Just Transition in Nigeria - Zwischen Öl und Ökolandbau
Das westafrikanische Land bekommt die Folgen des Klimawandels längst zu spüren, ein Klimaschutzgesetz lässt aber auf sich warten – die Regierung setzt andere Prioritäten. Um den Prozess voranzubringen, arbeiten die Gewerkschaften an Partnerschaften mit anderen Organisationen. Grundlage für ein gegenseitiges Verständnis, schreibt Hauwa Mustapha, ist ein Forschungsprojekt, das die Sicht der Bevölkerung auf den Klimawandel erkundet hat.
Ein Artikel aus der Broschüre Transformation weltweit (2020).
Wenn es Nigeria in die Nachrichtensendungen der Länder des Globalen Nordens schafft, dann meist als ein Land, das von Unruhen und einem Generationenkonflikt mit einer starken zivilen Protestbewegung durchgeschüttelt wird. Hintergrund ist die Unzufriedenheit vor allem der jungen Menschen mit der Politik der Regierung Muhammadu Buhari. Der zuletzt 2019 wiedergewählte Ex-Diktator aus den 1980er Jahren hatte versprochen, das unter seinen Vorgängerregierungen von Korruption und islamistischem Terror geprägte Land zu reformieren und zukunftsfähig zu machen.
Die nigerianische Wirtschaft verfügt über Rohstoff- und Agrarressourcen, ist aber vor allem vom Erdöl abhängig. Die Ölindustrie trägt 65 Prozent zu den Staatseinnahmen bei, stellt aber nur 9 Prozent der Arbeitsplätze. Die Landwirtschaft dagegen ist vor allem wichtig, weil sie für 70 Prozent der Jobs verantwortlich ist. Da Nigeria mit seinen 200 Millionen Einwohner_innen das größte afrikanische Land ist, spielt die Art und Weise, wie es mit seinen Ressourcen umgeht und den Transformationsprozess gestaltet, eine große Rolle in der Region Westafrika und vermutlich auch darüber hinaus.
Die nigerianische Verfassung sieht den Staat in der grundlegenden Verantwortung, „die Umwelt zu bewahren und ihren Zustand zu verbessern, sowie Wasser, Luft und Land, Wälder und Natur Nigerias zu schützen”. Das Land hat sich zur Einhaltung des Klimaschutzabkommens von Paris verpflichtet. Seine Klimapolitik ist darauf ausgerichtet, eine wachstumsorientierte, aber CO2-arme Entwicklung und eine klimaresiliente Gesellschaft zu fördern. Ein Klimaschutzgesetz ist in Arbeit, indem allgemein gültige Grundprinzipien für die Regulierung und Begrenzung von Treibhausgasemissionen über die verschiedenen Branchen hinweg formuliert werden sollen.
Der soziale Dialog zum Klimawandel ist fest etabliert. Die Gewerkschaften unter dem Dachverband Nigeria Labour Congress sehen sich in einer zentralen Rolle, wenn es um den Klimaschutz geht, und arbeiten an strategischen Partnerschaften mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie wollen erreichen, dass das Klimaschutzgesetz neben dem Umweltschutz auch menschenwürdige Arbeit beinhaltet, damit die Transformation sowohl für die Beschäftigten als auch für die Gemeinschaft gerecht gestaltet wird.
Forschungsprojekt Just Transition in den wichtigen Industrien
Kritische Leitfragen dabei lauten: Wie stellen wir sicher, dass uns ein Übergang weg von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen hin zu einer saubereren Umwelt, menschenwürdigeren Jobs und sichereren Kommunen in Nigeria führt? Welche Art von Partnerschaft braucht es, um sicherzustellen, dass der Übergangsprozess soziale Gerechtigkeit und Inklusion fördert? Mehr Informationen dazu sollte ein gemeinsames Forschungsprojekt mit zivilgesellschaftlichen Partnern bringen.
Die Voraussetzungen: Die größten ökologischen Probleme des Landes werden ausgerechnet von den beiden wichtigsten Wirtschaftszweigen verursacht. Rodungen für die Landwirtschaft und die daraus erfolgende Erosion verschlechtert den Boden, Verschmutzungen durch Fabriken und Lecks im Förderprozess und beim Transport des Erdöls tun ein übriges. Die wichtigsten sozialen Fragen betreffen Arbeitsschutz, Kinderarbeit, Ungleichheit und Armut – 86 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze – sowie kommunale Konflikte.
Das Projekt: Ziel des Projekts war es herauszufinden, welche konkreten Interessen der Beschäftigen der Agrar- und der Ölindustrie und der Kommunen bei der Entwicklung einer Strategie für einen gerechten Übergang berücksichtigt werden müssen. Grundlage dafür war eine groß angelegte Befragung.
