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Bisher hatten vor allem süddeutsche Gerichte sich schwergetan, dem Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch zuzugestehen, wenn der Arbeitgeber eine Betriebsänderung durchführt, ohne einen Interessenausgleich abzuschließen oder abschließend zu verhandeln. Das LAG München hat vor einigen Monaten einen entscheidenden Schritt getan: Es sprach einem Betriebsrat in genau solch einem Fall einen Unterlassungsanspruch zu.
Die Arbeitsgerichte in Hamburg, Schleswig-Holstein und Hamm erkannten schon länger die Berechtigung und Notwendigkeit eines Unterlassungsanspruchs für den Betriebsrat, wenn ein Arbeitgeber eine Betriebsänderung ohne abschließende Interessenausgleichsverhandlungen durchführte. (Landes-) Arbeitsgerichte in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Bayern ließen es dagegen mit einem Individualanspruch auf Nachteilsausgleich für die ArbeitnehmerInnen gut sein. Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts München 6 TaBVGa 6/08 vom 22.12.2008 könnte einen Richtungswechsel auch in Süddeutschland markieren.
- Arbeitgeber begann einfach mit der Durchführung der BÄ -
410 ArbeitnehmerInnen wollte ein Arbeitgeber im Rahmen einer Abteilungszusammenlegung aus ihrem ursprünglichen Betrieb in einen anderen Münchener Betrieb versetzen – eine Betriebsänderung gemäß § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG im Sinne einer Betriebseinschränkung. Obwohl die Interessenausgleichsverhandlungen noch zu keinem Ergebnis gekommen waren, begann der Arbeitgeber munter mit der Umsetzung der Personen.
Der 17köpfige Betriebsrat ließ sich das dreiste Verhalten des Arbeitgebers nicht gefallen. Er zog zunächst vor das Arbeitsgericht, um eine einstweilige Verfügung zu beantragen, mit der sich die Durchführung der betriebsändernden Maßnahmen stoppen lässt. Als dieses den Erlass der einstweiligen Verfügung abwies, ließ er sich nicht entmutigen und legte Beschwerde vor dem LAG München ein.
- Nachteilsausgleich schützt keine kollektiven Beteiligungsrechte -
Das LAG München half der Beschwerde ab, erließ die Verfügung und bejahte den Unterlassungsanspruch für den Betriebsrat. Es begründete seine Entscheidung klar und schlüssig. Zunächst räumte es mit dem viel verbreiteten Argument auf, ein Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 BetrVG für die ArbeitnehmerInnen reiche aus, um den Betriebsratsinteressen in solch einem Fall gerecht zu werden. Dieser individualrechtliche Anspruch sei nicht geeignet, die kollektiven Beteiligungsrechte des Betriebsrats im Rahmen der Betriebsverfassung zu sichern. Der Anspruch ziele gerade nicht darauf ab, den Betriebsrat hinsichtlich seiner Informations- und Beratungsrechte zu schützen.
Allein ein Unterlassungsanspruch nehme diese Funktion wahr. Auch dürfe dieser nicht auf die Zeit bis zum Abschluss der Beratung beschränkt werden. Inbegriffen sei, sowohl dem Betriebsrat die Möglichkeit zu wahren, den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung zu ersuchen, als auch die Verhandlungen zu einem Abschluss zu bringen, sei es nun durch eine Einigung oder durch eine Feststellung des Scheiterns der Verhandlungen. Nur so könne der Betriebsrat die „Arbeitnehmerinteressen argumentativ einführen und deren Berücksichtigung im Entscheidungsprozess ermöglichen“.
- Auslegung von EU-Richtlinie verlangt Unterlassungsanspruch -
Das Gericht untermauerte seine Argumentation noch mit Art. 8 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2002/14/EG vom 11. März 2003 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der EU. Da Deutschland diese Richtlinie innerhalb der dreijährigen Umsetzungsfrist noch nicht umgesetzt habe, müssten die §§ 111 ff BetrVG wenigstens richtlinienkonform ausgelegt werden. Das europäische Recht fordere ein Nebeneinander verfahrenssichernder Maßnahmen und Sanktionen bei Verstößen. Dies gebiete es, dem Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch zu gewähren.
Auch den notwendigen Verfügungsgrund, der erforderlich ist, um den Unterlassungsanspruch schnell und effektiv durchzusetzen, bejahte das Gericht. Der Anspruch des Betriebsrats auf seine Beteiligung im Interessenausgleichsverfahren wäre nicht zu sichern gewesen, wenn er das Hauptsacheverfahren abgewartet hätte. Immerhin hatte der Arbeitgeber mit der Versetzung der MitarbeiterInnen begonnen und hatte vorgehabt, die Maßnahmen zeitig abzuschließen.
Der Beschluss des LAG München ist eine erfreuliche aber auch notwendige Entscheidung, die die Sicherung der Rechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen ernst nimmt. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise, wo Betriebsräte mit Betriebsänderungen, Zusammenlegungen von Betrieben und Personalabbau zuhauf konfrontiert sind, sollten Arbeitnehmervertreter diese rechtskräftige Entscheidung als Argumentationshilfe nutzen. Dies gilt gerade dann, wenn es um Betriebe im Süden Deutschlands geht.
afuh
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