Andere Zeiten in Südafrika: Autoarbeiter stehen an den Werkstoren 1982

Gewerkschaften und Demokratisierung - Zentrale Rolle im Kampf um Demokratie

Massenprotest auf dem Tahrir-Platz in Kairo, Ägypten 2011.
Wurden maßgeblich von Gewerkschaften getragen: Massenproteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo 2011

Ob Überwindung des Apartheidsystems oder Kampf gegen Militärdiktaturen: Weil sie selbst demokratisch aufgestellt sind und weil sie Menschen mobilisieren können, sind Gewerkschaften wichtige Akteure in Demokratisierungsprozessen.

Beim Sichern und Erkämpfen der Demokratie spielten und spielen Gewerkschaften eine zentrale Rolle. Das gilt für die antikolonialen Befreiungskämpfe und die Überwindung des Apartheidstaats in Südafrika ebenso wie bei der Befreiung von Militärdiktaturen in Lateinamerika oder bei den Umbrüchen im realsozialistischen Polen, die von der Gewerkschaft Solidarność angestoßen wurden.

In Südkorea haben Gewerkschaften in den 1970er- und 1980er-Jahren erfolgreich gegen die Militärdiktaturen gekämpft. Gewerkschaften organisierten maßgeblich die massiven Proteste 2016 gegen die damalige südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye wegen Korruptionsvorwürfen. Die Tochter des früheren Militärdiktators Park Chung-hee wurde vom Amt suspendiert und in mehreren Gerichtsprozessen zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Auch der »Arabische Frühling« 2011 wurde entscheidend von Gewerkschaften getragen. Den Massenprotesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo 2011 ging eine lange Streikwelle in Textilfabriken in Ägypten voraus. Tunesien gilt als einziges Land, das sich in Folge dieser Serie von Protesten, Aufständen und Revolutionen in der Arabischen Welt demokratisiert hat. Die Dachorganisation der Gewerkschaften UGTT, mit 600.000 Mitgliedern bei rund 4 Millionen Erwerbstätigen die größte organisierte Kraft, war Teil der Proteste gegen den Autokraten Ben Ali.

Auch in Subsahara trieben die Gewerkschaften demokratische Strukturen wesentlich mit voran. »Dort waren und sind Gewerkschaften die einzigen Organisationen, die Menschen massenhaft für die Demokratie mobilisieren können«, sagt Bastian Schulz, Leiter des Kompetenzzentrums Gewerkschaften in Subsahara-Afrika der Friedrich-Ebert-Stiftung im südafrikanischen Johannesburg. Denn eines unterscheide sie etwa von den Kirchen: »Nur wenn eine Organisation selbst demokratisch aufgestellt ist, kann sie Menschen für den Kampf um demokratischen Einfluss gewinnen.«

In nahezu allen Ländern Afrikas haben Gewerkschaften eine zentrale Rolle bei der Befreiung von der Kolonialherrschaft gespielt – um sich im Anschluss daran wieder gegen autoritäre Systeme auflehnen zu müssen, an deren Spitze nicht selten ehemalige Kampfgenossen standen. »Länder, die sich von den Kolonialherren befreit haben, sind nicht automatisch demokratisch geworden«, sagt Schulz. Bestes Beispiel sei Simbabwe, »wo sich Gewerkschaften bis heute gegen die autoritäre Herrschaft ihrer ursprünglichen Befreiungsbrüder und -schwestern auflehnen«. Sie setzen die autoritäre Regierung immer wieder massiv unter Druck.

In dem Binnenland im südlichen Afrika herrschte bis 2017 der ehemalige Befreiungskämpfer Robert Mugabe, sein Nachfolger Emmerson Mnangagwa wird vom Militär gestützt. Anfang dieses Jahres streikten Staatsangestellte und Lehrende, unterstützt vom Gewerkschaftsdachverband Zimbabwe Council of Trade Unions (ZCU). Weitere gesellschaftliche Gruppen schlossen sich an. »Die Reaktion der Regierung war gewalttätig, das Militär kam, es gab Tote und Gewerkschaftsführer wurden verhaftet. Noch immer müssen etliche Funktionäre Gerichtsverfahren über sich ergehen lassen«, berichtet Schulz.

Um eine Gesellschaft und ein Land zu demokratisieren, müssen Gewerkschaften Allianzen mit politischen und zivilgesellschaftlichen Partnern eingehen. »In vielen Ländern schaffen es Gewerkschaften, sich mit anderen Bewegungen oder gesellschaftlichen Akteuren zusammen zu tun, um für demokratischere oder eine sozialere Politik zu kämpfen«, so Schulz. Gelungen ist das etwa in Nigeria, wo die Gewerkschaften die Demokratie tatkräftig stützen. Kurz vor den Wahlen im Februar unterzeichneten die Wahlkommission und die drei Gewerkschaften der Transportarbeiter eine Vereinbarung: Die Gewerkschaften stellten Fahrzeuge zur Verfügung, um Material und Personen für die Wahl zu transportieren. Denn die Abstimmung war mit 84 Millionen Registrierten die größte, die bislang in Afrika abgehalten wurde, und eine gewaltige logistische Herausforderung. Rund 20 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur gelten die Wahlen 2019, bei denen Präsident Muhammadu Buhari mit rund 56 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde, als die an Zwischenfällen ärmsten in der Geschichte Nigerias.

Doch zu nah sollten die Gewerkschaften die politischen Partner nicht an sich heranlassen, das zeigt das Beispiel Südafrika. Der Gewerkschaftsdachverband COSATU, einer von mehreren Dachverbänden, hat maßgeblich zum Ende der Apartheid beigetragen und galt als verlängerter Arm des ANC, als Transmissionsriemen zwischen den Arbeitenden und der politischen Willensbildung. Auch dass der Regimewechsel zu Beginn der 1990er Jahre in Südafrika nicht zu einem Bürgerkrieg führte, ist ein Verdienst des Verbands. »Die Nähe der Gewerkschaften zum ANC war im Anti-Apartheidskampf alternativlos«, erklärt Schulz. »Aber jetzt führt sie dazu, dass COSATU wesentlich schwächer ist als früher.« Denn auch dem Gewerkschaftsdachverband wird die große Armut im Land angelastet. Viele seiner Funktionäre waren oder sind Regierungsmitglieder. Immer wieder bewegen Korruptionsskandale die Öffentlichkeit, in die auch hochrangige Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter verstrickt sind.

Heute stehen Gewerkschaften, wie in Simbabwe, vor der Aufgabe, Demokratie zu erkämpfen oder, wie in Südafrika, Nigeria oder Namibia, sie zu gestalten - und für Menschen erlebbar zu machen, sagt Schulz: »Gewerkschaften helfen dabei, Arbeiterinnen und Arbeiter überhaupt erst zu befähigen, an Demokratie teilzuhaben.« Häufig sei es ihre miserable materielle Lage, die Beschäftigte aus dem politischen Leben ausschließt. Schulz meint: »Durch demokratische Mitbestimmung am Arbeitsplatz werden Arbeiterinnen und Arbeiter dazu befähigt, sich auch außerhalb ihres Arbeitsplatzes in Politik einzumischen.« Dabei spielten Schulungen und politische Bildung eine Rolle. Die Gewerkschaften füllen hier ganz klar Lücken im Bildungssystem. »Aber am stärksten ist dieses Erleben von demokratischer Mitbestimmung.« Wer an seinem Arbeitsplatz Demokratie kennenlerne, wolle sie auch für die gesamte Gesellschaft.

 

Anja Krüger lebt als Journalistin in Berlin und beschäftigt sich mit Gewerkschaftspolitik.