Gewerkschaftsrechte weltweit: Süd- und Südostasien - Mit vier Punkten in die Offensive

Neoliberale Maßnahmen der Internationalen Finanzinstitutionen und der Regierungen haben die Situation der arbeitenden Bevölkerung in Indien, Bangladesch, Kambodscha, Indonesien, Malaysia und Myanmar verschlechtert. Gegen die Fragmentierung der Arbeitsbeziehungen und ausschließende fremdenfeindliche Tendenzen haben die Gewerkschaften mit Hilfe Globaler Gewerkschaftsverbände wie die Bau- und Holzarbeiter Internationale und die Internationale der öffentlichen Dienste eine Strategie der Selbststärkung entwickelt.
Die Autorin Simiran Lalvani ist Beraterin im Projekt Future of Work bei Microsoft Research India. Zuvor forschte sie zu der Situation von Arbeitenden im App-basierten Lieferservice und trug damit bei zur ›Mapping Digital Labour in India‹-Studie des Centre for Internet and Society (CIS). Der Artikel wurde im Dezember 2019 in unserer Broschüre Gewerkschaftsrechte weltweit (2019) veröffentlicht.
Das aktuelle Wirtschaftssystem hat zu einer Verschärfung von Elend und Migration geführt. Die Fragmentierung der Produktionsprozesse, teils über den gesamten Globus verteilt, führt zu Informalisierung und Unsichtbarkeit von Arbeit und Arbeitenden. Gleichzeitig erstarken rechte Kräfte und damit Ideen der reinen Nation, Rassen, Kasten. Der Zusammenhang von kapitalistischer Ausbeutung und Xenophobie geht weit in die Menscheitsgeschichte zurück. Die Abwertung, teils Dämonisierung von etwa Frauen, bestimmten Kasten und ethnischen Minderheiten erfüllt eine Funktion. Besonders deutlich wurde dies während des Kolonialismus. Die Versklavung und Ausbeutung von Menschen wurde auch dadurch gerechtfertigt, dass diese einer niederen Rasse angehören würden. Das Verständnis für die Universalität von Menschenrechten muss immer wieder erkämpft und geschützt werden. Jedoch stehen heute rechte Ideologien und eine Individualismus befördernde Wirtschaftsweise der Solidarität und kollektiven Handlungen entgegen.
Um den Einfluss von Gewerkschaften zu verringern, haben Regierungen zudem versucht, deren Rechte durch Arbeitsreformen zu beschränken. Durch Auslagerung von Produktionsprozessen entziehen sich die Arbeitsbedingungen ohnehin vielerorts der gewerkschaftlichen und öffentlichen Kontrolle. Die Angriffe auf demokratische Werte und Rechte werden von Gewerkschaften jedoch nicht tatenlos hingenommen. Am Beispiel von Indien, Bangladesch, Kambodscha, Indonesien, Malaysia und Myanmar wird im Folgenden aufgezeigt, welche Gegenstrategien Gewerkschaften entwickeln.
Was die fünf Länder eint, sind durchweg hohe Wachstumsraten und der starke Einfluss rechter fremdenfeindlicher Kräfte. Dabei sind sie in ganz unterschiedlichen Entwicklungsstadien, die Wirtschaftsleistung pro Kopf schwankt von 1.326 US-Dollar in Myanmar, über 2.000 in Indien und 3.830 in Indonesien bis zu 11.239 US-Dollar in Malaysia. Aber alle verfolgen eine neoliberale Politik im Sinne des internationalen Mainstreams beispielweise vertreten durch Weltbank und Internationalem Währungsfond, die Arbeitsnormen und Gewerkschaftsrechte als Hindernis für das Wachstum des Privatsektors sehen.
Die Gegenstrategie der Gewerkschaften
Die Gewerkschaften in Indien, Bangladesch, Kambodscha, Indonesien, Malaysia und Myanmar stellen sich den neoliberalen und rechten Kräften entgegen. Ihre Strategie ist erstens, der Versuch mehr Menschen zu organisieren, gerade jene, die als schwer organisierbar gelten. Zweitens, die Wiederbelebung demokratischer Ideale und die Stärkung demokratischer Institutionen und Praxis. Drittens, suchen sie Verbündete in Medien und Politik und viertens, nutzen sie die Chancen digitaler Technologie und Medien.
