Perus exportorientierte Landwirtschaft: Spargelboom auf dem Rücken der Arbeiter_innen
Mehr als 300.000 Menschen arbeiten in der Agrarwirtschaft Perus, die Spargel, Avocados, aber auch Mangos und Weintrauben für den Weltmarkt produziert. Doch sorgt ein Gesetz aus der Fujimori-Ära dafür, dass die großen Agrokonzerne im Vorteil sind.
Schon von weitem ist das satte Grün in der gräulich-ockerfarbenen Dünenlandschaft zu sehen. Spargelkraut neigt sich sanft im Wind, und je näher wir Trujillo kommen, desto größer werden die grünen Felder links und rechts der Schnellstraße. »Mango, Avocado, Spargel, Mandarinen und Weintrauben werden hier vor allem angebaut«, sagt Marisol Gutiérrez Torres. Sie lebt in Trujillo. Die im Norden Perus liegende Küstenstadt hat sich in den letzten zwanzig Jahren zur Drehscheibe der industriellen Agrarexporte Perus entwickelt. Ihr ehemaliger Arbeitergeber Camposol ist Marktführer in Peru. Rund 20.000 Arbeiter_innen sind im Anbau des seit 1997 in der Wüste agierenden Agrarexporteurs beschäftigt.
Der Standort hat Vorteile. »Schädlinge sind seltener und lassen sich deutlich einfacher kontrollieren«, erklärt Víctor Pat Ramos und führt die Besucher durch die biologische Forschungsstation, wo mit Chilischote und Co erfolgreich gegen Schädlinge vorgegangen wird. Innovationen spielen eine große Rolle rund um Trujillo, in den letzten zwanzig Jahren sind hier mehrere Zehntausend Arbeitsplätze neu entstanden.
Ein Grund dafür ist die Spargelnachfrage in Deutschland, der Schweiz oder Frankreich außerhalb der dortigen Erntesaison, ein anderer die Ergänzung der Anbaupalette um Avocado, Weintraube, Mango.
2019 lagen die Zuwächse erneut bei rund sechs Prozent, die Gesamtumsätze stiegen auf 7,462 Milliarden US-Dollar. Das verspricht den Menschen eine Perspektive, die aufgrund des Klimawandels und der Gletscherschmelze aus den Bergen der Cordillera Blanca von Huaraz in die Region von Trujillo gezogen sind.
Kaum ein Jahr vergeht, in dem im Tiefland von Peru nicht ein neues Produkt unter agroindustriellen Anbaubedingungen ausprobiert wird. Mittlerweile experimentiert man auch mit dem Inkakorn Quinoa. Als die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, 2013 zum Jahr des proteinreichen Wunderkorns erklärte, stieg die Nachfrage weltweit explosionsartig. Jedes hippe Restaurant zwischen Berlin und Tokio hatte zwischenzeitlich mindestens einen Quinoa-Salat oder -Burger auf der Speisekarte.
Längst wieder vorbei, genauso wie die hohen Preise für die kleinen nussig schmeckenden Körner, die sich die lokale Bevölkerung in den peruanischen und bolivianischen Anden zwischenzeitlich kaum leisten konnte. Dort wachsen die bis zu zwei Meter hohen krautigen, mit Rispen bedeckten Stängel oberhalb der 3.000 Meter. »Das hat sie für die Inka zur Alternative zum Mais werden lassen«, sagt Abraham Apaza von der bolivianischen Quinoa-Genossenschaft Anapqui. Die verfolgt die Anbau-Experimente von Agrarunternehmen wie Camposol oder Agrícola Viru im peruanischen Tiefland skeptisch. Anapqui hat im bolivianischen El Alto eine kleine Fabrik zur Verarbeitung der Quinoa-Körner zu Keksen und Nudeln aufgebaut. »Quinoa wird traditionell von Kleinbauern produziert, die Industrialisierung des Anbaus wäre aus unserer Perspektive eine schlechte Nachricht«, so Apaza.
Diese schlechte Nachricht besteht nicht nur darin, dass die Konzerne der Genossenschaft Konkurrenz machen. Die Erfolge von Unternehmen wie Camposol oder Agrícola Viru werden auch auf dem Rücken der Arbeitenden erwirtschaftet, kritisiert Walter Campos, langjähriger Präsident der Gewerkschaft Fentrago, die die Arbeiter_innen im Lebensmittelsektor vertritt, und der bei Camposol tätig ist. »Das Gesetz 27.360 zur Förderung der Export-Landwirtschaft sorgt dafür, dass es kein 13. oder 14. Monatsgehalt für die Mitarbeiter_innen gibt, egal ob auf dem Feld oder in der Weiterverarbeitung«, kritisiert er.
Diesen Wettbewerbsvorteil nicht nur gegenüber der bolivianischen Konkurrenz genießen Perus Agrarexporteure seit dem Jahr 2000, verabschiedet wurde er noch unter dem autoritärem Ex-Präsidenten Alberto Fujimori, 2010 dann um weitere zehn Jahre verlängert und trotz aller Proteste der Gewerkschaften im Dezember 2019 noch einmal. Der Exportverband Adex hat sich durchgesetzt. Annähernd 300.000 Menschen würden damit diskriminiert, sagt Campos. So viele arbeiten im Agrarexportsektor des Landes.
Autor: Knut Henkel ist Journalist und berichtet regelmäßig aus Lateinamerika
09/2020