
Pflegearbeit weltweit - "Die neuen Kolleg_innen werden warmherzig aufgenommen"
»Die neuen Kolleginnen und Kollegen werden warmherzig aufgenommen«
Mehr als 2.000 Pflegekräfte sind über das Projekt »Triple Win« aus dem Ausland nach Deutschland gekommen. Das »hilft enorm«, sagt Herbert Beck von ver.di.
NORD I SÜD news: Herr Beck, in Deutschland gibt es rund 2,86 Millionen Pflegebedürftige, gleichzeitig fehlen Pflegekräfte. Diesem Missstand will CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn mit 13.000 neuen Stellen für Pflegeeinrichtungen begegnen. Reicht das?
Herbert Beck: Bei weitem nicht. Gemessen am Personalbedarf ist das der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
Mit dem Projekt »Triple Win«, das die Bundesarbeitsagentur und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit 2013 ins Leben gerufen haben, werden aus dem Ausland Pflegekräfte angeworben. Wie funktioniert das?
»Triple Win« basiert auf einem staatlich-bilateralen Abkommen zwischen Deutschland und den Philippinen, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Tunesien, mit dem die Anwerbung nach Deutschland und die Beschäftigung hier detailliert geregelt sind. Wenn ein Krankenhaus oder eine Altenpflegeeinrichtung in Deutschland einen Bedarf an Pflegekräften hat, kann es sich an die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesarbeitsagentur wenden. Die ZAV schaut dann, ob es in den jeweiligen Ländern Bewerbungen von solchen Pflegekräften gibt.
Wie geht es dann weiter?
Entweder fliegen Arbeitgebervertreter in das entsprechende Land und lernen die Bewerberinnen persönlich kennen oder die Auswahlentscheidung findet auf Grundlage von Skype-Interviews statt.
Welche Bedingungen müssen die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen erfüllen?
Sie müssen den vorgegebenen Musterarbeitsvertrag der ZAV oder den günstigeren Tarifvertrag ihrer Einrichtung anwenden und Wohnraum zur Verfügung stellen. Für die ausländischen Arbeitnehmer_innen gelten die gleichen Löhne und betrieblichen Regelungen wie für deutsche Pflegekräfte.
Was müssen die Entsendestaaten leisten?
Sie müssen die fachliche Qualifikation der Interessenten und deren Deutschkenntnisse überprüfen und einen Deutschkurs anbieten, so der nötig ist. Vor der Abreise nach Deutschland durchlaufen die Pflegekräfte ein sogenanntes Vorabreiseorientierungstraining, das sie auf das Leben und die Arbeit hier vorbereitet. Von der Auswahl bis zum Arbeitsbeginn dauert es etwa drei bis fünf Monate.
Wie viele Pflegekräfte sind bislang gekommen?
Über 2.000. Das klingt wenig, hilft aber enorm. Die Unikliniken in Tübingen und in Freiburg etwa haben mittlerweile 90 bis 100 philippinische Pflegekräfte und sind sehr froh darüber. Es kommen nur qualifizierte Pflegekräfte, in der Regel mehr Frauen als Männer. Sie bekommen, bis das Anerkennungsverfahren und Prüfungen der Papiere abgeschlossen sind, einen für ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag.
Was, wenn die Ausbildung in den Entsendeländern nicht hiesigen Standards entspricht?
Die Stundenzahl ist eher höher als in Deutschland, allerdings auf Kosten der praktischen Ausbildung. Diese Defizite werden hier durch eine ausführliche Einarbeitung und Integration kompensiert. Das führt zunächst zu einer noch höheren Belastung des ohnehin schon schwer beanspruchten Personals. Aber das muss man etwa ein Vierteljahr in Kauf nehmen, am Ende zahlt es sich aus.
Führt die Anwerbung nach Deutschland zu einem »Care Drain« in den Entsendeländern?
In den teilnehmenden Ländern nicht, dort werden mehr Pflegekräfte ausgebildet, als in Jobs vermittelt werden können. Aufgrund der Überkapazität wird in den Philippinen gezielt dafür geworben, auch im Ausland zu arbeiten. Die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation sowie die Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation, dass in den Entsendeländern keine medizinische und pflegerische Unterversorgung entsteht, werden selbstredend eingehalten. Deshalb befürworten die hiesigen Gewerkschaften dieses staatlich geregelte Projekt, auch wenn es nur eine Möglichkeit ist, dem Pflegenotstand zu begegnen.
Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass sich ausländische Pflegekräfte hier »unter Wert« fühlen?
Das betrifft eher Pflegekräfte aus der EU. In Spanien und Italien beispielsweise dürfen Krankenpflegekräfte bestimmte Tätigkeiten vornehmen, die bei uns Ärzten vorbehalten ist. Auf die Pflegekräfte aus den Philippinen trifft das aber nicht zu.
Wie sieht es mit der Integration aus?
Die Krankenhäuser und Altenpflegeeinrichtungen mit angeworbenen Pflegekräften, die ich kenne, haben meist gute Integrationskonzepte. Die neuen Kolleginnen und Kollegen werden warmherzig aufgenommen, integriert und wohnen in der Regel zusammen, weil sie das so wollen. Von den mittlerweile 80 Pflegekräften aus Bosnien-Herzegowina und Serbien am Uni-Klinikum in Heidelberg haben manche sogar schon ihre Familien nachgeholt.
Interviewerin: Simone Schmollack arbeitet als Journalistin in Berlin und ist immer wieder in Asien unterwegs.
Herbert Beck ist Vorsitzender des Gesamtpersonalrats am Uniklinikum Heidelberg und Vizevorsitzender des ver.di Gewerkschaftsrates