1 Einbeziehen von informell und scheinbar nicht organisierbaren Beschäftigten
In Asien macht die informelle Arbeit einen Großteil der vorhandenen Arbeit aus. Teilweise findet sie sogar innerhalb des formalen Sektors statt. Zum Beispiel arbeiten in Südasien weibliche Gesundheitsfachkräfte für die staatlichen Programme, sie gelten aber als »Freiwillige« oder »Gesundheitsbesucherinnen« und nicht als Mitarbeiterinnen.
Die Internationale der Öffentlichen Dienste (engl. Public Services International PSI) hat erkannt, dass die Gewerkschaftsstatuten, welche die Beteiligung informeller Beschäftigter einschränken, problematisch sind. Deshalb versucht sie, zum einen diese Regeln zu ändern und Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen und zum anderen, die Organisierung informeller Beschäftigter zu stärken, wobei die Erfahrungen der Arbeitenden selbst maßgebend sind.
In Pakistan beispielsweise sorgten die PSI-Mitgliedsorganisationen dafür, dass »weibliche Gesundheitsarbeiterinnen« nun als Arbeiterinnen gelten. Auch in Indien streitet PSI in der reichsten kommunalen Körperschaft Indiens, der Brihanmumbai Municipal Corporation, für eine solche Anerkennung angeblich freiwilliger Gesundheitshelferinnen. Solche rechtlichen Schritte werden auch von anderen informellen Arbeitnehmenden beobachtet und begrüßt, beispielsweise von informellen Justizangestellten, die nicht die gleichen Vorzüge genießen wie die Arbeitnehmenden in der höherrangigen Justiz.
Weitere Ansätze von Gewerkschaften sind etwa in Bangladesch die Einrichtung von Wohlfahrtsausschüssen für Hausangestellte und die Unterstützung einer Ausbildung zum Beispiel im Maurern oder Malern. So können die Frauen eine formale Anerkennung erlangen, die ihnen bei künftigen Verhandlungen mit Arbeitgebenden hilft.
Viele junge Menschen arbeiten in der IT-Branche und im Einzelhandel und haben häufig lange Arbeitszeiten, leisten Überstunden und werden dabei stark durch das Management kontrolliert. Diese Situation erschwert es den Arbeitenden, sich zu organisieren. Dennoch gibt es in Indien Versuche dazu. Auch die traditionellen Gewerkschaften erkennen die Missstände, haben aber ebenso Schwierigkeiten die Arbeitnehmenden zu kollektivieren.
Um an diese jungen Leute heranzukommen, hat das Bangladesh Institute of Labour Studies (BILS) ein Praktikumsprogramm mit einem Stipendium für Studierende eingerichtet. Es zielt darauf ab, die Studierenden für Arbeitsbedingungen und Arbeitsrecht zu sensibilisieren und interessieren. Daneben wurde 2006 das Asia Pacific Youth Network aufgebaut. Es hat das Ziel, junge Arbeitnehmende für Gewerkschaften zu gewinnen und formell in Gewerkschaftsstrukturen einzubinden, um die Kontinuität der Arbeiterkämpfe zu gewährleisten. Dieser Ansatz ist auch ein Versuch, die Vorstellungskraft einer Generation zu erweitern, die vielleicht nur die individualisierenden und entfremdenden Auswirkungen von Privatisierung, Globalisierung und Liberalisierung erlebt hat.

2 Verbündete suchen
Die von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in den 1980ern verordneten Strukturanpassungsramme waren von einer neoliberalen Meinungsmache begleitet. Infolgedessen verloren die Gewerkschaften an Wertschätzung. Sie wurden als Hindernisse für wirtschaftlichen Aufschwung denunziert. Als hilfreich erwies sich die wissenschaftliche Arbeit von Forscher_innen des BILS. Indem sie systematisch Arbeitsbedingungen und die Rolle der Arbeitnehmervertretungen in Verhandlungsprozessen beleuchteten, verbesserten sie das Image der Gewerkschaften in der Öffentlichkeit wieder.
Parallel dazu versuchten die Gewerkschaften, Verbindungen zu den Medien herzustellen. Sie erinnerten an ihre historische Rolle im Kampf für einen 8-Stunden-Arbeitstag und andere grundlegende Arbeitnehmerrechte. In Bangladesch gibt es inzwischen mehrere Medienhäuser, die über Arbeitsbedingungen und auch Verstöße gegen das Arbeitsrecht berichten. Damit helfen sie, ein öffentliches Bewusstsein für die Probleme der Arbeitenden zu schaffen und Arbeitgebende bloßzustellen. Möglicherweise unterstützen Medienberichte so auch die Verhandlungen der Arbeitnehmenden (siehe Kasten Seite 52).
