Zivilgesellschaftliche Kooperation in den Amerikas: „Die PLADA ist ein Werkzeug des Kampfes.“
Auf der „Plattform für die Entwicklung der Amerikas“ arbeiten Gewerkschaften und Bündnispartner_innen an einer lateinamerikanischen Integration. Dazu gehören präsente Staaten, die sich Unternehmen auch schon mal entgegenstellen, sagt Barbara Figuera vom chilenischen Gewerkschaftsdachverbands, CUT, vor allem in Sachen Umwelt und Arbeitsplätze.
Ein Interview aus der Broschüre Transformation weltweit (2020).
Barbara Figuera, was sind die wichtigsten Inhalte der PLADA?
Die PLADA ist, wie der Name sagt, eine „Plattform für die Entwicklung der Amerikas“, also der Staaten des amerikanischen Kontinents. Sie ist ein programmatisches Werkzeug und hat fünf zentrale Achsen: Arbeit, die Rolle des Staates, Wirtschaftspolitik, Ökologie und Gender. Darunter finden sich zahlreiche einzelne Aspekte: von den Menschenrechten, neuen Kommunikationsmitteln und den Rechten indigener Völker bis hin zu Freihandelsverträgen und der Rolle transnationaler Konzerne.
Grundsätzlich geht es uns darum, Modelle für eine alternative Entwicklung zu erarbeiten. In der überarbeiteten Fassung, die in diesem Jahr herausgekommen ist, haben wir die Umweltproblematik stärker in den Vordergrund gerückt und die internationale Lage neu analysiert.
Die erste Version der PLADA wurde 2013/2014 veröffentlicht. Damals waren fortschrittliche Regierungen auf dem Vormarsch. Das Thema soziale Gerechtigkeit wurde groß geschrieben. In der aktuellen Analyse spielen nun die internationalen Veränderungen eine wichtige Rolle. So zum Beispiel die Frage, welche Konsequenzen die derzeitige Offensive neoliberaler Regierungen hat.
Neoliberale Regierungen kommen und gehen ebenso wie linke. Können sich solche Wechsel auf einer Plattform niederschlagen, die eine grundlegende politische Ausrichtung definiert?
Auf jeden Fall. In der modifizierten Version der PLADA von 2019/2020 findet sich eine Reflexion über die Entwicklung in Lateinamerika. Aber das Elementare bleibt erhalten: Sie ist und bleibt ein Projekt gewerkschaftlicher und sozialer Bewegungen, das Alternativen zum neoliberalen kapitalistischen Modell entwickelt. Zugleich nährt sie sich von aktuellen Themen. So etwa von der Wahl in Bolivien, wo jüngst nach einem Jahr konservativer Regierung wieder eine indigen und links orientierte Partei gewonnen hat. Oder vom Plebiszit in Chile, das dazu führt, dass eine neue Verfassung ausgearbeitet wird, die die bislang gültige neoliberale Konstitution der Pinochet-Diktatur ersetzt. Die PLADA hat also eine große aktuelle Relevanz in der Region.
Wer ist an der Plattform beteiligt?
Die PLADA ist stark gewerkschaftlich geprägt. Sie wurde zunächst von Gewerkschaften erarbeitet, die in unserem Dachverband CSA organisiert sind. Danach haben wir sie mit anderen sozialen Bewegungen diskutiert: mit Umweltschützern, Bauernverbänden, Feministinnen, Indigenen und Gemeinden, die sich gegen die Zerstörung ihres Territoriums und ihre Vertreibung wehren. Wir haben sie auch einigen Regierungen vorgelegt, etwa der chilenischen und der uruguayischen, damit sie unsere Forderungen wahrnehmen und aufgreifen.
Wie kann die Plattform nationale Politik beeinflussen?
Ein ausführliches Kapitel der PLADA widmet sich der Rolle des Staates. Zum einen betrachten wir diesen als Förderer einer gleichberechtigten Entwicklung mit sozialer Gerechtigkeit und Rücksicht auf die Umwelt. Zugleich sehen wir ihn als Arbeitgeber und heben seine öffentliche Funktion hervor. Der Staat muss als Vermittler zwischen der Gesellschaft und dem Markt deutliche Grenzen im Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter setzen. Das heißt: Gute Arbeit, Arbeitsplatzsicherheit, Gewerkschaftsfreiheit.
