Internationale Klimapolitik und Gewerkschaften - Zeit, schnell zu handeln
Nicht ohne Grund haben sich der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften zu den nationalen, europäischen und internationalen Klimazielen bekannt, meint Jan Philipp Rohde. Er beschreibt, warum Gewerkschaften weltweit den Klimawandel als zentrale Herausforderung der Zeit sehen – und, wie die dringend erforderliche Klimapolitik auch gerecht gestaltet werden kann, als „Just Transition“.
Ein Artikel aus der Broschüre Transformation weltweit (2020).
Die Wissenschaft ist sich einig. Der Klimawandel ist menschengemacht und bedroht unsere Lebensgrundlagen rund um den Globus. Etliche Studien zeigen, wie ernst die Lage ist. Der sogenannte Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) der Vereinten Nationen fasst regelmäßig den Stand der wissenschaftlichen Forschung zusammen, um politischen Entscheidungsträger_innen eine fundierte Basis für ihre Entscheidungen zu geben.
Das Bild wird zunehmend klarer: Der IPCC-Sonderbericht aus dem Jahr 2018 beschrieb eindrucksvoll, wie einschneidend schon kleinste Veränderungen in den Temperaturanstiegen sein können. So sind die Unterschiede zwischen einem Anstieg um 1,5 Grad und 2 Grad erheblich. Eine nur 0,5 Grad höhere Temperatur könnte bedeuten, dass der Meeresspiegel um bis zu zehn Zentimeter zusätzlich ansteigt. Zugleich können Permafrostböden auftauen und Regenwälder absterben, so dass diese natürlichen Treibhausgasspeicher vernichtet werden. Mehr Extremwetterereignisse kommen hinzu. Dadurch steigt auch die Gefahr, dass natürliche Kipppunkte überschritten werden, der Klimawandel unumkehrbar wird und sich durch die Freigabe der noch in der Erde und den Meeren gebundenen Treibhausgase selbst verstärkt.
In seinem jüngsten Bericht Ende 2019 fasste der Weltklimarat die Situation für Küstenregionen zusammen: Demnach steigt der Meeresspiegel derzeit um 3,66 Millimeter pro Jahr, ungefähr 2,5-mal so schnell wie in den Jahren von 1900 bis 1990. Seit 1880 ist der Meeresspiegel weltweit um 25 Zentimeter gestiegen. So sind schon heute Küstenregionen und ganze Inselstaaten von Überflutungen bedroht. In diesen Regionen leben derzeit aktuell rund 700 Millionen Menschen
Auch in Deutschland sind die Auswirkungen des Klimawandels sehr präsent. Nach den Hitzerekorden in den Sommern 2018 und 2019 zeichnet sich auch 2020 als äußerst regenarmes Jahr ab. Damit bleiben die Böden im dritten Jahr in Folge trocken – mit erheblichen Auswirkungen für Natur und Landwirtschaft. Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren und Starkregen haben erheblich zugenommen und belasten neben den Ökosystemen zunehmend die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben.
Weitgehend unbestritten ist daher, dass es eine Trendwende im Ausstoß von Treibhausgasen braucht, die – wissenschaftlich belegt – für den Klimawandel verantwortlich sind. Trotz dieser Erkenntnis steigt der Treibhausgasausstoß weltweit weiterhin an.
Klimawandel braucht internationale Koordinierung
Das große Problem ist: Klimawandel macht vor Landesgrenzen keinen Halt. Auch wo die schädlichen Treibhausgase ausgestoßen werden, ist irrelevant. Dieses Dilemma führt dazu, dass es einen internationalen Rahmen braucht, um die globale Erhitzung gemeinsam und koordiniert zu bekämpfen. Deshalb hat sich die Staatengemeinschaft unter dem Dach der Vereinten Nationen im Pariser Klimaabkommen auf eine gemeinsame Begrenzung des Temperaturanstiegs auf deutlich unter 2 Grad geeinigt. Um die Ziele zu überprüfen und gemeinsame Strategien zu entwickeln, treffen sich Vertreter_innen der Mitgliedsstaaten, aber auch von wichtigen Akteursgruppen wie der Jugend, Wissenschaft, Wirtschaft und den Gewerkschaften jährlich im Rahmen von Klimakonferenzen.
Hier bringen sich Gewerkschafter_innen unter dem Leitmotiv „Just Transition“ für eine gerechte Gestaltung der notwendigen Transformation ein. Schon heute ist klar, dass der Klimawandel, aber auch die Anpassungsprozesse vor allem die Schwächsten in der Gesellschaft am stärksten treffen. Im internationalen Vergleich ist vor allem der Globale Süden betroffen. Dort fehlen häufig die finanziellen Ressourcen für den Schutz vor oder die Anpassung an Klimaveränderungen wie den Bau von Deichen, die Installation von Bewässerungsanlagen oder die Ausrüstung der Häuser mit Klimaanlagen. Das kann dazu führen, dass Menschen, die schon heute in Armut leben, ihre Existenzgrundlage verlieren, die Ungleichheit zunimmt, Armut zementiert wird und Hungersnöte Migrationsbewegungen verstärken könnten. Insbesondere Frauen und Jugendliche sind von dieser Entwicklung betroffen. Durch den materiellen Schaden und die Kosten der Anpassung fehlen den ärmeren Ländern die Ressourcen, die wirtschaftliche Entwicklung nachzuholen und zu den Industrienationen aufzuschließen.
