Informelle Wirtschaft
Informelle Wirtschaft und Beschäftigung, Schattenwirtschaft - in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern sind diese Sektoren weit verbreitet. Die Arbeit in der informellen Wirtschaft wird von staatlicher Kontrolle und damit auch von staatlicher Regulierung nicht erfasst. Sie umfassen oft kleinteilige, landwirtschaftliche Produktion mit regionalem und lokalem Schwerpunkt, einfache Arbeiten, Hilfsarbeiten und "Tagelöhner"-Arbeiten im Dienstleistungsbereich oder in der Industrie. Und das oft unter prekären Bedingungen ohne arbeits- oder sozialrechtlichen Schutz.
Informelle Wirtschaft weltweit - ein Massenphänomen
Die konkrete Verbreitung informeller Wirtschaftsbereiche kann oft nur geschätzt werden - sie wird von staatlichen Statistiken nur selten erfasst. Die OECD schätzte 2009 weltweit etwa 1,8 Milliarden Beschäftigte im informellen Sektor. Das sind 60 Prozent aller Beschäftigten. Zählt man den agrikulturellen Teil hinzu, kommt die OECD auf eine Schätzung von 90 Prozent.
Während in den OECD-Staaten der Anteil des informellen Sektors nur etwa 15 Prozent ausmacht, sind es in den meisten Staaten Lateinamerikas, Afrikas und Asiens häufig weit über 50 Prozent. In fast allen afrikanischen Staaten südlich der Sahara wird von einer Quote von rund zwei Drittel ausgegangen, und für Indien geben Studien der ILO sogar an, dass 93 Prozent aller Beschäftigten in der informellen Wirtschaft tätig sind.
Frauen sind in der informellen Wirtschaft überproportional vertreten. So arbeiteten noch Anfang des Jahrtausends nach Angaben der ILO ungefähr die Hälfte der beschäftigten Frauen in Lateinamerika in der informellen Wirtschaft, in den Ländern des südlichen Afrikas sind es nach Schätzungen noch mehr. Sie haben weder eine Alters- noch ein Krankenversicherung, können nicht in Mutterschutz gehen, geschweige denn in Urlaub. Neben diesen Grundlagen existenzsichernder, menschenwürdiger Arbeit müssen auch sie das Recht auf Aus- und Weiterbildung in Anspruch nehmen können, um die weltweite Diskriminierung aufzuheben.
Lange unterschätzt
Noch in den 1970er und 1980er Jahren ging selbst die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) davon aus, dem informellen Sektor mit klassischen Mitteln Herr werden zu können. Er sollte in wirtschaftspolitische Strategien der Nationalstaaten einbezogen und so allmählich in die "formelle Wirtschaft" überführt werden.
Aber die Zunahme informeller Beschäftigung verlief in der Folgezeit zu schnell, zu drastisch. Während die informelle Wirtschaft in Kleinstbetrieben wächst, schafft sich die formelle Wirtschaft unterstützt von Regierungen spezielle Nischen, in denen sie sich staatlicher Kontrolle entzieht. Multinationale Konzerne und ihre Zulieferer agieren in weltweit entstehenden Freihandelszonen, die häufig auch Zonen frei von grundlegenden Arbeitnehmerrechten und Gewerkschaften sind.
Neue Strategien
Klassische gewerkschaftliche - und auch staatliche - Strategien zur Durchsetzung fairer Arbeitsbedingungen und guter Arbeit greifen beim informellen Sektor häufig nicht: Unklare Verhältnisse zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen, kleinteilige Betriebsstrukturen oder starke Repressionen und "Aussperrungs"-Strategien von Unternehmen erschweren den Einsatz für gute Arbeit.
Ebenso wie Gewerkschaften in den Industrieländern auf neue irreguläre Beschäftigungsformen reagieren müssen - wie Leiharbeit oder Solo-Selbstständigkeit -, stehen auch die Arbeitnehmerorganisationen in Entwicklungs- und Schwellenländern vor besonderen Herausforderungen. Zum Beispiel in Indien: Die indische Self Employed Women’s Assoication (SEWA) für Frauen aus dem informellen Sektor hat diese Herausforderung bereits 1972 angenommen und kämpft seitdem für menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen in unsicheren Beschäftigungsverhältnisse.