Dabei wurde deutlich, dass die globale Erwärmung in der Landwirtschaft längst die Alltagserfahrungen bestimmt: Temperaturextreme, Hitzewellen und geringere Niederschlagsmengen beeinflussen sowohl den Agrarkreislauf als auch die Fruchtbarkeit des Bodens und haben die Wasserflächen schrumpfen lassen. Alles zusammen beeinträchtigt seit Jahren die Ernteerträge.
Innerhalb der Ölindustrie sind die Folgen des Klimawandels deutlich weniger spürbar. Ein Teil der Kommunen und viele Beschäftigte sehen keinen Zusammenhang zwischen der Erdöl- und Erdgasförderung und der globalen Erwärmung. Sie halten die von zivilgesellschaftlichen Organisationen vorangetriebene Kampagne Leaving the oil in the soil („Lasst das Öl im Boden!”) für einen Trick, um ihnen die Nutzung ihres „gottgegebenen Reichtums” zu verwehren. Wenn es schon eine Transformation geben soll, stimmen sie eher für sauberere und zuträglichere Fördermethoden.
Es gibt jedoch einen Konsens darüber, dass der Klimawandel so angegangen werden muss, dass Arbeitsplätze, Umwelt und natürliche Lebensgrundlagen gesichert werden.
Transformationsziele in der Landwirtschaft
Die wichtigsten Ziele bei der Transformation der Landwirtschaft sind Ernährungssicherheit, Landbesitz und Zugang zu alternativen Energiequellen.
Große Agrarbetriebe führen mit staatlicher Förderung klimasmarte Landwirtschaftspraktiken und das integrierte Landwirtschaftssystem Songhai ein. Beschäftigte der Agrarwirtschaft werden darin geschult, Bioenergie zu produzieren und zu nutzen sowie Abfall, Tierfutter und Düngemittel zu recyceln.
Kläranlagen bereiten Wasser für die Bewässerung in Landwirtschaftsbetrieben und für den Bedarf in Haushalten und Landwirtschaft wieder auf. Die Arbeitgeber zahlen Schulungen und Umschulungen für neue Technologien. Manche Beschäftigten ergreifen auch selbst die Initiative und bilden sich persönlich weiter, um so auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft wettbewerbsfähiger zu werden.
Kleinbetriebe verwenden organischen Dünger und setzen auf Mischkulturen. Auch hier müssen Modernisierungen und bessere Lagermöglichkeiten unterstützt werden. Außerdem brauchen sie einen Marktzugang, der es ihnen ermöglicht, an der Wertschöpfungskette angemessen zu partizipieren.
Skepsis bei Beschäftigten in der Ölbranche
Die Skepsis der Beschäftigten gegenüber den anstehenden Veränderungen resultiert vor allem aus der Angst vor dem Verlust des Jobs oder der von den Beschäftigten der Rohstoffindustrie genossenen Privilegien. Erschwerend dürfte hinzukommen, dass die vielen Jahrzehnte achtloser Öl- und Gasförderung mit ihrer Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen Zweifel an der Aufrichtigkeit der Ölfirmen erweckt hat.
Um die Beschäftigten der Ölindustrie mitzunehmen, ist es deshalb besonders wichtig, dass die zu erwartenden neuen Arbeitsplätze ein adäquater Ersatz für ihre derzeitigen Arbeitsplätze sind. Der Prozess von Kompensationszahlungen sowie die Kosten für den Erwerb neuer Fertigkeiten und neuer Arbeitsplätze müssen transparent und inklusiv sein. „Wir dürfen nicht von Öl und Gas allein abhängen” bedeutet, dass die Gesellschaft bereit ist für einen Energiemix und ihm positiv gegenübersteht; das Streben nach einer sauberen und gesunden Umwelt darf dabei allerdings nicht auf dem Spiel stehen.
Neue Beschäftigung muss Gute Arbeit sein
Auch wenn Schulungen und Kompetenzerwerb in der Just Transition eine wichtige Rolle spielen, muss die Priorität der Gewerkschaften ganz klar bei Fragestellungen rund um mögliche Arbeitsplatzverluste und Entlassungen liegen. Sie müssen für angemessene Entschädigungen kämpfen, für Altersvorsorge und Abfindungen für alle von Arbeitsplatzverlust betroffenen Beschäftigten. Beschäftigte, die den Arbeitsplatz wechseln, müssen sicher sein, dass sie dort auch menschenwürdig arbeiten können.