Auch in den und zwischen den Industrienationen birgt die ökologische Transformation Sprengstoff für ein Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, Jung und Alt.
Doch nicht nur das Nord-Süd-Gefälle droht, sich zu verstärken. Auch in den und zwischen den Industrienationen birgt die ökologische Transformation Sprengstoff für ein Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, Jung und Alt.
Alles wird sich ändern: Leben, Konsum, Arbeit
Für Gewerkschaften ist klar, dass der Weg in eine klimaneutrale Zukunft alternativlos ist. Ob in der Energiewirtschaft, in der Grundstoff- oder Automobilindustrie, bei Mobilität, Logistik, Handel oder Landwirtschaft: Die bestehenden Wirtschafts- und Produktionsstrukturen müssen sich massiv verändern und gemäß dem Ziel der Klimaneutralität umgebaut werden. Diese Veränderungen werden wir in unserer Weise zu produzieren, zu konsumieren und zu arbeiten deutlich spüren – auch im alltäglichen Leben. Gleichzeitig müssen wir mit weiteren Strukturwandeltreibern wie der Digitalisierung, der Automatisierung oder auch der demographischen Entwicklung umgehen. Die damit einhergehenden Veränderungen werden sich gegenseitig bedingen und sich zum Teil auch verstärken. Umso wichtiger wird es sein, klare Bedingungen für den von vielen Seiten getriebenen strukturellen Wandel zu definieren.
Aus Sicht der Gewerkschaften ist die Formel klar: Eine nachhaltige Entwicklung muss auch dem gesellschaftlichen Fortschritt dienen. Das heißt, beim ökologischen Umbau müssen zugleich auch Aufgaben angegangen werden, wie die Ungleichheit bei der Vermögens- und Einkommensverteilung zu verringern, gesellschaftliche und betriebliche Teilhabe zu stärken und dafür zu sorgen, dass der Wert der eigenen Hände Arbeit erhalten bleibt. Nur so kann eine ökologische und soziale Transformation stattfinden.
Der Beitrag, den ein einzelnes Land wie Deutschland leisten kann, um die globale Klimaneutralität zu erreichen, mag in diesem Zusammenhang klein erscheinen. Der Weg, den Deutschland wählt, kann jedoch Vorbild für andere Länder sein. Werden während der Transformation Menschen abgehängt und Verlierer_innen produziert, erscheint dieses Modell wenig attraktiv. Geht die Einhaltung der Klimaziele allerdings auch mit gerecht verteiltem Wohlstand, gutem Leben, gesellschaftlichem Zusammenhalt sowie guten und zukunftsfähigen Arbeitsplätzen einher, werden andere motiviert, diesem Weg zu folgen.
Covid-Krise wirkt wie ein Brennglas
Die Auswirkungen der weltweiten Covid-Pandemie haben gezeigt, dass unsere aktuellen Wirtschafts- und Sozialmodelle wenig nachhaltig sind und anfällig gegenüber Krisen. Gesundheitssysteme sind zu schnell an ihre Grenzen gestoßen, Lieferketten zusammengebrochen, Beschäftigte haben ihre Arbeit verloren. Die Ungleichheit in Deutschland, aber auch die regionalen Unterschiede in Europa haben sich durch die Pandemie weiter verstärkt.
Die Auswirkungen der weltweiten Covid-Pandemie haben gezeigt, dass unsere aktuellen Wirtschafts- und Sozialmodelle wenig nachhaltig sind und anfällig gegenüber Krisen.
Andererseits haben Staaten bewiesen, dass sie aktiv und engagiert in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen und es damit verändern können. Exemplarisch stehen hierfür das Corona-Konjunkturpaket oder die ordnungspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung sowie der europäische Aufbauplan zur Bekämpfung der Krise. Darüber hinaus wurde ein gewichtiger Teil der Mittel daran geknüpft, dass sie genutzt werden, um die Transformation voranzutreiben. So sollen mehr als 40 Milliarden Euro in die ökologische Modernisierung in Deutschland fließen.
Strukturwandel muss aktiv gestaltet werden
Die Corona-Krise zeigt: Ein handlungsfähiger Staat kann und muss aktiv gestalten. Dieses Credo gilt auch für die sozial-ökologische Transformation. Die mit dem Strukturwandel verbundenen Unsicherheiten und mitunter einschneidenden Veränderungen gilt es deshalb mit verlässlichen Perspektiven und tragfähigen Konzepten für betroffene Regionen, Branchen und Beschäftigte zu beantworten. Menschen, die von ihrer Hände Arbeit leben müssen, dürfen dabei nicht unter die Räder kommen. Es wird darauf ankommen, dass relevante Akteur_innen die Veränderungsprozesse maßgeblich mitgestalten.
