Internationale Arbeits- und Sozialstandards
Gute Arbeits- und Lebensbedingungen für alle Arbeitenden zu schaffen und gemeinschaftlich und solidarisch zu sichern, ist das Ziel gewerkschaftlicher Arbeit.
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist nicht nur das Recht auf Arbeit festgeschrieben, sondern viel mehr: der Schutz der Arbeitenden, das Recht auf gleichen Lohn, das Recht auf Freizeit, das Verbot von Sklaverei und so weiter. 1919 haben die Vereinten Nationen eine Sonderorganisation eingerichtet, die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die das Ziel menschenwürdiger Arbeit verfolgt. Ihre Grundprinzipien sind Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen, Beseitigung der Zwangsarbeit, Abschaffung der Kinderarbeit und das Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.
In der ILO arbeiten Vertreter_innen von Regierungen, Arbeitgeber_innen und Gewerkschaften – darunter auch des Deutschen Gewerkschaftsbundes – in einem dreigliedrigen Apparat zusammen. Sie haben ein Normensystem entwickelt, das weltweit gültig sein soll. Die Gewerkschaften sind immer wieder treibende Kraft, wenn es darum geht, neue Standards zu diskutieren und durchzusetzen, die den Veränderungen in Arbeitswelt und Gesellschaft Rechnung tragen.
2019 etwa verabschiedete die Internationale Arbeitskonferenz der ILO das bis dato jüngste Übereinkommen, es fordert die Beendigung von Gewalt gegen Frauen und Männer am Arbeitsplatz. Der DGB hat dazu bereits auf seinem Bundeskongress 2018 den Beschluss gefasst „Geschlechterperspektive in der Internationalen Politik stärken“ und auch der IGB hatte dazu frühzeitig Position bezogen.
Die Kernarbeitsnormen der ILO
Die vier Grundprinzipien der ILO sind konkret in acht Übereinkommen ausgestaltet, die international als „Kernarbeitsnormen“ anerkannt sind. Obwohl nur 140 der 187 Mitgliedsstaaten der ILO alle acht ratifiziert haben, sind diese seit 1998 Teil der Menschenrechtscharta. Die Kernarbeitsnormen reichen vom Recht auf Vereinigungsfreiheit über die Abschaffung von Zwangsarbeit bis zum Verbot der „schlimmsten Formen der Kinderarbeit“.
Die Übereinkommen der ILO
Außer in den Kernarbeitsnormen finden die Grundprinzipien der ILO in etlichen anderen Übereinkommen, Protokollen und Empfehlungen Anwendung. Neben dem oben erwähnten Übereinkommen zu Hausangestellten geht es beispielsweise um Fragen der Arbeitszeit, des Mindestalters, der Gleichstellung, des Gesundheitsschutzes, des Mindestlohns, der Arbeitsbedingungen für einzelne Gruppen wie Seefahrer_innen. Die Übereinkommen werden – in der Regel nach mehrjährigen Konsultationen – von der Internationalen Arbeitskonferenz verabschiedet. Danach werden sie von den Mitgliedsstaaten ratifiziert und in nationale Gesetze und Maßnahmen umgesetzt. Insgesamt gibt es derzeit 187 Konventionen, deren Ratifizierung sehr unterschiedlich weit gediehen ist. Auch Deutschland hat längst nicht alle Übereinkommen ratifziert.
Wie werden die ILO-Normen genutzt?
Recht:
Die ILO-Übereinkommen verpflichten – wenn sie denn ratifiziert sind – die Regierungen, sie in konkretes Arbeitsrecht umzusetzen. In Ländern, in denen die nationale Gesetzgebung keine Antwort auf bestimmte Fragestellungen hat, können die Gerichte sich auf sie als internationales Recht berufen.
Politik:
Die ILO-Arbeitsstandards gelten als Richtlinien für internationale und nationale Politik. International gehören sie zu den wichtigsten Säulen der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen bis 2030.
Für die nationale Politik geben sie ebenfalls den Rahmen vor, beispielsweise bei Beschäftigungs-, Arbeits- und Familienpolitik. Auf ihrer Grundlage können Verwaltungsstrukturen und -handeln wie Sozialversicherungssysteme, Arbeitsagenturen oder Arbeitskontrollen zielgerichtet gestaltet werden.
Industrielle Beziehungen:
Die ILO-Normen sind Basis für Kollektiv- und Tarifverhandlungen.
Wie verbindlich sind die ILO-Normen?
Die ILO-Übereinkommen sind als völkerrechtliches Instrument für alle Staaten bindend, die sie ratifiziert haben, die Kernarbeitsnormen als Teil der Menschenrechtscharta für alle UN-Mitgliedsstaaten.
