In Sevilla entscheidet sich das Schicksal der SDGs
Nicht überall fällt die Ernte so üppig aus wie auf dem Feld hier in Pakistan: 4 Billionen US-Dollar fehlen, um Armut und Hunger zu bekämpfen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
02.05.2025 I Weltweit ist die Entwicklungspolitik unter Druck. Gelder fehlen. Nichtsdestotrotz wollen die Vereinten Nationen im Juni in Sevilla an der Reform der internationalen Finanzarchitektur arbeiten. Es geht um Armut, Schulden, Hunger – und die Verantwortung der Weltgemeinschaft.
Die Finanzlücke wird immer größer: Im Jahr 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen 17 Ziele für eine globale nachhaltige Entwicklung bis 2030. Damals war die Lücke für das Erreichen der sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs) schätzungsweise 2,5 Billionen US-Dollar groß. Jetzt gehen Expert*innen davon aus, dass 4 Billionen US-Dollar fehlen, um weltweit Hunger und extreme Armut abzuschaffen, Menschen den Zugang zu sauberem Wasser zu ermöglichen und die übrigen Ziele zu erreichen.
Die Nachhaltigkeitsziele der UN sind ein globaler Plan, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Nach ersten Erfolgen haben Krisen und zunehmende Konflikte wie die Coronapandemie und der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zu Rückschlägen geführt. In fast allen westlichen Staaten wurden und werden die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit zurückgefahren. Dramatische Auswirkungen hat das Einstellen des US-Entwicklungsprogramms durch US-Präsident Donald Trump. Seine Zollpolitik trifft fast alle Staaten und belastet deren Wirtschaft. Sie hindert Länder, ihre Volkswirtschaften gerecht zu entwickeln, fürchtet der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB).
» Der IGB fordert eine Mindeststeuer auf Gewinne für Unternehmen von 25 Prozent, eine Milliardärssteuer und eine Finanztransaktionssteuer. «
Vor diesem Hintergrund findet in Sevilla im Juni 2025 die 4. Konferenz der UN zur Entwicklungsfinanzierung statt. Der Financing for Development-Prozess der Vereinten Nationen ist der bedeutendste multilaterale Prozess, der sich mit der Reform der internationalen Finanzarchitektur befasst, sagt Bodo Ellmers, Direktor des Programmbereichs Finanzierung für nachhaltige Entwicklung bei der Denkfabrik Global Policy Forum Europe (GPFE). In Sevilla soll es darum gehen, den Rückstand beim Erreichen der SDGs aufzuholen. Verhandelt werden soll etwa über Steuer- und Schuldenregeln sowie die Mobilisierung neuer Finanzmittel. Es steht viel auf dem Spiel. „Bei der Konferenz wird über das Schicksal der SDGs entschieden“, sagt Ellmers.
Auch die Zivilgesellschaft nimmt Einfluss auf diesen Prozess. Sie ist in einer begleitenden Steuerungsgruppe organisiert. In ihr sind auch die Gewerkschaften vertreten. „Alle Regeln für die Weltwirtschaft haben direkten Einfluss auf die arbeitenden Menschen“, erklärt Giulia Massobrio, die beim IGB die Vorbereitungen für die Konferenz in Sevillia koordiniert. Die Gewerkschaften wollen erreichen, dass in Sevilla die Weichen für eine angemessene Finanzierung der SDG-Verpflichtungen gestellt werden.
Der IGB fordert unter anderem eine Mindeststeuer auf Gewinne für Unternehmen von 25 Prozent, eine Milliardärssteuer und eine Finanztransaktionssteuer. Er möchte auch erreichen, dass im Abschlussdokument die Forderung nach existenzsichernden Löhnen aufgenommen wird. „Wenn man jemanden außerhalb der UN-Blase fragt, was ‚Entwicklungsfinanzierung‘ für ihn bedeutet, denkt er sofort an sein Einkommen und daran, ob es ausreicht, um über die Runden zu kommen“, sagt sie. Löhne müssten Teil der Abschlusserklärung von Sevilla sein, sie seien ein sehr wirksames Instrument gegen Armut und Ungleichheit.
