Gewerkschaften und Demokratisierung Myanmar - Interview mit Alexey Yusupov, FES Myanmar

Textilindustrie Myanmar. Junge Person vor Stoffwaren.

Gewerkschaften haben in dem Land einst gemeinsam mit der NLD für die Demokratisierung gekämpft. Jetzt müssen sie erkennen, dass die Regierung einen arbeitgeberfreundlichen Kurs einschlägt, sagt Alexey Yusupov.

Nord |Süd news: Bei den letzten Kundgebungen der Gewerkschaften sah es so aus, als müsse man sich vor allem gegenseitig Mut machen. Ist ihre Situation in Myanmar so schlecht?

Alexey Yusupov: Die Dynamik der ersten Jahre nach Myanmars Öffnung zur Demokratie nach Jahrzehnten der Militärherrschaft ist in den letzten zwei, drei Jahren abgeflacht. Die Anzahl der Streiks hat sich im letzten Jahr verdoppelt. Arbeitgeber und die Regierung pushen inzwischen, anders als in den ersten Jahren, aktiv gegen Gewerkschaften. Registrierungsprozesse werden zum Beispiel in die Länge gezogen.

Dabei kämpften die Gewerkschaften und die jetzt regierende Nationale Liga für Demokratie (NLD) doch einst gemeinsam für ein demokratisches Myanmar.

Richtig, die Wurzeln der Gewerkschaften in Myanmar sind politischer Art. Unter der Militärregierung waren sie verboten. Viele gingen deshalb nach den Protesten von 1988 ins Exil nach Thailand und unterstützten von dort die Demokratie-Bewegung, indem sie im Ausland etwa Lobby machten für Sanktionen. So zum Beispiel Maung Maung, der jetzige Präsident von Myanmars einziger Gewerkschafts-Konföderation CTUM. Er hat sich in der Zeit im Exil international so gut vernetzt, dass wenn hier beim Lidl-Zulieferer ein Streik ausbricht, er direkt den Hörer abnehmen und beim deutschen Gewerkschaftsvorsitzenden anrufen kann.

Wie stark sind die Gewerkschaften derzeit?

Insgesamt sind 300.000 Arbeitende in Myanmar gewerkschaftlich organisiert. Das ist bei einer Arbeitsbevölkerung von 22 Millionen nicht viel. Aber Gewerkschaften wurden ja auch erst 2013 legal. Sie sollten ein Stein werden im Fundament von Myanmars Demokratie. Aber das ist nicht wirklich so gekommen. Staatsrätin Aung San Suu Kyi hat sich bisher kein einziges Mal mit Arbeitnehmervertretungen getroffen. Das Treffen mit Arbeitgeberverbänden alle zwei Monate ist dafür ein fixer Termin in ihrem Kalender. In Entwürfen zum neuen Arbeitsgesetz lassen sich außerdem krasse Rückschritte hinter die Gesetzgebung der militärgestützten Vorgängerregierung erkennen - auch im Hinblick auf die ILO-Kernkonventionen, die Myanmar unterschrieben hat. Ich habe selber lange zu denen gehört, die zögerlich waren und negative Entwicklungen mit der enormen Komplexität der Transformation erklärten. Aber heute sage ich: Die Regierung fährt eindeutig einen anti-gewerkschaftlichen Kurs.

Das klingt fast so als würde die demokratische Führung die Gewerkschaften sabotieren?

Derzeit ist das wirklich so. Es wird auch gemunkelt, die NLD könnte eine eigene Gewerkschaft gründen. Ich bin gespannt, ob die Gewerkschaften sich bei den nächsten Wahlen 2020 gegen sie positionieren. Bei einer Demonstration sagte ein Gewerkschaftsführer letztens zum ersten Mal: Die NLD kann ein arbeitender Mensch eigentlich nicht mehr wählen. Aung San Suu Kyis Vater, dem Nationalhelden Aung San, ging es noch um den Schutz von Kleinbauern und Arbeitenden. Die heutige NLD hat sich hingegen nicht als Partei der kleinen Leute herausgestellt.

Wo steht die Demokratisierung in Myanmar denn überhaupt?

Wenn man sich ansieht, ob Macht von Eliten an das Volk zurückgegeben worden ist, dann ist davon nichts passiert. Das gilt so auch für die Gewerkschaftswelt. Da gab es zunächst ein Vakuum, in dem sehr viel entstanden ist. Und jetzt stellt man plötzlich fest: Die NLD zeichnet sich nicht als Regierung aus, die man kritisieren darf.

Die Textilindustrie stellt das Kerngeschäft der Gewerkschaften dar. Hat Myanmar wie gehofft von den Fehlern anderer Billiglohnländern gelernt?

Man hat noch nicht vollends die gleichen Fehler gemacht wie in Bangladesch oder Kambodscha. Bei Arbeitnehmerrechten in Betrieben, Tarifen oder wenn es darum geht, den Lohn aus dem Kostenwettbewerb rauszunehmen, dann sind da noch nicht alle Weichen gestellt. Glücklicherweise sind die Gewerkschaften in Myanmar bei weitem nicht so gespalten wie etwa in Bangladesch. Die Voraussetzungen sind also gut. Auch weil 60 Prozent der in Myanmar gefertigten Bekleidung nach Europa geht, wo die Branche Interesse hat, Dinge besser zu machen und den Näherinnen bessere Löhne zu zahlen. Myanmar hat hier weiterhin die Chance, es besser zu machen.

 

Interviewerin Verena Hölzl lebt seit 2015 als freie Korrespondentin in Myanmar

Alexey Yusupov ist seit 2017 Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Myanmar