Gewerkschaften im Wandel
Was zu tun ist, damit der sozial-ökologische und digitale Umbau der Gesellschaft nicht zu Lasten der Erwerbstätigen geht.
In Vietnam bereiten sich Gewerkschafter_innen auf große Umwälzungen im Energiesektor vor. Die Stromerzeugung soll innerhalb der kommenden zehn Jahre verdoppelt werden, auch der Kohleverbrauch soll steigen. Ausländisches Kapital fließt vor allem in erneuerbare Energien, denn die Produktion von Strom durch Wind, Sonne und Wasser verspricht hohe Gewinne. »Derzeit gibt es in diesem wachsenden privaten Energiesektor keine Gewerkschaften«, berichtet die Organisation Union Aid Abroad – APHEDA. »Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass die Löhne schlecht sind und gefährliche Arbeitsbedingungen bestehen.« Reguläre Arbeitsschutzmaßnahmen würden oft nicht eingehalten.
APHEDA versteht sich als globale Gerechtigkeitsorganisation der australischen Gewerkschaftsbewegung. Sie unterstützt 30 Projekte in Südostasien, im Pazifik, im Nahen Osten und im südlichen Afrika. In Vietnam arbeitet sie mit der Gewerkschaft General Labour Congress zusammen, die landesweit über zehn Millionen Arbeitnehmende vertritt, darunter 100.000 Mitglieder des öffentlichen Energieversorgers Vietnam Electricity Group. Organisation und Gewerkschaft haben ein großes Ziel: Sie wollen angemessen bezahlte und sichere Arbeitsplätze, gleichzeitig das Klima schonen und dafür sorgen, dass die Energiepreise für die Beschäftigten erschwinglich bleiben.
Vietnam gehört zu den fünf Ländern der Erde, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Im Durchschnitt wird es wärmer, Niederschläge im Norden und Dürren im Süden nehmen zu, der Meeresspiegel steigt bedrohlich. Die Erderhitzung ist ein Problem. Vor allem viele Länder des Globalen Südens sind in einer finanziell prekären Lage, für sie ist die Bewältigung von Katastrophenfolgen schwieriger als für reiche Industriestaaten. Alle Volkswirtschaften der Welt müssen ihre CO2-Emissionen herunterfahren, um den Klimawandel zu begrenzen. In vielen Ländern hat der Umbau zu einer CO2-armen Wirtschaft begonnen, auch die Digitalisierung soll dabei helfen.
Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) hat bereits 2016 ein Zentrum für »Just Transition«, einen »gerechten Übergang«, eingerichtet. Es bringt Gewerkschaften, Organisationen, staatliche Stellen und Unternehmen zum Dialog über den sozialen und ökologischen Umbau zusammen. Damit Gewerkschaften in den verschiedenen Ländern von den Erfahrungen der anderen profitieren, sammelt es Fallstudien über erfolgreiche Projekte, zuletzt etwa den Zwischenbericht der schottischen Just-Transition-Kommission.
Diese fordert von der Regierung unter anderem, dass die Vorteile von Maßnahmen zum Klimaschutz allen zu Gute kommen müssen und die Kosten nicht gerade diejenigen belasten dürfen, die ohnehin wenig haben. Die finnische Gewerkschaftsorganisation SAK hat eine Dokumentation über faire Klimapolitik für Arbeitnehmende herausgegeben. Sie listet Instrumente für einen gerechten Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft auf, etwa finanzielle Kompensationen durch die Regierung, wenn Beschäftigte Einbußen durch Stilllegungen haben, oder die Entwicklung von Strategien zur Ansiedlung neuer Branchen. In Schweden und Norwegen waren Gewerkschaften an der Formulierung der nationalen Klimapolitik beteiligt und haben Dutzende von Roadmaps für die Veränderungen in verschiedenen Branchen erstellt.
Die fortschreitende Digitalisierung kann dabei einen großen Beitrag leisten, aber sie verunsichert Beschäftigte auch enorm. Denn sie kann auch bedeuten, dass Arbeitsplätze verlorengehen. Neu entstandene Erwerbsmöglichkeiten im Internet sind oft schlecht bezahlt, die Beschäftigten oder Auftragnehmenden haben quasi keine Rechte.
Kein Wunder, dass der Klimawandel und die Auswirkungen neuer Technologien Menschen weltweit erhebliche Sorgen bereiten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage im Auftrag des IGB, die im Februar und März 2020 – also zu Beginn der Corona-Krise – in Argentinien, Indien, Südafrika und 16 weiteren Ländern durchgeführt wurde, in denen zusammen 56 Prozent der Weltbevölkerung leben. Knapp zwei Drittel der Befragten sind der Auffassung, dass ihre Regierung mehr tun sollte, um einen gerechten Übergang in eine klimaneutrale Zukunft zu fördern. Außerdem sind die Menschen besorgt, wie große internationale Technologieunternehmen reguliert werden können – und ob überhaupt. Und darüber, dass die Arbeitskräfte dort zu wenig geschützt sind. »Die Macht und Dominanz großer Technologieunternehmen wurden während der Covid-19-Pandemie noch weiter ausgebaut«, so IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow.
Damit der sozial-ökologische und digitale Umbau nicht zu Lasten der Erwerbstätigen geht, empfiehlt das Trade Union Advisory Committee (TUAC), der Gewerkschaftsrat der OECD, »Just Transition Plans« aufzustellen, Pläne für einen gerechten Übergang. Und als weiteres Instrument, einen Übergangsfonds zu gründen, mit dem etwa schutzbedürftige Gemeinschaften unterstützt oder Förderprogramme aufgelegt werden können. »Gerechte Übergangsmaßnahmen sind eine entscheidende Voraussetzung für die Umsetzung der ehrgeizigen Klimapolitik, die wir dringend brauchen«, stellt TUAC fest. Denn ohne sie werde es nicht genug Unterstützung für die Reformen geben, die zum Schutz des Klimas erforderlich sind.
Als Aufgabe der Gewerkschaften sieht TUAC, mit Hilfe von sozialem Dialog und dem Abschluss von Tarifverträgen Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern und eine breitere Verteilung von Produktivitätsgewinnen zu gewährleisten. Auch sollten sie dafür sorgen, dass Anreize für die Aus- und Weiterbildung gesetzt werden. Öffentliche Investitionen seien wichtig, um die digitale und sozial-ökologische Transformation zu gestalten, etwa um Infrastrukturlücken zu schließen und die Entwicklung umweltverträglicher Industriestrategien voranzutreiben.
Angesichts der Corona-Krise fordert TUAC Staaten auf, die Welt bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie auf einen gerechteren und nachhaltigeren Weg zu bringen. »Das bedeutet echten sozialen Dialog und sozial entschlossene öffentliche Investitionen, die das Mandat beinhalten, dass grüne Arbeitsplätze gute Arbeitsplätze sein sollen, mit Übergangsfonds und Industriepolitik«, so TUAC-Präsident Richard Trumka. »Dazu muss es Garantien für Arbeitsrechte geben, Unternehmen und Regierungen müssen an den Tisch kommen und sich darauf einigen, das Recht der Arbeitnehmer auf eine Stimme anzuerkennen und Tarifverträge auszuhandeln.« Der Gewerkschaftsrat fordert, dass sich Hilfen für Unternehmen und Industrie am Klimaschutz und einem gerechten sozial-ökologischen Umbau orientieren.
Autorin: Anja Krüger lebt als Journalistin in Berlin und beschäftigt sich unter anderem mit Gewerkschaftspolitik
November/2020