Eigene Steuereinnahmen sind für Länder die wichtigste Quelle, um staatliche Aufgaben finanzieren zu können. In Entwicklungsländern ist das Aufkommen an Steuern mit 22 Prozent am Bruttonationaleinkommen niedriger als in den OECD-Staaten
mit 34 Prozent. Gründe dafür sind Steuerflucht und -hinterziehung, die Verlagerung der Gewinne von transnationalen Konzernen in Steueroasen sowie der schädliche Steuerwettbewerb. Die Länder des Globalen Südens verlieren dadurch viele Milliarden. Ein systematischer Austausch von Steuerdaten könnte das mindern.
„Wichtig ist auch eine Neuverteilung von Besteuerungsrechten zugunsten des Globalen Südens“, sagt GPFE-Experte Ellmers. Konzerne aus dem Norden machen in Entwicklungsländern Geschäfte, können dort aber nur schwer besteuert werden, weil sie über Tochterunternehmen in Steueroasen ihre Bücher manipulieren.
Gleichzeitig zahlen die Industriestaaten nicht die zugesagten Mittel. Das aus dem Jahr 1970 stammende Ziel, dass Länder 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in die Entwicklungsfinanzierung stecken, wird bis heute nicht erreicht. Dem AidWatch Report 2024 zufolge haben sich die nicht gezahlten Mittel alleine der europäischen Geberländer auf 1,5 Billionen US-Dollar summiert. Deutschland, Frankreich oder Großbritannien und viele andere Länder kürzen Entwicklungsgelder oder schichten sie um. Die EU hat im vergangenen Jahr 2 Milliarden Euro, die für die Entwicklungsfinanzierung vorgesehen waren, in den Grenzschutz umgeleitet.
Dass es auch anders geht, zeigt Spanien, das die Ausgaben erhöhen will. Hier könnte die Konferenz in Sevilla für Besserung sorgen, indem sie einen rechtlichen Rahmen für das 0,7 Prozent-Ziel schafft, das bislang nur eine unverbindliche politische Willenserklärung ist.
Zu den Punkten, die in Sevilla auf der Tagesordnung stehen, gehört neben Steuerfragen die Verschuldung. Denn es nützt nichts, wenn die Länder des Globalen Südens ihre Einnahmesituation verbessern, das Geld dann aber in den Schuldendienst fließt. Die Idee ist, ein internationales Schulden- und Insolvenzregime zu schaffen. Doch hier blockieren nicht nur die USA, sondern auch die EU.
Noch ist unklar, wie sich die USA in Sevilla verhalten und ob sie den Prozess überhaupt weiter begleiten. Bei den Vorverhandlungen über ein Ergebnisdokument seien sie destruktiv, sagt Ellmers. Sie wollten nicht, dass die UN selbst oder über sie eine andere internationale Organisation wie der Internationale Währungsfonds oder die Weltbank ein Mandat erhält, um grundlegende Reformen umzusetzen.
„Aber genau darum geht es“, so Ellmers. „Politische Absichtserklärungen werden nicht reichen, die Sevilla-Konferenz muss ambitionierte Maßnahmen beschließen.“
Sollte ein Abschlussdokument verabschiedet werden, ist es zwar rechtlich unverbindlich. Aber es hat eine große politische Bedeutung. „Gibt man das auf, gibt man auch die Agenda 2030 auf“, sagt der Finanzierungsexperte. Entscheidend wird der Willen zur Umsetzung nach der Konferenz sein.
Ein wichtiges Forum, um die Diskussion voranzutreiben, ist die Vollversammlung der UN. Im Sommer wird die bisherige deutsche Außenministerin Annalena Baerbock deren Vorsitz übernehmen. Sie könnte in dieser Funktion wichtige Impulse geben, damit Beschlüsse aus Sevilla umgesetzt werden, sagt Ellmers.
Das hofft auch Giulia Massobrio vom IGB: „Das ist eine großartige Gelegenheit, die wir nicht verpassen dürfen.“
Autorin: Anja Krüger
Aus NORDSÜD NEWS Mai 2025 “Entwicklung braucht Geld“
Positionspapier des IGB zur Entwicklungsfinanzierungskonferenz
https://www.ituc-csi.org/IMG/pdf/ituc_inputs_to_ffd4_elements_paper_en_final.pdf