Überhaupt bemühen sich die Gewerkschaften, in der Öffentlichkeit Alternativen zu neoliberalen Politiken aufzuzeigen. Einige Beispiele sind Re-Kommunalisierung als Alternative zur Privatisierung von öffentlichen Versorgungseinrichtungen wie Wasser. Dabei streben sie auch danach, die globale Politik, Führungskräfte, aber auch einfache Mitarbeitende in betroffenen Unternehmen über Konsequenzen von Geschäftspraktiken aufzuklären. Nicht zuletzt geht es darum, Verhandlungen etwa von Handelsabkommen wie der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) publik zu machen. Denn diese, so die Kritik, finden im Geheimen und ohne korrekte Beteiligung des Parlaments statt.
3 Schutz demokratischer Institutionen
Die aktive Teilnahme am öffentlichen Diskurs und die kritische Begleitung von Regierungspolitik sind wesentliche Elemente zum Aufbau und Schutz demokratischer Strukturen und Institutionen. Die Gewerkschaftsstrategien umfassen aber auch die Verteidigung einer unabhängigen Justiz und die Unterstützung der indigenen Bevölkerung im Kampf für ihre Rechte zum Beispiel in der Klimakrise.
Die Internationale der Holz- und Bauarbeitenden (BWI) verbindet die Rechte von Arbeitnehmenden und indigenen Gemeinschaften in einem Stewardship Council und einem Programm für die Zertifizierung von Wäldern zur Förderung einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung. Konkret setzt sich die Gewerkschaft dafür ein, dass lokale Gemeinschaften einbezogen werden. Sie sollen informiert und gefragt werden, wenn ihr traditionelles Land zur wirtschaftlichen Nutzung freigegeben werden soll. In Myanmar unterstützen die Gewerkschaften die Gemeinden im Kampf gegen ein von den chinesischen Behörden vorangetriebenes Dammprojekt.
4 Umgang mit Digitalisierung
Mitglieder des Dachverbandes der Hong Kong Federation of Trade Union Movements haben an den jüngsten »führungslosen« Kämpfen in Hongkong gegen die Änderungen des Auslieferungsgesetzes teilgenommen. Die Teilnehmenden berichten, dass sie ihre Slogans und Protestaktionen über Social Media Plattformen wie Telegram verbreiten und dort auch diskutieren und abstimmen.
Generell können die Gewerkschaften etwa Social Media und Visuals nutzen, um öffentliche Meinung sichtbar zu machen und zu beeinflussen. Auf der fünfjährigen Asien-Pazifik-Konferenz von PSI gingen Gewerkschafter_innen zur Unterstützung des globalen Klimastreiks »live«, woraufhin die internationalen Medien darüber berichteten.
Zudem können die Technologien auch als Plattform dienen, um Arbeiter_innen zu erreichen und mit ihnen zu arbeiten. BWI Connect ist eine SMS-Hotline für Arbeitsmigrant_innen, die Verletzungen des Arbeitsrechts melden und Beratung benötigen. Auf diese Weise können nicht nur Arbeitnehmende erreicht werden, die besonders von Hass und Diskriminierung betroffen sind. Der Austausch und die Vernetzung sind eine Möglichkeit, um die Gewerkschaften zu stärken.
Arbeitgebenden nutzen neue Technologien aber auch zur Überwachung, Kontrolle und Verwaltung von Arbeitnehmenden im Rahmen fragmentierter Produktionsprozesse. Die sogenannten Gig Economy etwa sorgt dafür, dass Arbeitgebende sich aus der Verantwortung ziehen können, indem sie behaupten, beispielsweise IT-Kräfte nicht zu beschäftigen, sondern als unternehmerische Geschäftspartner betrachten.
In dieser Form sind die Technologien zwar repressiv und arbeitnehmerfeindlich, die Erfahrungen zeigen aber das Gewerkschaften sie auch erfolgreich nutzen – um Arbeitende zu organisieren, Bündnisse zu schließen, die Demokratie zu schützen und Gewerkschaftsrechte durchzusetzen.
Die Autorin bedankt sich für Gespräche im Rahmen des vorliegenden Beitrags bei Md. Zafrul Hasan (BILS, Bangladesh), Brother Apolinar Tolentino (BWI, Asia Pacific) und Brother Raman Kannan (PSI South Asia).