Ihre juristische und faktische Umsetzung auf nationaler Ebene überprüft die ILO regelmäßig. Sie befragt auch die Länder, die nicht ratifiziert haben, und fordert sie auf, zu erklären, warum eine Ratifizierung nicht möglich ist und ob und wie sie die Normen trotzdem einhalten. Fallen Länderberichte negativ aus oder gibt es direkte Beschwerden, treten die entsprechenden ILO-Ausschüsse mit den zuständigen Regierungen in einen Dialog. Ziel ist, gemeinsam Verbesserungen durchzusetzen. Sanktionsmöglichkeiten hat die ILO jedoch nicht.
Überwachung durch die Gewerkschaften
Der Internationale Gewerkschaftsbund sammelt Berichte über die Verletzung von globalen Arbeitsstandards in einzelnen Ländern weltweit und veröffentlicht dazu jährlich einen „Global Rights Index“.
Die Decent Work Agenda
Menschenwürdige oder gute Arbeit – die deutsche Übertragung des englischen Decent-Work-Begriffs – beruht nicht allein auf der Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen. Das wissen vor allem die Gewerkschaften. Sie umfasst die gesamten Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen und bedeutet
- produktive Arbeit und ein gerechtes Einkommen
- Sicherheit am Arbeitsplatz
- soziale Absicherung für Familien
- bessere Aussichten für die persönliche Entwicklung
- Freiheit, Sorgen am Arbeitsplatz zu äußern und sich organisieren zu können
- Teilnahme an Entscheidungsbildungsprozessen und
- Chancengleichheit mit Blick auf die Behandlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt.
1999 hat die ILO eine Decent Work Agenda verabschiedet, in deren Rahmen sie Programme und Maßnahmen zur Verbreitung und Durchsetzung von guter Arbeit unterstützt und durchführt.
Gute Arbeit gehört zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen, die die Vereinten Nationen für den Zeitraum von 2016 bis 2030 verabschiedet haben.
Die Verantwortung der Unternehmen
UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
Das Völkerrecht verpflichtet Staaten, globale Arbeitsstandards umzusetzen und die Arbeitenden zu schützen. Das machen sie beispielsweise, indem sie ihre Politik und die nationale Gesetzgebung entlang der ILO-Standards entwickeln. Das Problem ist, dass viele Länder keine ausreichende Gesetzgebung haben, um wirtschaftliche Akteure entsprechend zu steuern und zu kontrollieren. Hinzu kommt die zunehmende Globalisierung von Konzernen, deren Wertschöpfungsketten sich über den gesamten Globus erstrecken.
Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat deshalb 2011 UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet, die klar stellen: Unternehmen müssen die globalen Arbeitsstandards achten.
Der nicht vorankommende Prozess für ein verbindliches Abkommen
2014 richtete der UN-Menschenrechtsrat eine „offene, zwischenstaatliche Arbeitsgruppe zur Erarbeitung rechtlich verbindlicher Menschenrechtsregeln für transnationale Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen“ ein.
In diesem Prozess fordern die Gewerkschaften, vertreten durch den Internationalen Gewerkschaftsbund und die Internationale der Transportarbeiter, ein starkes, ein sogenannte Binding Treaty, das verbindlich regelt, dass Unternehmen den Schutz der Menschenrechte in ihren due diligence-Verfahren prüfen und in ihren gesamten Prozessen prüfen müssen und dafür haftbar gemacht werden können. Ein neu zu schaffendes internationales Tribunal soll die nationale Gerichtsbarkeiten ergänzen und zuständig sein, wenn Unternehmen grenzüberschreitend Menschenrechte verletzen. Geschädigte, Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften sollen Zugang dazu haben.
Bis Ende 2018 fanden vier Verhandlungsrunden der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe statt. Rund 80 Staaten einschließlich der EU, die als gemeinsame Unterhändlerin ihrer Mitgliedsländer auftritt, nahmen teil. Bereits in der dritten Runde hatte das Vorsitzland Ecuador erstmals einen Grobentwurf vorgelegt. Darin heißt es unter anderem, dass internationale Konzerne und andere Unternehmen unabhängig von ihrer Größe sämtliche Menschenrechte respektieren müssten – „ganz gleich, wo sie tätig sind und entlang ihrer Lieferketten“. Die Verhandlungen krankten unter anderem daran, dass die wichtigsten Industrieländer sie nicht ernst nahmen und gar keine oder nicht stimmberechtigte Vertreter_innen schickten. Auch nach vier Runden gibt es deshalb keinen Fortschritt.
Die Nationalen Aktionspläne
Die Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte erfolgt deshalb in Nationalen Aktionsplänen mit unterschiedlicher Verbindlichkeit und Ausgestaltung. Einen solchen Plan verabschiedet haben bisher Kolumbien als erster südamerikanischer Staat, und einige europäische Länder. Auch Deutschland gehört dazu. Der DGB kritisiert den Plan der Bundesregierung jedoch, weil er nur eine freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen enthält.
Wie die UN-Leitprinzipien aktuell in den einzelnen Ländern umgesetzt werden, ist hier nachzuschauen: https://globalnaps.org/
Veröffentlicht 12 I 2019