Union Scouts: Die Gewerkschaftsperspektive stärken
01.09.2025 I Es ist eine besondere Form der internationalen Gewerkschaftsarbeit: Georg Weininger arbeitet als Union Scout – und sorgt zum Beispiel mit dafür, dass die Interessen junger Beschäftigter in Bangladesch in der Ausbildung berücksichtigt werden.
Die Regierung in Bangladesch will die Arbeitsperspektiven für die Bevölkerung verbessern und die Qualifizierung der Beschäftigten voranbringen. In der Textilindustrie des Landes soll deshalb die duale Ausbildung etabliert werden. Das heißt: Junge Menschen sollen ihren Beruf sowohl im Betrieb als auch begleitend in einer Bildungseinrichtung erlernen. In Deutschland ist die duale Form der Berufsausbildung seit langem selbstverständlich – und die institutionalisierte Mitbestimmung der Auszubildenden ebenfalls. Das wollen die Gewerkschaften in Bangladesch auch für ihr Land erreichen. Ein sogenannter Union Scout aus Deutschland unterstützt sie dabei. Im Juli ist der Union Scout Georg Weininger deshalb nach Bangladesch gereist.
Aufgabe von Union Scouts wie Georg Weininger ist es, die Gewerkschaften stärker in die internationale Zusammenarbeit einzubeziehen. Er ist beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) angesiedelt. Sie beraten die Gewerkschaften zu den Fördermöglichkeiten, die die Bundesregierung für gewerkschaftliches Engagement in Schwellen- und Entwicklungsländern bereitstellt, sagt eine Sprecherin der GIZ. „Zum Beispiel beraten sie zu Partnerschaften mit Gewerkschaften in den Partnerländern des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.“
Union Scouts gibt es auch bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) und bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE). Das Ministerium hat die Entsendung der Union Scouts bis 2027 beauftragt.
Die GIZ und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) haben 2023 eine Grundsatzerklärung für ihre Zusammenarbeit unterzeichnet. Darin ist unter anderem festgelegt, dass gewerkschaftliche Aspekte in die Entwicklungsarbeit einfließen und umgekehrt die Erfahrungen der GIZ für die Gewerkschaften nutzbar werden sollen. „Die Gewerkschaften waren immer schon im Bereich der internationalen Arbeit tätig“, sagt Weininger. „Bislang aber nicht in institutionalisierter Form in Kooperation mit der GIZ.“ Weininger hat Internationale Beziehungen studiert. Bei internationalen Projekten hat er Erfahrungen gesammelt, etwa als Friedensberater für das Willy Brandt Center Jerusalem.
Die Einrichtung des Union Scouts ist angelehnt an die sogenannten Business Scouts. Business Scouts sind Kontaktpersonen in Wirtschaftsvereinigungen, die von der GIZ entsendet werden. Sie sollen die Interessen von Verbänden oder Handelskammern in die Entwicklungszusammenarbeit einbringen. Dass auch Gewerkschaften in institutionalisierter Form auf die Entwicklungszusammenarbeit Einfluss nehmen, ist erst mit der Schaffung der Union Scouts der Fall.
Union Scouts werden im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) von der bundeseigenen Agentur für Wirtschaft und Entwicklung (AWE) über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) an deutsche Gewerkschaften entsendet.
Georg Weininger gehört zum Netzwerk der Business Scouts, hat aber eine spezifische Aufgabe. „Es geht darum, bei Projekten der Entwicklungszusammenarbeit die gewerkschaftliche Perspektive und das Know how der Beschäftigten einzubringen“, erklärt er. Wie wichtig das ist, wurde etwa durch den Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch im April 2013 deutlich. Bei der Brandkatastrophe wurden 1.135 Menschen getötet und 2.438 verletzt. „Die Katastrophe hätte sich verhindern lassen, wenn die Warnungen der Arbeitnehmervertreter ernst genommen und strukturelle Reformen rechtzeitig umgesetzt worden wären“, sagt Weininger. Als Reaktion auf das Desaster brachten der frühere Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und der frühere DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann die Idee voran, die Kooperation von Entwicklungszusammenarbeit und Gewerkschaften zu forcieren.
Das Rana Plaza-Unglück hätte sich „verhindern lassen, wenn die Arbeitnehmervertreter ernst genommen worden wären“: Überlebende des Fabrikeinsturzes
Weiningers Aufgabenbereich ist vielschichtig. Eine große Rolle bei seiner Arbeit spielt die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten entlang der internationalen Lieferketten. „Die Sicherung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette ist zentral für die internationale Arbeit vieler Gewerkschaften, weil der Sinn menschenrechtlicher und arbeitsrechtlicher Vorgaben erkennbar und bewertbar wird“, sagt er. Dabei bleibt es auch, wenn es zur geplanten Aufweichung der europäischen und deutschen Lieferkettengesetze kommt, ist er überzeugt.
Weininger ist ebenso Ansprechpartner für die Mitgliedsgewerkschaften des DGB in Fragen der Entwicklungsarbeit wie für Arbeitnehmendenvertreter*innen aus anderen Ländern. Er stellt Kontakte her, etwa wenn Gewerkschaften in Kolumbien etwas über die Erfahrungen der deutschen Kolleg*innen mit der sozialen Abfederung des Kohleausstiegs wissen wollen. Bei einem Projekt in Südafrika ging es darum, Beschäftigte im Bergbau zu unterstützen. „Zum einen geht es darum, gewerkschaftliche Positionen in die Entwicklungsarbeit einzubringen“, sagt er. „Aber es geht auch darum, in Ländern, in denen es noch keinen sozialpartnerschaftlichen Dialog gibt, dieses Konzept in die Gewerkschaftsarbeit zu tragen.“
Das ist zum Beispiel bei dem Projekt zur dualen Ausbildung in Bangladesch der Fall. In Deutschland ist es selbstverständlich, dass in der Ausbildung die Interessenvertretung der jungen Beschäftigten institutionalisiert ist. „In anderen Ländern können sich das nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Gewerkschaften nicht vorstellen“, berichtet Weininger. In Bangladesch beginnt die Einführung der dualen Ausbildung mit einem Berufsbildungsdialog aller Beteiligten. Weininger hat an einem Planungsworkshop dafür teilgenommen. Diese Art der Berufsbildungsarbeit hat eine lange Tradition bei der GIZ. „Aber dass die Perspektive der Arbeitnehmervertretung einbezogen wird, ist neu“, sagt er.
Eine weitere Aufgabe von Weininger: Der Austausch mit den Business Scouts bei den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft. Er arbeitet daran, einen organisatorischen Austausch zu schaffen, damit sich Gewerkschaften und verschiedene Wirtschaftsverbände wie der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, der Bundesverband der deutschen Industrie oder die Deutsche Industrie- und Handelskammer über entwicklungspolitische Fragen austauschen können. „Einige Themen sind übergreifend für Gewerkschaften und Unternehmen wichtig“, ist Weininger überzeugt. Dazu gehören Fragen der Rohstoffsicherung oder der Fachkräftemangel.
Autorin: Anja Krüger ist Journalistin. Sie lebt in Berlin und verfolgt gewerkschaftliche Entwicklungen seit vielen Jahren.
Aus NORDSÜD NEWS September 2025 "Internationale Zusammenarbeit"