Gewerkschaftspartnerschaft Ukraine: Lehrkräfte bekommen Kraft
01.09.2025 I In der Ukraine bekommen Lehrende umgerechnet etwa 300 Euro im Monat – und damit weniger als Barkeeper. Doch mit internationaler Unterstützung verschafft sich die Bildungsgewerkschaft nun mehr Gehör – und stößt eine Lohnreform an.

Über eine Million Mitglieder, ein Drittel davon Studierende, zählt die größte ukrainische Bildungsgewerkschaft, die TUESWU (Trade Union of Education and Science Workers of Ukraine). Wegen des russischen Angriffskrieges steht sie aber derzeit vor beispiellosen Herausforderungen: Die Bildung ist im Wortsinn unter Beschuss. Wie lässt sich da lehren, die junge nachwachsende Generation auf das Leben vorbereiten?
Der Bildungssektor ist seit dem Jahr 2014 zunehmend ins Hintertreffen geraten. Die ukrainischen Lehrer*innen sind weit entfernt von stabilen Verhältnissen. Während sich andere Branchen wirtschaftlich weiterentwickelten, blieb das Gehaltsniveau für sie all die Jahre nahezu gleich.
„Damit liegt die Bildung auf den letzten Plätzen aller Wirtschaftsbereiche“, sagt Sergii Romanjuk, der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft in seinem Büro in Kiew. Die Bezahlung betrage heute im Schnitt umgerechnet etwa 300 Euro im Monat. Das heißt, insbesondere junge Lehrkräfte starten oft mit deutlich weniger ins Berufsleben. Dabei sind die Lebensmittelpreise in der Ukraine fast auf deutschem Niveau. Ein Kilo Zitronen beispielsweise kostet in der preisgünstigen Supermarktkette ATB zwei Euro.
„Niemand kann von 300 Euro im Monat leben“, so Romanjuk. So wanderten qualifizierte Kräfte in andere Branchen ab. Für andere ist der Lehrerberuf nur eine von mehreren Einnahmequellen. Wer in einem Café Getränke mixt, erhält 500 Euro im Monat. Viele Lehrer*innen verdienen noch etwas als Taxifahrer*in, an der Bar in einem Café oder als Nachhilfelehrer*in hinzu. Immer mehr greifen die Bildungsbehörden auf bereits verrentete Lehrkräfte zurück.
Seit 2022 gibt es in den Frontregionen, in Orten wie Charkiw, keinen Präsenzunterricht mehr. Wie auch? „Vom Luftalarm bis zum Raketenangriff vergehen dort manchmal nur drei Minuten“, erklärt Romanjuk, „Evakuierungen sind nicht machbar. Deshalb setzen wir auf Online-Unterricht.“ Zwar gebe es in Charkiw Schulen unter der Erde. Doch bei einer Bevölkerung von über einer Million Menschen seien die wenigen unterirdischen Schulen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Immerhin eine Sache freut den Gewerkschafter: „In den Gegenden in Frontnähe, wo die Menschen am meisten leiden, zeigen die Schülerinnen und Schüler besonders gute Ergebnisse. Dort ist die Motivation besonders hoch.“
Während der Pandemie und des Krieges verlagerte sich auch die Arbeit der Gewerkschaft zunehmend ins Digitale. „Früher konnte ich eine Region vielleicht zweimal im Jahr besuchen, jetzt mache ich täglich Zoom-Konferenzen“, erzählt Romanjuk. So könne man schneller auf Probleme reagieren und mit Mitgliedern direkt in Kontakt bleiben.
Auch öffentliche Proteste oder gar Streiks sind in Kriegszeiten nicht möglich. Darum setzt die Gewerkschaft nun vor allem auf sozialen Dialog, Medienarbeit – und auf internationale Unterstützung.
Schon seit einigen Jahren arbeitet die TUESWU eng mit der deutschen Bildungsgewerkschaft GEW zusammen. Die TUESWU und ihre Mitglieder, die Lehrkräfte und Beschäftigten in den Bildungseinrichtungen, leisteten „eine beeindruckende Arbeit zur Aufrechterhaltung der Bildungsarbeit unter den schwierigen Bedingungen des Krieges“, sagt Maike Finnern, Vorsitzende der GEW und Vize-Präsidentin der Bildungsinternationale. Seit Anfang 2025 fördert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Gewerkschaftspartnerschaft, und zwar bis Ende 2026. Damit werde die Kooperation „noch einmal auf ein anderes Niveau gehoben“. Vorbereitet und unterstützt wurde die Projektförderung durch den Union Scout Harun Demircan, der für die GEW an der Schnittstelle zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Gewerkschaftsarbeit tätig ist (siehe auch S.2/3 in dieser Ausgabe).
Romanjuk und seine Mitstreitenden haben sich nun mit Vertreter*innen von vier ukrainischen Ministerien an einen Tisch gesetzt, den Dialog begonnen. Romanjuk sagt: „Dank der Unterstützung aus Deutschland werden wir von unserem Bildungsministerium sehr ernst genommen.
So wurde die Einrichtung eines interministeriellen Gremiums zur Lohnreform beschlossen.“ Das war schon im Mai. Seither sei allerdings noch nichts weiter geschehen, sagt der Gewerkschafter: „Es fehlt der politische Wille zur Umsetzung.“
» Für junge Menschen muss es attraktiv sein, den Lehrberuf zu ergreifen und in der Ukraine zu unterrichten. «
GEW-Vorsitzende Maike Finnern
Aber die Lehrenden lassen nicht nach. Mathis Wilk, der die Zusammenarbeit von Seiten der GEW koordiniert, erklärt: „Das Interesse an Gewerkschaftsarbeit in der Ukraine ist groß. Ungefähr 150 Mitglieder der dortigen Bildungsgewerkschaft möchten sich als Multiplikator*innen für die gewerkschaftliche Arbeit schulen lassen.“ Es gehe unter anderem um „Fragen der Organisierung und Tarifverhandlungen“. Dazu habe es bereits Veranstaltungen gegeben für Fortbildungen und Erfahrungsaustausch.
„Wir setzen auf einen Ausbau und eine stärkere Vernetzung unserer Gewerkschaft“, erklärt Romanjuk. Das gehe aber nicht ohne Unterstützung: „Eltern, Politik, Wirtschaft und unsere ausländischen Partner müssen erkennen, dass gute Bildung die Grundlage für eine funktionierende Zukunft ist.“
GEW-Vorsitzende Finnern sagt: „Mit unserer Gewerkschaftspartnerschaft wollen wir dazu beitragen, die wichtige Arbeit der Bildungsgewerkschaft als Stimme der Beschäftigten zu stärken und die Bedingungen im Bildungsbereich zu verbessern. Für junge Menschen muss es attraktiv sein, den Lehrberuf zu ergreifen und in der Ukraine zu unterrichten.“
Autor: Bernhard Clasen lebt seit 2014 als Reporter abwechselnd in der Ukraine und in Mönchengladbach.
Aus NORDSÜD NEWS September 2025 "Internationale Zusammenarbeit"