>>Frau Merkel, wir brauchen ein Lieferkettengesetz!<<
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Unternehmen müssen für unverantwortliche Geschäftspraktiken auch bei ihren Zulieferern haftbar gemacht werden, Das fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund gemeinsam mit rund 60 Organisationen. Die Kampagne läuft.
Es sind Missverhältnisse wie dieses, die Frank Zach aus dem Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes nicht mehr hinnehmen will: Vom Verkaufspreis für Assam-Tee in den deutschen Geschäften kommen bei Arbeitenden in Indien nur 1,4 Prozent an – das sind etwa bei einer 3-Euro-Packung magere vier Cent. Das Gros des Geldes bleibt bei den deutschen Lebensmittelhändlern, bei Aldi, Edeka, Lidl oder Rewe, und bei Teeunternehmen wie Ostfriesische Teegesellschaft und Teekanne: gut 86 Prozent. Den Rest bekommen Zwischenhändler und Plantagenbesitzende. Die Hilfsorganisation Oxfam hat auf 50 Plantagen in Assam 510 Arbeitende befragen und Daten zu den Lieferbeziehungen nach Deutschland analysieren lassen. Die Ergebnisse hat sie in der Studie »Schwarzer Tee, weiße Weste« zusammengestellt.
Die Arbeitenden in Assam verdienten pro Tag nur zwischen 137 und 170 indische Rupien, umgerechnet 1,73 bis 2,14 Euro. »Das ist weniger als die Hälfte dessen, was in Assam für ein menschenwürdiges Leben notwendig wäre, also einem existenzsichernden Lohn entspräche«, sagt Zach. Die Profitgier der Unternehmen werde größer, die demokratischen Spielräume für erwerbstätige Menschen schrumpften. Das gehe aus dem Globalen Rechtsindex 2018 des Internationalen Gewerkschaftsbundes, IGB, hervor. In 123 von 142 untersuchten Ländern wurden demnach Streiks erheblich eingeschränkt. Ein Jahr zuvor war das in 116 von 139 Ländern der Fall.
Der DGB habe darum zusammen mit mehr als 60 anderen Organisationen – darunter außer Oxfam zum Beispiel das katholische Hilfswerk Misereor und der Umweltverband BUND – die Kampagne für ein Lieferkettengesetz gestartet, erklärt Zach.
Deutsche Unternehmen sorgen nicht ausreichend dafür, dass entlang der Lieferketten die Menschenrechte und grundlegende Umweltstandards eingehalten werden. Beispiele dafür listen die Organisationen auf der neuen Kampagnen-Webseite auf: 258 Menschen starben, weil der Brandschutz in einer Zulieferfabrik des Textildiscounters Kik in Pakistan mangelhaft war. 246 Menschen kamen ums Leben, weil in einer brasilianischen Erzmine ein Damm brach, obwohl der TÜV Süd Brasilien kurz zuvor noch zertifiziert hatte, dass dieser sicher sei.
Die Kampagnen-Leute rufen dazu auf, eine Petition zu unterzeichnen: »Frau Merkel, wir brauchen endlich ein Lieferkettengesetz!«. Mehr als 75.000 Menschen haben bereits mitgemacht.
Entsprechend den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen müsse ein Lieferkettengesetz drei Punkte beinhalten, um wirksam zu sein, sagt Zach. Erstens müssten alle großen Unternehmen, die in Deutschland ansässig sind oder Geschäfte tätigen, eine Risikoanalyse machen, um die Auswirkungen auf Menschenrechte, auf Belange der Beschäftigten und auf die Umwelt zu ermitteln. Zweitens: Sie müssten fortan gegensteuern und öffentlich machen, wie gut sie dabei sind. Drittens: Sollten sie sich weigern, die Berichte zu liefern, gebe es Bußgelder oder sie würden von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen. Treten Schäden auf, weil Unternehmen den Sorgfaltspflichten nicht nachkommen, könnten Betroffene ihr Recht vor deutschen Gerichten einfordern.
»Verantwortlich handelnde Unternehmen haben gar nichts zu fürchten«, meint Zach. Firmen wie der Konsumgüterriese Tchibo oder Kik hätten sich schon dafür ausgesprochen, auch der Autokonzern Daimler habe keine Probleme mit einem solchen Gesetz. Gelten soll es für Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitenden, einem Jahresumsatz von mehr als 40 Millionen Euro oder einer Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro. Kleinere Firmen wären nur dann betroffen, wenn ihre Haupttätigkeit in einem Risikosektor liegt, sie beispielsweise zur Textil- oder Automobilbranche gehören.
Freiwilligkeit helfe nicht, so der Gewerkschafter weiter. Denn Unternehmen, die soziale und ökologische Standards in Verträgen festlegten, konkurrierten dann mit jenen, die sich um jede Verantwortung drücken und ihre Mitarbeitenden oder die Umwelt ausbeuten – und wären aufgrund ihrer höheren Preise benachteiligt. Zach und seine Mitstreitenden wollen als nächstes mit Bundestagsabgeordneten über das Lieferkettengesetz reden, das aus ihrer Sicht spätestens 2022 in Kraft treten sollte.
Autorin: Hanna Gersmann
Dezember 2019
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