Mit Blick auf die soziale Gerechtigkeit müssen die Staaten wesentlich aktiver werden und deutlich entschiedener gegenüber den Unternehmern auftreten. Sie müssen nicht nur die politische, sondern auch die juristische Macht besitzen, um zu verhindern, dass Konzerne negativ auf demokratische Verhältnisse einwirken. Das trifft besonders zu, wenn es sich um transnationale Unternehmen handelt. Der Staat muss mehr Präsenz zeigen, wenn Normen aufgezwungen und der Markt nach Kapitalinteressen reguliert werden soll. Zugleich dürfen Demokratie und nationale Rechte nicht eingeschränkt werden.
Können Sie mit Hilfe der PLADA Einfluss auf transnationaler Ebene nehmen. Zum Beispiel bei Verhandlungen über den Freihandelsvertrag zwischen dem Mercosur und der EU?
In der PLADA wird das Thema auf globaler Ebene angesprochen, also nicht direkt. Da geht es darum, die Einmischung von Konzernen zu verhindern. Auch hier gilt: Unternehmen und staatliche Institutionen sollen nicht im Interesse des Kapitals kooperieren. Die konkreten Auseinandersetzungen finden dort statt, wo über Wirtschaft und Menschenrechte und nachhaltige Entwicklungsziele gestritten wird. Zum Beispiel in den Gremien der UNO, insbesondere in der Internationalen Arbeitsorganisation. Dort gibt es die nötigen Kapazitäten, um zu intervenieren. Auch wenn wir keine konkrete Formen der Intervention in der Plattform festgeschrieben haben, geben wir eine eindeutige Richtung vor, die von den einzelnen Organisationen umgesetzt wird.
Wenn Gewerkschaften und Umweltschützer_innen an einem Strang ziehen, kann es Konflikte geben: Ökologie versus Arbeitsplätze. Gibt es diese Probleme bei der PLADA?
Manche wollen uns glauben machen, dass zwischen der Schaffung von Arbeitsplätzen und dem Umweltschutz ein Widerspruch bestünde. Wir akzeptieren diese Dichotomie nicht und haben das in der PLADA zurechtgerückt. Umweltpolitische Interessen werden dort sehr intensiv aufgegriffen. Wir kämpfen gegen die Verfolgung von Umweltschützern und anderen, die ihr Land und ihren Boden gegen den Raubbau natürlicher Ressourcen verteidigen. Und wir fordern, dass die Entscheidung indigener Gemeinden über die Nutzung des von ihnen bewohnten Landes respektiert wird. So sieht es die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation vor.
Wir setzen uns auch in ökologischen Fragen für eine gerechte Entwicklung ein. Wir beugen uns nicht der Marktlogik, also der Hoffnung, dass der Markt das reguliert. Das hätte langfristig einen sehr hohen Preis und wir würden bei unseren Umweltorganisationen auf heftigen Widerstand stoßen. Unser Dokument macht deutlich, dass wir hier nicht nur eine nationalstaatliche Sicht einnehmen dürfen, sondern die lateinamerikanische Integration im Blick haben müssen. Wenn wir zum Beispiel über Maßnahmen zur Industrialisierung in einem Land reden, müssen wir zugleich die Konsequenzen für die Region berücksichtigen. Das führt zu einer anderen Perspektive auf den Umweltschutz. Nur so können wir verhindern, dass Land, Boden und Gemeinden zerstört werden.
Die PLADA wird von sehr vielen Organisationen getragen. Ist die Plattform eine Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, um eine transnationale Kooperation zu ermöglichen?
Ich würde nicht von einem Minimalkonsens sprechen. Wir haben es aber mit mehreren Fronten zu tun, die integriert werden müssen: Einerseits wurde die PLADA mit sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen entwickelt. Mit diesen Gruppen sind wir in ständigen Diskussionen, schaffen Allianzen und äußern uns gemeinsam zu Themen, zum Beispiel zu Freihandelsverträgen. Unsere Verbindungen ermöglichen es, auf globaler Ebene auf Organisationen Einfluss zu nehmen, etwa in der UNO, und zugleich auf Landesebene sowie lokal zu agieren. Wir brechen das Globale auf die territoriale Ebene herunter. Wir sind also herausgefordert, Antworten auf globale Fragen zu geben, die kontinentale Integration zu stärken und zugleich auf lokaler Ebene zu wirken. Das ist der Rahmen.
Kontinental und lokal zugleich agieren ist sicher nicht einfach.
