich Männer und Frauen, alte und junge, einheimische und migrantische Beschäftigte, Stamm- und Randbelegschaften immer wieder zusammengerauft – das Verbindende zwischen ihnen zumindest zeitweise stärker gewichtend als das Trennende.
Immerhin machen Lohnabhängige, so unterschiedlich ihre Beschäftigungsverhältnisse und Tätigkeiten auch sein mögen, strukturell ähnliche Erfahrungen: mit dem Zwang, die Existenz durch Verkauf von Arbeitskraft zu sichern und fremden Reichtum zu mehren, mit fremdbestimmter Arbeit im Betrieb, aber auch mit Arbeitsprozessen, die Kooperation erfordern und Kollegialität fördern. Solidarisierung bedeutet, das kollegiale „Wir“ zu erweitern – und zugleich klare Grenzen zu ziehen.
>>„Wir“, das sind arbeitende Menschen in aller Welt, die auf dem Arbeitsmarkt, in Betrieben und an den Fronten gegeneinander in Stellung gebracht werden. <<
Nur wenn Arbeitende erkennen, dass sie nicht mit der Firmenleitung „in einem Boot“ sitzen und Frauen, migrantische Beschäftigte oder Arbeitslose im Bürgergeldbezug weder „Schmutzkonkurrenz“ noch Schmarotzer, sondern „von-Lohn-Abhängige“ sind wie man selbst, können ihre Gewerkschaften bessere Arbeitsbedingungen und Einkommen oder ein Mehr an demokratischer Mitbestimmung durchsetzen.

Internationale Solidarität ist noch schwerer zu machen: In Weltkonzernen konkurriert „Standort“ gegen „Standort“. Auf dem Arbeitsmarkt scheinen Löhne, soziale Sicherung und Arbeitsplätze durch Dumpingkonkurrenz etwa aus Indien oder China bedroht. Zugleich ist schwerer erkennbar, was Arbeitende verbindet: Über weit verteilte Niederlassungen hinweg lernt man sich kaum als Kollege oder Kollegin kennen. Und sind Arbeits- und Lebensbedingungen „da unten“ tatsächlich mit denen in Deutschland vergleichbar?
Trotzdem ist Solidarisierung möglich – auch über Staatsgrenzen hinweg. So entstehen im Arbeitsprozess durchaus Verbindungen zwischen Belegschaften in verschiedenen Weltregionen – in transnationalen Projekten oder Wertschöpfungsketten. Kooperation und Kollegialität sind nicht nur im betrieblichen Nahbereich denkbar, sie können auch in digitalen Netzen entstehen.
Und speziell „just-in-time“-Produktion eröffnet Gewerkschaften neue Chancen für internationale Arbeitskämpfe. Arbeitende sind weltweit von ähnlichen Unternehmensstrategien (Cost cutting, sonst: Verlagerung) und staatlichen Politiken der Prekarisierung betroffen. Es stimmt nicht, dass „wir alle im globalen Norden“ auf Kosten des „globalen Südens“ leben – vielmehr wird Arbeitenden nicht nur in Indien oder China der Gürtel enger geschnallt, sondern auch in Deutschland oder den USA.
Diese Einsicht ist gerade im Zeichen der aktuellen Militarisierung und Rechtswende zentral. „Wir“, das sind nicht „die Deutschen“, die Migration durch Grenzschließungen verhindern müssen – auch nicht „die Europäer“, die gegen Russland oder China zusammenhalten sollen. „Wir“, das sind arbeitende Menschen in aller Welt, die auf dem Arbeitsmarkt, in Betrieben und an den Fronten gegeneinander in Stellung gebracht werden.
>> Es gibt eine Alternative: das zähe Ringen um internationale Solidarität <<
Sie zahlen die Zeche für eskalierende Konkurrenz und waffenstarrende „Austeritätspolitik“: Weil weltweit an Arbeit, sozialer Sicherheit und öffentlichen Diensten gespart wird, wenn staatliche Mittel vor allem in Rüstung fließen. Weil Rassismus und Nationalismus es erleichtern, Lohnabhängige gegeneinander auszuspielen. Weil Kriegstüchtigkeit voraussetzt, dass Befehl und Gehorsam auch in der Arbeitswelt an Bedeutung gewinnen (etwa: Streikverbote für „systemrelevante“ Berufe) und weil Krieg bedeutet: „Die Dividenden steigen, und die Proletarier fallen“, wie Rosa Luxemburg 1916 bemerkt hat.
Wer, wenn nicht die Gewerkschaften, kann diesem Wahnsinn entgegentreten? Es gibt eine Alternative: das zähe Ringen um internationale Solidarität.
Autorin: Nicole Mayer-Ahuja ist Professorin für Soziologie, Schwerpunkt Arbeit, Unternehmen und Wirtschaft an der Georg-August-Universität Göttingen, ihr aktuelles Buch: „Klassengesellschaft akut – Warum Lohnarbeit spaltet – und wie es anders gehen kann.“ erscheint am 18.09.2025 im C.H.Beck. Verlag, 26.00 Euro
Aus NORDSÜD NEWS September 2025 "Internationale Zusammenarbeit"