Bildungsurlaube beim DGB Bildungswerk: „Ein guter Ort, um Positionen auszutauschen“
22.05.2023 I Eine Sprache üben oder lieber politisch diskutieren und tiefer in Themen wie Hunger im Globalen Süden oder Lieferketten einsteigen? Im Bildungsurlaub ist vieles möglich. Und man lernt andere Menschen und Perspektiven kennen. Warum nutzen das so wenige?
NORD SÜD news: Sarah Lillemeier, Beschäftigte in fast allen Bundesländern haben Anspruch auf Bildungsurlaub. Was genau ist das?
Sarah Lillemeier: Bildungsurlaub ist das Recht, pro Jahr mehrere Tage bezahlten Urlaub zusätzlich zum regulären zu nehmen. Bis auf Bayern und Sachsen haben alle Bundesländer rechtliche Regelungen, die für Arbeitnehmende fünf Tage vorsehen, in denen sie sich weiterbilden und in denen sie ihr Gehalt weiter beziehen.
Wer hat Anspruch darauf?
Alle Beschäftigten. Auch Teilzeitbeschäftigte haben das Recht auf Bildungsurlaub. Der Anspruch aus einem Jahr kann in der Regel auf das nächste übertragen werden, so dass er dann insgesamt zehn Tage beträgt. Für Beamte gibt es stellenweise Sonderregelungen.
Was müssen Interessierte tun, um einen Bildungsurlaub zu bekommen?
Als erstes suchen sich Interessierte ein Seminar aus, das als Bildungsurlaub anerkannt ist. In unserem Programm trifft das auf alle Seminare zu. Wir kümmern uns im Vorfeld darum, dass unsere Veranstaltungen von den einzelnen Bundesländern als Bildungsurlaub anerkannt werden. Interessierte melden sich dann für ihr Wunschthema an und reichen die Anmeldebestätigung sowie die Bestätigung, dass es sich um einen anerkannten Bildungsurlaub handelt, beim Arbeitgeber ein. Dies reicht aus, um einen Bildungsurlaub bei uns zu besuchen.
Welche Fristen sind zu beachten?
Sinnvoll ist, dass Beschäftigte den Bildungsurlaub möglichst früh bei ihren Vorgesetzten beantragen. Im Regelfall muss das spätestens 6 Wochen vor dem Seminar passiert sein.
Können Chef oder Chefin den Bildungsurlaub ablehnen?
Stellenweise antworten Vorgesetzte, dass für den gewählten Zeitraum jemand im Betrieb nicht abkömmlich ist. Deshalb ist es sinnvoll, sich gleich mehrere Bildungsurlaube zu verschiedenen Terminen auszusuchen und den Bildungsurlaub möglichst früh bei den Vorgesetzten einzureichen. Aber in der Regel ist es kein Problem, ihn zu bekommen. Auch da er in 14 Bundesländern gesetzlich garantiert wird.
Muss der Inhalt des Seminars mit dem Beruf zusammenhängen?
Nein. Es gibt viele Möglichkeiten. Beim Bildungsurlaub kann es sich auch um Sprachkurse handeln oder um Seminare zu politischen Themen. Wir als DGB Bildungswerk bieten politische Bildungsurlaube zum Beispiel zum Klimawandel oder der Digitalisierung der Arbeits- und Lebenswelt an.
Gibt es auch Angebote zu internationalen Themen, etwa zur Lage im globalen Süden?
Ja. Wir bieten Seminare zum Beispiel zum Thema Lieferketten an, etwa „Mode – schick, aber schmutzig“. Wir haben auch Themen im Fokus, bei denen es um den Hunger im Globalen Süden geht und die Frage, wer eigentlich die Welt ernährt. Für uns stehen die sozialen Fragen und all die Diskussionen darum im Vordergrund.
Was haben Beschäftigte davon, wenn sie Bildungsurlaub nehmen für ein Seminar zu einem Thema, das nicht mit ihrem Beruf zusammenhängt?
Unsere Bildungsurlaube sind ein guter Ort, um politische Positionen auszutauschen und Leute kennenzulernen, denen man ansonsten vielleicht nie begegnet wäre. Die Teilnehmenden treffen Menschen aus völlig anderen Berufen und mit ganz unterschiedlichen Perspektiven auf ein Thema. Dazu kommt, dass unser pädagogisches Konzept die Teilnehmenden motivieren möchte, selbst an Fragestellungen zu arbeiten und gemeinsam Lösungen für komplizierte Sachverhalte zu finden.
Wie läuft so ein Seminar ab?
Es startet am Sonntagabend und ist am Freitagmittag zu Ende. Wir beginnen mit einer Problemanalyse, bleiben aber nicht bei der bloßen Beschreibung stehen. Ab Mitte der Woche beginnen wir zu überlegen: Wie können wir diese Probleme lösen? Was fordern Gewerkschaften und andere zivilgesellschaftliche Organisationen, um diese Dinge zu ändern? Dazu gehört auch die Frage, was wir selber tun können. Für uns ist wichtig, dass die Teilnehmenden nicht nur Diskussionen und Probleme rekapitulieren können, sondern auch Lösungswege diskutieren.
Wie viele Beschäftigte nehmen Bildungsurlaub in Anspruch?
Leider nur sehr wenige: zwischen ein und zwei Prozent.
Warum so wenige? Wissen viele nicht, dass es diese Angebote gibt?
Das sicherlich auch. Aber es ist auch eine Frage der Betriebskultur. Es gibt Unternehmen, in denen der Bildungsurlaub sehr etabliert ist, in denen die Betriebsräte die Beschäftigten darauf hinweisen. In anderen Bereichen fehlt das völlig. Aber abgesehen davon ist es auch eine Frage, sich für fünf Tage aus den Verpflichtungen im Beruf und vor allem in der Familie heraus zu nehmen. Wir haben gute Erfahrungen mit Angeboten in den Schulferien gemacht, bei denen die Teilnehmenden ihre Kinder zum Bildungsurlaub mitbringen können. Während die Eltern gesellschaftliche Themen diskutieren, gibt es für die Kids ein eigenes spannendes Programm.
Wer zahlt den Bildungsurlaub?
Der Arbeitgeber zahlt das Gehalt weiter in der Woche des Bildungsurlaubs. Für die Teilnehmenden gibt es bei uns je nach Seminar eine Gebühr zwischen 170 und 190 Euro. Das ist nicht kostendeckend. Unsere Bildungsurlaube werden von verschiedenen Seiten bezuschusst, zum Beispiel von der Bundeszentrale für politische Bildung, dem DGB, oder als Teil eines Projekts von Engagement Global mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Bildungsprogramm des DGB Bildungswerk
Die Interviewte: Sarah Lillemeier ist Bildungsreferentin bei DGB Bildungswerk und zuständig für die Schwerpunkte Arbeit, Soziales, Gewerkschaften sowie Demokratie, Kapitalismus, Ökologie.
Die Interviewende: Anja Krüger ist Journalistin und lebt in Berlin