Hausangestellte organisieren sich
10.09.2024 I Die migrierten Arbeiter*innen dürfen oft nicht raus, sind einsam,
werden missbraucht: Die transnationale Gewerkschaft Pin@y startet nun in einigen Ländern Gegenkampagnen wie „Ein freier Tag pro Woche“.
Gewerkschafter*innen beim Gründungskongress von Pin@y.
Grace Shiella Estrada hat 30 Jahre Erfahrung als Hausangestellte in Hongkong – jetzt ist sie Präsidentin der Ende 2022 gegründeten transnationalen Gewerkschaft Pin@y. Die organisiert philippinische Hausangestellte, die in Malaysia, Jordanien, Bahrain und weiteren fünf Ländern arbeiten. Seit 2016 unterstützt das DGB Bildungswerk Vorbereitung und Organisationsaufbau.
Es hilft, wenn sich wie in Hongkong Treffpunkte etabliert haben, wo viele Frauen an ihren freien Tagen hinkommen. „Wochentags gehen wir auf
Märkte, sprechen sie in Bussen an oder stehen vor Schulen, wo sie auf die Kinder der Arbeitgeber warten“, sagt Estrada. In der chinesischen Sonderwirtschaftszone Macao leben die meisten philippinischen Haushaltskräfte sogar in Wohngemeinschaften.
In diesen Fällen ist es für die Gewerkschafterinnen relativ unkompliziert, Kontakt aufzunehmen. Anderswo gestaltet sich das hingegen als schwierig. Viele Hausangestellte in Malaysia oder Kuwait sind völlig isoliert und vereinsamt, manche dürfen ihr Arbeitsumfeld kaum verlassen. „Ich habe eine Frau getroffen, die in zwei Jahren in Malaysia keinen einzigen Tag draußen war“, berichtet die Gewerkschaftsvorsitzende. In Taiwan existiert zwar ein Gesetz, das einen freien Tag pro Woche vorschreibt. „Aber bei häuslichen Pflegekräften lässt sich das oft nicht umsetzen und sie sind gezwungen, die alten Menschen in ihrer ‚Freizeit‘ mitzunehmen“, so die 64-Jährige.
In Kuwait und Bahrain liegt der Fokus auf einer Aufweichung des Kafala-System.
Grace Shiella Estrada
Präsidentin von Pin@i
Hauptamtliche Strukturen vor Ort gibt es so gut wie keine. Manchmal stellen regionale Nichtregierungsorganisationen Räume zur Verfügung für Organisationstrainings und Rechtsberatung. In Hongkong ist die Mitgliedsorganisation von Pin@y, die Progressive Labour Union for domestic Workers (PLUdw), immerhin als Gewerkschaft anerkannt. Anderswo gelten die lokalen Gruppen lediglich als Arbeiterinnen-Organisationen oder sind bei der philippinischen Botschaft registriert, berichtet Susanne Ludwig, die beim DGB Bildungswerk für das Projekt zuständig ist.
Fast die gesamte Arbeit basiert auf engagierten Ehrenamtlichen: 1.150 Mitglieder hat das Netzwerk inzwischen. Sie bekommen Schulungen, wenn sie einmal im Jahr auf Heimaturlaub sind. Dabei überlegen die Frauen dann gemeinsam, welche Forderungen für das jeweilige Land passend sind.
Für Malaysia läuft eine Kampagne unter dem Motto „Ein freier Tag pro Woche“. In Kuwait und Bahrain liegt der Fokus auf einer Aufweichung des Kafala-System: Arbeitskräfte aus dem Ausland müssen ihren Pass beim Arbeitgeber abliefern, weil sie offiziell dessen „Gäste“ sind. So ist es fast unmöglich, den Job zu wechseln oder einfach nach Hause zu fahren.
Vermittlungsagenturen spielen in der Branche eine zentrale Rolle. Sie sind kaum reguliert und die Gebühren je nach Zielland unterschiedlich hoch. Einfach und preiswert ist es für Menschen aus den Philippinen, einen Job in Saudi-Arabien zu bekommen – zugleich gibt es viele Hinweise,
dass dort besonders viele Arbeitgeber ihre Hausangestellten missbrauchen. Mehr bezahlen muss, wer Arbeit in Hongkong sucht. Immerhin konnte die Gewerkschaft dort inzwischen ein Treffen mit Regierungsvertreter*innen arrangieren, bei dem es um schlechte Arbeitsverträge durch Agenturen ging.
Schritt für Schritt und je nach Bedarf und Möglichkeiten versuchen die Gewerkschafterinnen, die Lage für sich und die anderen Beschäftigten zu verbessern. Die Frauen vor ihrer Abreise über die Bedingungen in den Ländern zu informieren und in Selbstorganisation zu schulen, gelingt dagegen bisher kaum. „Gewerkschaften haben auf den Philippinen keinen guten Ruf. Viele Leute halten uns für Kommunisten und sind deshalb sehr zurückhaltend beizutreten“, erklärt Projektleiterin Adriana Chiu vom philippinischen Gewerkschafts-Dachverband SENTRO. Auch Rückkehrerinnen zögern häufig, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Vor allem wenn es um den weit verbreiteten Missbrauch gehe, wiegelten viele ab – nicht alle Arbeitgeber*innen seien schlimm, sei immer wieder zu hören.
Einen Grund dafür sieht Estrada darin, dass die rund zwei Millionen Arbeitsmigrant*innen auf den Philippinen als „moderne Helden“ romantisiert werden – auch von der Regierung. Die größte Gruppe sind Frauen ohne Berufsabschluss. Fast immer gehen sie alleine ins Ausland. Saudi-Arabien ist das am häufigsten angesteuerte Zielland, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait und Hongkong. „Der Druck ist groß, möglichst viel Geld zu verdienen und nach Hause zu schicken. Ziel ist ja, dass es den Kindern einmal besser geht,“ fasst Estrada zusammen. Tatsächlich aber litten viele Mädchen und Jungen stark unter der Trennung von ihren Müttern.
„Es wäre schön, wenn es hier mehr Arbeit gäbe,“ sagt Estrada, die nach drei Jahrzehnten in ihre Heimat zurückgekehrt ist. Die philippinische Regierung hat da eine andere Perspektive: Obwohl die Gruppe der Arbeitsmigrant*innen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung von etwa 110 Millionen klein ist, erwirtschaftet sie knapp zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts des südostasiatischen Inselstaats.
Autorin: Annette Jensen lebt als freie Journalistin in Berlin.