Pflegearbeit Südafrika - Die neue Vaterrolle
Gut 40 Prozent der Frauen Südafrikas ziehen ihre Kinder alleine auf. Das Sonke Gender Justice Netzwerk will das ändern.
»Es war hart, ohne Vater aufzuwachsen«, sagt der Sozialwissenschaftler Sonwabiso Ngcowa. »Mir fehlte der biologische Vater zudem als Vorbild.« So habe er sich nicht abschauen können, wie dieser Herausforderungen anging. »Das wäre, wie ich im Rückblick weiß, hilfreich gewesen«, meint Ngcowa. »Ich habe meinen Weg im Leben gefunden, aber ich hatte es schwerer als die, die mit einem Vater aufwuchsen.«
Viele Südafrikaner_innen haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Das zeigen Untersuchungen des Human Sciences Research Council und des Institute for Race Relations: 60 Prozent der Kinder haben Väter, die nicht bei ihnen leben. Mehr als 40 Prozent der Frauen sind alleinerziehend. Im weltweiten Durchschnitt sind es 15 Prozent, heißt es in den Studien. Dabei sind in der modernen Verfassung Südafrikas das Recht auf Gesundheit, die Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte fest verankert. Die Realität bleibt dahinter zurück.
Wer die Situation der Frauen verbessern will, muss die Einstellungen der Männer ändern – dafür kämpft auch der mächtige Gewerkschaftsbund Congress of South African Trade Union (COSATU). »Das Wohlergehen einer Gesellschaft hängt von der Rolle beider Eltern ab, die sie von Geburt der Kinder an übernehmen«, sagt Matthew Parks, Parlamentskoordinator bei COSATU. Die Organisation fordert mehr Gleichstellung von Männern und Frauen, auch am Arbeitsplatz und in der Kindererziehung.
Die Anpassung des Arbeitsgesetzes feiert der Gewerkschaftsbund daher als ersten Sieg: Südafrika hat Ende 2018 im Parlament durchgesetzt, dass Eltern pro Jahr zehn Tage bezahlten Elternurlaub nehmen können – auf Staatskosten. Das fortschrittliche Gesetz sieht auch zehn Wochen Urlaub und zehn bezahlte Tage für Adoptiveltern vor, auch für gleichgeschlechtliche Partner_innen, die ein Kind adoptieren und großziehen. »Das ist nur der erste Schritt zur Stärkung der Elternrechte«, sagt Parks. »Südafrika hat in dieser Hinsicht viel versäumt.« Kamerun bietet zehn Tage Vaterschaftsurlaub an, in Australien und Kenia sind es 14 bezahlte Tage. Schweden erlaubt 480 Tage für beide Eltern zusammen – dieses Modell zu erreichen, das ist unser Ziel.« Die Aktivist_innen des Sonke Gender Justice Netzwerks in Südafrika wollen, dass Männer patriarchale Normen hinterfragen. »2011 ist eine weltweite Kampagne für ›Men Care‹ ins Leben gerufen worden. 45 Länder sind daran beteiligt. Das ist eine Lernplattform«, sagt Mitarbeiter Wessel van den Berg. Wissen und Stereotype sollen durch Kommunikation verändert werden. Der »State of the World’s Father Report« bietet eine gute Grundlage. Alle zwei Jahre wird er veröffentlicht – der nächste Bericht ist im Juni 2019 fällig.
In Südafrika gebe es nicht nur die typische Vaterrolle, meint van den Berg. Lebenspartner der Frauen, Verwandte oder Adoptivväter spielten auch eine wichtige Rollen. »71 Prozent der Kinder leben mit einem Mann im Haushalt.« Es gehe um die Frage, wie sie im Leben des Kindes präsent sein könnten. Die Organisation hat mit dem Projekt »MenCare+« in den Townships Khayelitsha und Mitchells Plain rund um Kapstadt etwas bewirkt. Riesige Plakatwände an den Straßen und Werbung durch die Radiostationen haben auf das Thema aufmerksam gemacht. »Wir haben mit Müttern und Vätern direkt in den Gemeinden gesprochen und das Ergebnis ist gut«, sagt van den Berg. Mehr Väter kämen nun in die Kliniken zu den Müttern und Kindern. Sie täten auch mehr für ihre eigene Gesundheit, machten zum Beispiel HIV-Tests.
»Männer sind traditionsgemäß nicht sehr in Gesundheitsfragen involviert«, sagt van den Berg. »Frauen tragen bisher die Last.« Sie arbeiteten acht Stunden mehr unbezahlt für die Kinder und im Haushalt als ein Mann in Südafrika. »MenCare+« habe einen Stein ins Rollen gebracht. Das vom niederländischen Außenministerium geförderte Projekt lief von 2013 bis 2015. Dabei waren auch Brasilien, Ruanda und Indonesien.
»Südafrika kam nicht in die zweite Finanzierungsrunde, wir sind ein Schwellenland und viele ausländische Gelder fallen derzeit weg«, sagt van den Berg. Das Modell sei aber mit Erfolg auf andere Länder übertragen worden – auf Uganda und Libanon. Indonesien und Ruanda erhielten erneut Gelder.
Und: Das Sonke Gender Justice Netzwerk macht trotz des Geldstopps weiter. Es konzentriert sich auf die Männer in den Familien und trainiert Sozialarbeiter_innen mit Hilfe anderer Organisationen. Auch religiöse Führer_innen sollen in den Diskurs involviert und Rollenstereotype aufgebrochen werden. Van den Berg meint: »Die ganze Gemeinde lernt von jedem einzelnen.«
Martina Schwikowski lebt und arbeitet als Korrespondentin in Johannesburg.