Gutes Wohnen: Position der Gewerkschaften >>Unternehmen haben eine Verantwortung<<
Wohnen ist eine gesellschaftliche Herausforderung, sagt Rasmus Raabjerg Nielsen vom gewerkschaftlichen Beratungsausschuss der OECD (TUAC). Arbeitgeber müssten deshalb dafür sorgen, dass die Beschäftigten von ihren Löhnen leben und Wohnraum finden können. Die Basis dafür seien Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen.
Nord | Süd news: Im globalen Norden sorgen steigende Mieten für real kleinere Einkommen oder lange Arbeitswege, im Süden leben viele Beschäftigte unter unsäglichen Bedingungen. Welche Rolle spielen die Arbeitgeber dabei?
Rasmus Raabjerg Nielsen: Niemand, die oder der arbeitet, sollte gezwungen sein, im Slum zu leben. Wohnen ist nicht nur von zentraler Bedeutung für das wirtschaftliche Wohlergehen eines Landes und seiner Bewohner_innen. Es hat auch erhebliche Auswirkungen auf die öffentliche Ordnung in puncto Beschäftigung, Gesundheit oder Soziales. Bezahlbarer und angemessener Wohnraum für alle sollte daher ein gesellschaftliches Ziel sein. Die Arbeitgeber sind dafür verantwortlich, dass die Beschäftigten ein Entgelt erhalten, von dem sie Leben und Wohnen bestreiten können. Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen sind dafür die Basis. Zudem braucht es Sozialsysteme, die die Einkommenssicherheit der Arbeitnehmenden und ihrer Familien gewährleisten.
Was können Arbeitgeber konkret tun, um die Wohnsituation ihrer Beschäftigten zu verbessern?
Sie sollten zunächst einmal einen Lohn zahlen, der alle regionalen Haushaltskosten abdeckt. Und sie sollten unbefristete Verträge bieten. Banken gewähren Kredite nur solventen Haushalten, die sie nach zwei Variablen definieren: Einkommensniveau und vor allem Arbeitsplatzsicherheit.
Haben Sie ein Beispiel für einen guten Ansatz?
Ich habe kürzlich von einem französischen multinationalen Unternehmen gehört, das die Nähe zum Arbeitsplatz in seine Akquisitionsstrategie einbeziehen will. Das ist vielversprechend.
In Deutschland wird derzeit das Modell der Werkswohnungen wiederentdeckt. Ist das eine Lösung?
Jede Initiative, die Arbeitnehmenden Zugang zu erschwinglichem und angemessenem Wohnraum eröffnet, ist gut. Die Frage ist jedoch, ob Werkswohnungen den Herausforderungen der heutigen Arbeitsmärkte gerecht werden. Welche_r Beschäftigte verbringt sein gesamtes Berufsleben noch bei ein und demselben Unternehmen? Meine Sorge wäre, dass dieses Modell die Arbeitnehmenden zu abhängig macht. Sie könnten zögern, sich an Arbeitskämpfen zu beteiligen oder sich einen neuen Job zu suchen, wenn nicht nur ihr Einkommen, sondern auch ihr Zuhause vom Arbeitgeber abhängt. Ein solches Modell bräuchte Schutzmaßnahmen - wie regulären Mieterschutz oder das Recht auf Privatsphäre.
Braucht es Mindeststandards? Man denke nur an die Fabrikarbeiterinnen, die in Bangladesch auf dem Fußboden neben ihrer Nähmaschine schlafen müssen.
Gemäß den OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen haben solche Konzerne eine Verantwortung, die über das Gesetz hinausgeht – vor allem wenn sie in Entwicklungsländern und im Globalen Süden agieren. Die OECD-Richtlinien und andere internationale Standards scheinen jedoch in Bezug auf die Unterbringung zu schwach zu sein. Nichtsdestotrotz sollten die Unternehmen auf das Ziel Nr. 11 der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung in Städten und Gemeinden verpflichtet werden. Zudem sollte eine wirksame Prüfung obligatorisch sein, die das Risiko von Zwangsarbeit und damit zusammenhängenden Unterbringungsmängeln ermittelt. Dann müssten Unternehmen verhindern, dass sich ihre Geschäftstätigkeit irgendwo in der Lieferkette nachteilig auf die Unterbringung der Beschäftigten auswirkt. Wenn sie Mängel feststellen, müssen sie für Abhilfe sorgen.
In Europa fordern die Gewerkschaften eine sozial gerechte Mietenpolitik oder unterstützen Genossenschaftswohnungen. Reicht das?
Vielleicht sollten wir Wohneigentum als bevorzugte Option in Betracht ziehen. »Sozial gerechte Miete« und kooperatives Wohnen können gute Alternativen sein. Das Hauptproblem bleibt jedoch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum – das muss angegangen werden.
Dafür müsste Immobilienspekulation begrenzt werden.
Wir sollten Wohnungsbau eher als öffentliches Gut denn als privaten Vermögenswert verstehen. Mehr öffentlicher und sozialer Wohnungsbau begrenzt die Immobilienpreise. Auch Obergrenzen für Mietniveaus und Mietsteigerungen sind wirksam. Instrumente wie der Berliner Mietspiegel setzen genau hier an, indem sie transparente Online-Tools zur Bewertung eines fairen Mietpreises bereitstellen, Straße für Straße. Aber auch gezielte Steuermaßnahmen können helfen.
Was können Gewerkschaften noch tun?
Die Gewerkschaftsbewegung hat Arbeitnehmenden in der Vergangenheit erfolgreich angemessenen Wohnraum verschafft. In den nordischen Ländern haben die Gewerkschaften zur Modernisierung des Wohnungsbestandes beigetragen und Pensionsfonds angestoßen, um den Bedarf an sozialem Wohnraum zu decken. Heute stehen wir vor einem Generationenproblem: Junge Menschen arbeiten oft unter unsichereren Bedingungen als noch ihre Eltern, was ihnen den Zugang zum Wohnungsmarkt erschwert. Hier sollten wir ansetzen. Wohnen ist eine gesellschaftliche Herausforderung – da bietet sich der soziale Dialog mit Regierungen und Arbeitgebern an, um Lösungen zu finden.
Uta von Schrenk ist freie Journalistin und schreibt unter anderem für verschiedene Gewerkschaftspublikationen. Sie führte das Interview mit Rasmus Raabjerg Nielsen vom gewerkschaftlichen Beratungsausschuss der OECD (TUAC). Seine Themenschwerpunkte sind unter anderem Entwicklungszusammenarbeit und Wohnen.
April 2020