
Just Transition: Mexiko - Die Last der schlechten Tradition
Ökologische und soziale Nachhaltigkeit gehen in Mexiko nicht so richtig zusammen. Das liegt auch daran, dass viele große Gewerkschaften noch aus einer Zeit stammen, in denen sie Teil eines korrupten und klientelistischen Systems waren. Oppositionelle kleinere streiten dagegen an der Seite der indigenen Bevölkerung
Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador sieht keinen Grund zur Sorge. Auf keinen Fall werde er den Klimanotstand ausrufen. Viel wichtiger sei es, die Natur zu regenerieren, Wälder wieder aufzuforsten und das Wasser nicht weiter zu verschmutzen. Und da sei er mit der Arbeit seiner Regierung sehr zufrieden, sagt der Staatschef und verweist auf das Programm »Sembrando Vida« – »Leben säen«. Damit ist für ihn auch die Debatte über einen sozial verträglichen Übergang in eine klimafreundlichere Zukunft beendet, während »Fridays for Future«- Aktivist_innen vor den Türen des Nationalpalast demonstrieren.
Nach eigener Darstellung will López Obrador, der das Amt im Dezember 2018 übernommen hat, mit »Sembrando Vida« wirtschaftliche Entwicklung und eine klimafreundlichere Umweltpolitik verbinden. Wer ländliche Regionen bewohnt – insbesondere indigene Gemeinden –, erhält Finanzhilfen für nachhaltige Land- und Forstwirtschaft für den lokalen Markt. Dabei werden sie von Tausenden jungen Leuten unterstützt, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind. »So werden wir eine Million Hektar Wald wiederaufforsten«, verspricht die Webseite des Projekts. Allein 2019 hätten sich 230.000 Menschen beteiligt, erklärte der Staatschef und wird nicht müde, sein zentrales Motto zu wiederholen: »Zuerst die Armen.« Ländliche Regionen durch Transferzahlungen an Kleinbauern zu unterstützen, hat in Mexiko eine lange Tradition.
Früher hätten davon jedoch vor allem agrarindustrielle Unternehmen profitiert, sagt der Klima- und Umweltexperte Raúl Benet. Das Ergebnis: zerstörte Wälder, Monokultur und Massentierhaltung. »Das hat signifikant zur Emission von Treibhausgas beigetragen«, so Benet, der Biologe ist und auch für die Umweltorganisation Greenpeace arbeitet. Rechte von Indigenen und anderen Kleinbauern seien dabei missachtet, Migration forciert worden. »Sembrando Vida« setze dagegen auf örtliche Verwurzelung und kleinbäuerliche Produktion. »Ein guter Umgang mit dem Boden ist ein positiver Beitrag gegen den Klimawandel.«
Die indigenen zapatistischen Rebell_innen halten das Programm dagegen für gefährlich. Es führe zu Korruption und spalte Gemeinden, befürchtet Sprecher Subcomandant Galeano. Da es bislang keine effektive Kontrolle gibt, ist die Gefahr tatsächlich groß, dass Gelder veruntreut werden.
Vor allem aber könnte das Programm benutzt werden, um in der ländlichen Bevölkerung Zustimmung für klimaschädliche Großprojekte zu erkaufen. Denn während der frühere konservative Staatschef Enrique Peña Nieto mit einem Klimawandel-Gesetz den mexikanischen Beitrag zum Pariser Abkommen absichern wollte, hält López Obrador an fossilen Brennstoffen fest. Er will die marode Infrastruktur des teilprivatisierten Erdölunternehmens Pemex auf Vordermann bringen und eine neue Raffinerie bauen, obwohl die mexikanische Ölförderung zu den umweltschädlichsten weltweit zählt. Und obwohl die schlechten Arbeitsbedingungen auf den Plattformen und in den Raffinerien schon für viele Tote gesorgt haben.
Die Ölarbeitenden-Gewerkschaft STPRM unterstützt das Vorhaben. Sie will Arbeitsplätze schaffen und erhalten. Dem ordnet sie alles unter. Die großen Gewerkschaften sind noch immer geprägt von dem über 70 Jahre herrschenden System der Einheitspartei PRI, in dem Unternehmer_innen, Politik, Militär und auch Bauern- und Arbeitervertretungen korrupt und klientelistisch kooperiert haben. Nur einige oppositionelle Gewerkschaften, die innerhalb der großen Verbände agieren, widersetzen sich mit einer gesamtpolitischen Agenda diesem Konzept.
Ein Beispiel ist die kampfstarke linke Lehrendengewerkschaft Sección 22 im Bundesstaat Oaxaca. Gemeinsam mit anderen linken Organisationen und indigenen Gemeinden kämpft sie dagegen, dass weiter Bergbau betrieben wird. Die Regierung vergibt derzeit zwar keine neuen Konzessionen, doch an den etwa 25.000 bestehenden will sie nicht rütteln. Dabei treiben die Minen nicht nur die globale Erwärmung an. Es gibt auch blutige Konflikte zwischen denen, die von dem Abbau profitieren, und jenen, die ihn ablehnen. Vor allem aber zerstört der offene Tagebau die natürlichen Lebensgrundlagen: Böden werden verunreinigt, Wasserquellen vergiftet, Ackerland wird vernichtet.
Auch wo Alternativen umgesetzt werden, kann von einem sozial verträglichen Übergang nicht die Rede sein. Etwa in der Windenergie. 45.000 Arbeitsplätze sollen in diesem Bereich geschaffen werden. Doch im südlichen Isthmus von Tehuantepec, wo die meisten der Windparks entstanden sind, sind sie umstritten. Entgegen ihrem international verbrieften Recht seien sie nie gefragt worden, ob sie mit dem Bau der Anlagen auf ihrem Boden einverstanden sind, kritisieren indigene Kleinbauernorganisationen. Vom versprochenen Fortschritt – Schulen, Krankenhäuser und Arbeitsplätze – sei nichts zu sehen. »Diese neue Form der ›Entwicklung‹«, so erklären sie, »bedeutet den Tod unserer Kultur, stellt Kapitalinteressen über unsere Rechte und zerstört das soziale Geflecht unserer Gemeinden«.
Autor: Wolf-Dieter Vogel lebt als Journalist in Oaxaca und berichtet seit mehr als 20 Jahren aus Mexiko und Mittelamerika.
Dezember 2019