Gewalt am Arbeitsplatz - Aus den Projekten: >>Wir wollen selbst entscheiden dürfen<<
Die meisten der rund 400.000 migrantischen Hausangestellten in Hongkong sind der Willkür ihrer Arbeitgeber und der Vermittlungsagenturen ausgeliefert. Aber: Die Regierung habe einige Verbesserungsvorschläge aufgenommen, sagt Grace Aquino-Estrada von der Progressive Labor Union of Domestic Workers in Hongkong.
Nord |Süd news: Frau Estrada, Sie sind als Gewerkschaftsaktivistin seit einiger Zeit darum bemüht, die migrantischen Hausangestellten in Hongkong zu organisieren, um verstärkt gegen Missstände in ihren Jobs vorgehen zu können. Ist Ihnen das gelungen?
Grace Aquino-Estrada: Es gab vor drei Jahren eine umfassende Studie über die Arbeitsbedingungen der migrantischen Hausangestellten in Hongkong. Daraus ging hervor: 17 Prozent arbeiten unter Bedingungen, die Zwangsarbeit gleichkommen. Abgeordnete des Hongkonger Parlaments haben sich unsere Vorschläge angeschaut und einiges davon aufgegriffen. Unter anderem haben wir gefordert, dass die Strafe bei Missbrauch von Hausangestellten verschärft wird. Das ist erfolgt. Anfang des Jahres hat die Hongkonger Regierung zudem einen Leitfaden veröffentlicht, in dem ebenfalls einige unserer Vorschläge aufgegriffen sind. Er ist aber nicht gesetzlich bindend.
Was sind für die migrantischen Hausangestellten die größten Missstände?
Rund 400.000 ausländische Hausangestellte gibt es in Hongkong. Einer von drei Haushalten mit Kindern in Hongkong beschäftigt uns. Der Mindestlohn liegt aktuell bei etwa 550 Euro im Monat. Unsere Arbeitszeiten sind nicht beschränkt, nur ein freier Tag pro Woche wird uns zugestanden. Das größte Problem ist aber, dass wir bei unseren Arbeitgebern wohnen müssen. Sonst bekommen wir kein Visum. Wir dürfen uns keine eigenen Zimmer nehmen. Auf diese Weise sind wir allen möglichen Formen der Ausbeutung ausgeliefert.
Inwiefern?
Arbeitszeiten von 16 Stunden und mehr sind üblich. Viele von uns leiden unter Schlafmangel. In Hongkongern Haushalten ist es zudem oft sehr eng. Wir haben kein Problem damit, mit den Kindern oder der Großmutter ein Zimmer zu teilen. Viele von uns aber müssen in der Küche oder in Abstellkammern schlafen. Hinzu kommt, dass es immer wieder zu Misshandlungen und sexuellen Übergriffen kommt. Wir können uns dann oft nicht wehren, weil sich vieles im Verborgenen abspielt. Das ist daher eine wesentliche Forderung unserer Kampagne: Wir wollen selbst entscheiden dürfen, wo wir wohnen.
Können Sie sich nicht an die Agenturen wenden, die Sie vermittelt haben?
Nein, diese Agenturen sind oft Teil des Problems. Obwohl die Vermittlungsgebühr offiziell nicht mehr als zehn Prozent unseres Einkommens betragen darf, verlangen sie häufig mehr von uns. Viele von uns sind bei diesen Agenturen verschuldet. Als Pfand behalten sie unsere Pässe und Aufenthaltsgenehmigungen, die diese Agenturen ja für uns organisieren. Laut Gesetz müssen wir nach einer Kündigung binnen zwei Wochen Hongkong verlassen. Das hält viele Frauen davon ab, Missbrauch anzuzeigen.
Sind diese Probleme der Hongkonger Regierung nicht bewusst?
Doch, sind sie. Aber vieles interessiert sie nicht.
An Sonn- und Feiertagen sitzen die migrantischen Hausangestellten zu Tausenden in Parks, auf Brücken und vor Einkaufszentren. Das ist ein stiller, aber nicht zu übersehnder Protest?
Protestieren wollen wir auf diese Weise nicht. Wir wollen uns einfach mit unseren Freundinnen und Verwandten treffen. Aber ja, Sie haben Recht, auch das ist ein Problem. Wir haben schon den Vorschlag gemacht, ob wir uns nicht sonntags auf den Pausenhöfen von Schulen treffen dürfen. Doch auf diesen Vorschlag sind die Behörden nicht eingegangen.
Stört es die Verwaltung nicht, wenn die Hausangestellten sonntags die Einkaufszentren belagern?
Aus den Einkaufszentren werden wir vertrieben. Wenn wir uns nur länger als fünf Minuten in einer klimatisierten Shopping Mall aufhalten, kommen die Sicherheitskräfte. Dabei gehen sie oft auch nach Aussehen vor. Wer nicht chinesisch aussieht, muss gehen.
Gibt es Unterstützung von der Zivilgesellschaft?
Ja, die gibt es. Die Gewerkschaften unterstützen uns, es gibt Anwälte, die uns rechtlichen Beistand geben. Sie sind uns eine große Hilfe.
Bis 1997 war Hongkong britische Kronkolonie und gehört seitdem erst als eine Sonderverwaltungszone wieder zu China. Seit Monaten finden Massenproteste für mehr Demokratie statt. Unterstützen Sie diesen Protest?
Aktiv an den Protesten dürfen wir uns nicht beteiligen. Wenn wir mit der Polizei Probleme bekommen, können wir sofort abgeschoben werden. Wir posten aber Solidaritätsbekundungen im Netz. Vieles hat sich seit der Übergabe Hongkongs an China für uns verschlechtert. Dazu gehört der Zwang, bei unseren Arbeitgebern wohnen zu müssen. Uns ist bewusst: Jede Verschlechterung in der Stadt wird auch negative Auswirkungen auf unser Leben haben.
Grace Aquino-Estrada, 59, ist eine philippinische Hausangestellte und Vorsitzende der Progressive Labor Union of Domestic Workers (PLU), einer freien Gewerkschaft in Hongkong.
Interview: Felix Lee hat mehrere Jahre in Peking als Korrespondent gelebt, bevor er nach Berlin gezogen ist. In den letzten Monaten war er mehrfach in Asien unterwegs.
September 2019