Das ist die Herausforderung. Aber für die nationalen Gewerkschaften hilft der Bezug auf die PLADA zugleich, um Inputs für regionale und kommunale Strukturen zu liefern.
Bei so vielen beteiligten Organisationen gibt es sicher Widersprüche. Wie gehen Sie damit um?
Es gibt immer Eigenheiten. Das ist schon vorgegeben, weil wir unterschiedliche Positionen aus den Regionen bewusst anerkennen. Aber es gibt keine größeren Spannungen. Die Plattform unterstützt die Souveränität der Völker und betont damit die Notwendigkeit jeweils eigener Politiken, um eine auf gesellschaftliche Zustimmung basierende Entwicklung zu schaffen.
Natürlich gibt es unterschiedliche Realitäten, das ist offensichtlich. Die Realität im Süden ist nicht dieselbe wie die im Norden, und sicher werden die Schwerpunkte der Agenda unterschiedlich interpretiert. Aber es gibt zumindest einen gemeinsamen Nenner: dass ein Dokument wichtig ist, das für Alternativen zum Neoliberalismus streitet. Das wird in den Gewerkschaften und großen Teilen der sozialen Bewegung so gesehen.
In den verschiedenen Regionen entwickelt sich zwar ein unterschiedliches Vorgehen, aber nicht aufgrund der Inhalte. Wir bauen ja die Plattform nicht auf dem Stand, mit dem wir einst begonnen haben. Dass jetzt zum Bespiel die Demokratisierung im Vordergrund steht, wird von allen als gemeinsamer Handlungsansatz anerkannt und in jeder Region entsprechend umgesetzt. Damit sich die einzelnen Organisationen damit identifizieren können, müssen sie die Vorgaben auf ihre nationale Ebene herunterbrechen. Trotzdem besteht im Allgemeinen absoluter Konsens.
Führen die an der Plada beteiligten Organisationen auch gemeinsame Aktionen durch?
Die PLADA schlägt keine konkreten Aktionen vor. Es gab Aktivitäten bei der Ausarbeitung und Vorstellung der Plattform, auch jetzt im Rahmen der modifizierten Fassung. In Anlehnung an die Zeit des Kampfes gegen den gesamtamerikanischen Freihandelsvertrag ALCA gab es 2015 einen „Kontinentalen Tag für die Demokratie und gegen den Neoliberalismus“. Da erinnerten wir daran, dass wir Gewerkschaften und andere Bewegungen zehn Jahre zuvor zusammen den ALCA verhindern konnten.
Was sind die wichtigsten Ziele für die Zukunft?
Zuerst müssen wir es schaffen, die Agenda gemeinsam zu nutzen. Ich spreche hier nicht nur von den Leitungsgremien der einzelnen Organisationen. Wir müssen die Inhalte den Mitgliedern der Gewerkschaften auf nationaler und regionaler Ebene nahe bringen. Das ist unsere größte Aufgabe. Das ist auch wichtig, um uns mehr Gehör verschaffen zu können und für Projekte zu streiten, die dem Neoliberalismus eine alternative Entwicklung gegenüberstellen.
Das Instrument ist bekannt, nun sind sogar nationale PLADAs denkbar. Die Plattform ist ein Werkzeug des Kampfes, ein Werkzeug der Inhalte, der Ideen, das einen möglichst großen Ausdruck in den einzelnen Staaten bekommen muss. Das ist die zentrale Herausforderung. Und wenn die Zeit gekommen ist, müssen wir als Gewerkschaftsbewegung auch um die Macht kämpfen.
Barbara Figuera, ist Präsidentin des chilenischen Gewerkschaftsdachverbands Central Unitaria de Trabajadores, CUT (Vereinte Gewerkschaft der Arbeiter) und Leiterin der Abteilung Politische Ökonomie und nachhaltige Entwicklung des gesamtamerikanischen Gewerkschaftsbundes Confederación Sindical de Trabajadores/as de las Américas, CSA. Die in der CSA organisierten Gewerkschaften vertreten 52 Millionen Menschen in 20 Staaten des Kontinents.
Der Interviewer, Wolf-Dieter Vogel, lebt als Journalist in Oaxaca und berichtet seit mehr als 20 Jahren aus Mexiko und Mittelamerika.
Der Beitrag erschien in der Broschüre, Transformation weltweit – für Gute Arbeit im digitalen und ökologischen Wandel, im Dezember 2020.