Ein alternatives Angebot an Arbeitsplätzen könnte sich in Schifffahrt oder Tourismus, in der Kautschuk-, Palmöl-, Kalkstein- und Stahlindustrie, in Fischerei, Geflügelbetrieben oder Viehhaltung auftun. Entscheidend für Beschäftigte und Kommunen ist jedoch, dass der gerechte Übergang nicht plötzlich statt findet – und auch nicht beginnen soll, ehe ein entsprechendes Gesetz in Kraft tritt, das die Interessen der Beschäftigten im Übergangsprozess angemessen schützt.
Kein Randaspekt: Gendergerechtigkeit
In Nigeria sind patriarchale Strukturen noch stark verwurzelt. Frauen sind selten in Berufen zu finden, die mit „technischen und schweren Aktivitäten” zu tun haben. Stattdessen stellen sie 60 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte. Ihre Arbeit besteht dort oft aus Unkraut jäten, ernten, schneiden, putzen, kochen sowie einfachen Verwaltungsaufgaben.
Ein gerechter Übergang würde bedingen, dass diese Geschlechterrealität schon bei der Strategieentwicklung mitgedacht wird.
Internationale Solidarität für einen gerechten Übergang
Die Arbeit an dem Projekt hat Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Kommunen zu einem besseren gegenseitigen Verständnis der unterschiedlichen Arbeitsmethoden, Leitprinzipien und Aufträge verholfen. Die vielleicht wichtigste Erfahrung der Partnerschaft war, dass ein Teil der Gewerkschaften Nigerias dem Klimawandel und dem gerechten Übergang erst noch eine Vorrangstellung einräumen müssen. Das resultiert aus der großen Sorge der Beschäftigten um ihre Arbeitsplätze und Existenzgrundlagen, die sie dazu bringen kann, klimapolitische Maßnahmen zu bekämpfen. Daran wird noch zu arbeiten sein.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Regierung sich weigert, Öl und Rohstoffreserven im Boden zu belassen, wie es die eigenen Klimaziele erfordern würden. Im Gegenteil gibt sie weiter große Summen dafür aus, Ölvorkommen im äußeren Norden und anderen Teilen Nigerias jenseits des Nigerdeltas zu erschließen.
Hier kann internationaler Druck helfen. Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit müssen ihr Engagement für die Erhöhung der finanziellen Mittel zur Bekämpfung des Klimawandels verstärken. Und die Mittel müssen auch für einen gerechten Übergang bereitstehen. Speziell den Regierungen der Entwicklungsländer muss geholfen werden, alternative Einkommensquellen zu erschließen.
Weltweit müssen Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen die Führungsrolle dabei übernehmen, ein alternatives Produktions- und Konsummodell zu entwickeln, bei dem der Nutzen gleichmäßig über die Nord-Südgrenzen hinweg verteilt ist – ein Modell, das primär auf die menschliche Entwicklung und weniger auf den Profit zielt.
Fazit und Empfehlungen
Da der Wandel zusehends unvermeidlicher wird, müssen die Gewerkschaften als herausragende Partner im nationalen, regionalen und globalen Raum Position beziehen. Sie müssen sich für eine bessere Umwelt- und Klimapolitik einsetzen und sicherstellen, dass Beschäftigte und Kommunen weder durch menschliche Aktivität noch durch Inaktivität wissentlich getäuscht werden.
Die Gewerkschaften müssen sich dem Prozess des gerechten Übergangs noch deutlicher stellen, um angemessene Leistungspakete für den Fall von Kündigungen auszuhandeln und um andererseits Beschäftigte zu einem Neuerwerb von Fähigkeiten zu ermutigen.
Empfehlungen
- Bedarf an kontinuierlichen Forschungslehrgängen für die Weitergabe des Wissens über Klimawandel und den gerechten Übergang.
- Weltweite Kampagne zur Erweiterung des Begriffs ‚Arbeitnehmerrechte‘ im Rahmen des gerechten Übergangs und sozialer Sicherung.
- Die Partnerschaft von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften in Nigeria sollte ebenso die Interessenvertretung und Einflussnahme auf Legislative und Exekutive ausbauen wie auch die Rechte von Beschäftigten, zu einer effektiven Teilhabe am Prozess des gerechten Übergangs befähigt zu werden.
Hauwa Mustapha, Wirtschafts- und Politikwissenschaftlerin, ist spezialisiert auf die Themen Entwicklungspolitik, Gender, Klimawandel, soziale Sicherung und Arbeit. Derzeit koordiniert sie das Programm, Climate Change and Just Transition, des nigerianischen Gewerkschaftsdachverbands, Nigeria Labour Congress.
Der Artikel erschien in der Broschüre, Transformation weltweit – für Gute Arbeit im digitalen und ökologischen Wandel, im Dezember 2020.