Gewalt am Arbeitsplatz - Trügerisches Paradies
In Europa gilt Thailand als offen für Transgender und Homosexuelle. Doch Angehörige sexueller Minderheiten erfahren auch im buddhistischen Königreich Diskriminierung – im Job sogar besonders.
Tanwarin Sukkhapisit ist nicht nur eine renommierte Dokumentarfilmerin. Spätestens seit diesem Frühjahr ist sie auch eine Hoffnungsfigur für die Angehörigen sexueller Minderheiten in Thailand. Im April wurde Sukkhapisit zur ersten Unterhausabgeordneten gewählt, die sich offen als genderqueer definiert. »Ich möchte ein neues Kapitel politischer Geschichte in Thailand schreiben«, sagte die 45-Jährige dem britischen Guardian.
Nach außen hin genießt Thailand ein progressives Image, wenn es um die Rechte von sexuellen Minderheiten geht. Jedes Jahr listet die Berliner Redaktion des Blogs Spartacus im Gay Travel Index (GTI) die LGBT-freundlichsten Reiseländer auf. In Asien ist Thailand, hinter Israel und Taiwan, das LGBT-freundlichste Reiseland. Der Slogan »Go Thai, Be Free« kommt in der homosexuellen Community in Deutschland gut an. Nicht zuletzt ist es ein Millionengeschäft - viele Ressorthotels, Clubs und Restaurants vermarkten sich gezielt als »gay-friendly«.
Kathoeys – umgangssprachlich oft Ladyboys genannt – sind in der Öffentlichkeit so sichtbar wie in kaum einen anderen Land. In thailändischen Seifenopern besetzen Transschauspieler_innen viele Rollen, in Lokalzeitungen werben Kliniken mit ganzseitigen Anzeigen für Geschlechtsumwandlungen. Und viele Kathoeys arbeiten in Haarsalons oder in der Tourismusindustrie.
Im Jahr 2002 veröffentlichte die Universität Hongkong, dass auf 166 Männer ungefähr ein Khatoey kommt - in den USA hingegen sei das Verhältnis 1 zu 2500. Gewalttätige Anfeindungen, wie sie in vielen europäischen Ländern an der Tagesordnung sind, gibt es kaum. Doch der Schein trügt.
Erst im Jahr 2011 strich das Verteidigungsministerium in Bangkok Transsexualität von seiner Liste psychischer Erkrankungen. Als die Khon-Thai-Stiftung im Jahr 2014 eine Umfrage machte, hielten 56 Prozent aller Thailänder zwischen 15 und 24 Jahren Homosexualität für falsch.
Die Curtin Universität in Singapur hat nun in einer Studie systematisch genderspezifische Diskriminierung am Arbeitsplatz untersucht. Die Ergebnisse für Thailand sind ernüchternd: »Trotz gleicher Qualifikationen und Erfahrungen erhalten Transbewerber_innen in allen untersuchten Arbeitsfeldern deutlich weniger Einladungen zu Job-Interviews als die anderen Bewerber_innen«, heißt es in dem Bericht.
Besonders deutlich zeigte sich die Diskriminierung im Bereich Buchhaltung und Rechnungswesen: Dort haben Menschen, die nicht einer binären Geschlechteridentität entsprechen, nur eine halb so große Chance am Arbeitsmarkt. Oft würden die Jugendlichen schon von ihren Eltern entmutigt, bestimmte Berufe zu ergreifen. So gibt es beispielsweise im ganzen Land nur eine einzige offen transsexuelle Universitätsprofessur.
»Transmenschen erfahren in Thailand regelmäßig Diskriminierung, so werden sie oft in den Niedriglohnsektor gezwungen oder in stigmatisierte Berufsfelder«, sagt Kyle Knight von der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch Thailand: »Zudem gibt es genügend Hinweise, dass Transmenschen – genau wie Lesben und Schwule – während der Schulzeit häufig Opfer von Mobbing werden.« Laut einer UN-Studie aus dem Jahr 2014 leiden LGBT-Jugendliche in Thailand viermal häufiger als der Durchschnitt an Depressionen. Sieben von zehn Befragten gaben zudem an, dass sie in der Schule Opfer von Schikanierung wurden.
Ein Meilenstein für die Gleichstellung bildet der im September 2015 verabschiedete »Gender Equality Act«, der von vielen Nichtregierungsorganisationen als ein Schritt in die richtige Richtung gefeiert wurde. Das Gesetz – einzigartig in ganz Südostasien – richtet sich vornehmlich gegen die Diskriminierung von sexuellen Minderheiten. Jedoch kritisieren viele Aktivist_innen, dass der »Gender Equality Act« nicht weit genug reicht: vage Formulierungen und gesetzliche Schlupflöchern lassen die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung weiterhin zu.
Laut Kyle Knight von Human Rights Watch Thailand würde die Ratifizierung des ILO Übereinkommens 190 gegen Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt signifikant dazu beitragen, die Situation der LGBT-Gemeinschaft in Thailand zu verbessern: »Nicht zuletzt erkennt das ILO Übereinkommen an, dass die Diskriminierung und Belästigung nicht nur auf den Arbeitsplatz selbst beschränkt ist, sondern auch auf dem Pendlerweg zum Büro passiert, während Feierabendveranstaltungen oder bei Treffen mit Kollegen«.
Autor: Fabian Kretschmer ist seit Jahren als Korrespondent in Südostasien unterwegs