Die Corona-Krise zeigt: Ein handlungsfähiger Staat kann und muss aktiv gestalten. Dieses Credo gilt auch für die sozial-ökologische Transformation.
Für Beschäftigte beginnt der Gestaltungsanspruch am Arbeitsplatz und erstreckt sich bis zur staatlichen Rahmensetzung mit Hilfe der Gewerkschaften. Dieser Anspruch folgt der Erkenntnis, dass die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung stets von Menschenhand gestaltet wurde und eben nicht von Ratingagenturen oder Algorithmen. Eine aktive Politik muss Weichen für Unternehmen und Regionen stellen und schon wirken, bevor Beschäftigung in nennenswertem Umfang abgebaut wird. Dazu gehören auch Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, um die Beschäftigten fit für ein verändertes Anforderungsprofil zu machen. Dort, wo Beschäftigung verloren geht, müssen moderne Sozialsysteme die Folgen abfedern. Das schafft Sicherheit im Wandel, stärkt die Akzeptanz und kann den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern.
Ein wesentlicher Schlüssel sind Investitionen. Diese machen Wirtschaft und Beschäftigung zukunftsfest. Es braucht gut ausgebaute Verkehrswege, bezahlbare Energie, flächendeckende schnelle Internetverbindungen, gute Bildungs- und Forschungsinfrastruktur. Gerade in Deutschland wurde vielerorts auf Verschleiß gefahren. Die Infrastruktur ist veraltet und passt nicht mehr zu den aktuellen Herausforderungen. Öffentliche Investitionen in klimafreundliche Infrastrukturen, innovative Technologien, Energieeffizienz, erneuerbare Energien, den Ausbau des grenzüberschreitenden Zugverkehrs und neue klimaschonende Mobilitätsformen senken den CO2-Ausstoß und schaffen Alternativen für klimafreundliches Verhalten. Wenn bei der Ausführung öffentlicher Investitionen insbesondere tarifgebundene Unternehmen zum Zuge kommen, kann das Gute Arbeit zusätzlich befördern.
Beschäftigte sind Dreh- und Angelpunkt der Transformation
Aktuelle Studien zeigen: Wo Beschäftigte organisiert und an den Unternehmensentscheidungen beteiligt sind, wird mehr getan, Treibhausgasemissionen zu vermeiden. Mitbestimmung fördert eine nachhaltige Unternehmenspolitik und eine innovative Unternehmenskultur. Beispielhaft stehen dafür von Betriebs- und Personalräten etablierte Vorschlagswesen, die Beschäftigte ermuntern, ihr Know how einzubringen, um Betriebsabläufe zu verbessern, Energie einzusparen oder Umweltschutzmaßnahmen umzusetzen. Beschäftigte kennen ihr Unternehmen am besten und wissen, wo Energie und Ressourcen eingespart und Klimaschutzmaßnahmen am effektivsten eingesetzt werden können. Mitbestimmung und Tarifverträge sorgen für mehr Gerechtigkeit im Betrieb, sichern wirtschaftliche und soziale Teilhabe und geben Sicherheit in Zeiten von Veränderungen.
Ein Beispiel ist der Baubereich. Hier gibt es tarifliche Regelungen, um Beschäftigte vor veränderten Wettereinflüssen wie Extremhitze und Kälte zu schützen, aber auch bei wetterbedingtem Arbeitsausfall abzusichern. Auch in der Industrie sollen über Zukunftstarifverträge klare Perspektiven in der Transformation geschaffen werden.
Gewerkschaften unterstützen eine nachhaltige Entwicklung
Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen gehören in vielen Branchen und gerade im Globalen Süden zum etablierten Wirtschaftsmodell. Der unlautere Wettbewerb auf Kosten der Umwelt und fundamentaler Arbeitnehmerrechte wie etwa beim Abbau von Steinkohle oder seltener Erden im Globalen Süden behindert eine nachhaltige und klimafreundliche Entwicklung. Dem können demokratische Gewerkschaften weltweit entgegenwirken. Starke Arbeitnehmerorganisationen sind es gewohnt und in der Lage, im sozialen Dialog mit Regierungen und Arbeitgebern auf Augenhöhe zu verhandeln und so bessere Arbeitsbedingungen und ökologische Mindeststandards zu erkämpfen. Wichtig ist, dass Gewerkschaften mit am Tisch sitzen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Zielkonflikte zwischen Arbeit, Umwelt und Sozialem diskutiert und belastbare Vorschläge zur Bewältigung der Transformation erarbeitet werden.
Der Autor, Jan Philipp Rohde, ist Referent für Umwelt-, Klima-, und Nachhaltigkeitspolitik beim DGB Bundesvorstand.
Der Artikel erschien in der Broschüre, Transformation weltweit – für Gute Arbeit im digitalen und ökologischen Wandel, im Dezember 2020.