Digitale Plattformgenossenschaften in Südafrika Plattformökonomie – aber nur von Menschen für Menschen
Mit der Digitalisierung hat sich ein neues Geschäftsmodell entwickelt, das die Arbeitsbeziehungen revolutioniert – die sogenannte Plattformökonomie. Was aber passiert, wenn man die Betreiber einfach machen lässt, beschreibt Fairuz Mullagee am Beispiel von Uber in Südafrika. Ihr Plädoyer: Es ist wichtig, die digitalen Möglichkeiten selbst innovativ zu nutzen. Sie arbeitet mit an der Gründung einer genossenschaftlichen Plattform für Hausangestellte.
Ein Artikel aus der Broschüre Transformation weltweit (2020).
Von Ungleichheit und Ausgrenzung geprägt: Südafrika
Nach jahrzehntelangem Kampf gegen das Apartheid-Regime erlangte die südafrikanische Bevölkerung 1994 die politische Freiheit. Die demokratisch gewählte Regierung übernahm einen Staatsapparat, der zugunsten einer Minderheit auf die Doktrin der Rassentrennung zugeschnitten war. Südafrika ist auch heute noch von einer sozialen Ungleichheit geprägt, die zu den höchsten weltweit gehört. Weltbank und andere internationale Institutionen sehen den Grund dafür auch in dem Vermächtnis, das auf Ausgrenzung baut. Die Volkswirtschaft ist auf ein Wachstumsmodell ausgerichtet, von dem die unteren Einkommensgruppen nicht profitieren und das nicht genug Arbeitsplätze schafft. Während die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung über etwa 71 Prozent des Nettovermögens verfügen, halten die unteren 60 Prozent nur 7 Prozent davon.
Arbeitslosigkeit ist eines der größten Probleme. Dabei werden der Zugang der Beschäftigten zum Arbeitsmarkt und ihr Einkommen von Hautfarbe und Geschlecht beeinflusst. Hinzu kommen unterschiedliche Chancen je nach Berufsgruppe. Denn die wirtschaftliche Entwicklung führt zu steigender Nachfrage nach Fachkräften, während der Bedarf an weniger gut ausgebildeten Erwerbstätigen schrumpft. Weil die Hochqualifizierten nicht zur traditionellen Gewerkschaftsklientel gehören, nimmt die Fähigkeit zur Durchsetzung kollektiver Interessen ab, der soziale Dialog franst aus. Vor dem Hintergrund des schnellen Wandels in der Arbeitswelt büßen Gewerkschaften ihre Rolle als Stimme der Beschäftigten ein.
Die Coronapandemie lässt diese Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt noch stärker hervortreten und vergrößert die Kluft. Denn sie trifft die Branchen am härtesten, in denen viele Ungelernte tätig sind. Schlimm ist auch die Lage der Hausangestellten: Jede vierte von ihnen, meist Frauen in besonders prekären Beschäftigungsverhältnissen, hat seit dem Beginn der Krise ihre Arbeit verloren.
Uber & CO Digitale Plattformen in Südafrika
In Südafrika bekannt sind digitale Plattformen seit 2014. Damals stieg Uber in die Personenbeförderung ein. In der von Ungleichheit, Armut und Arbeitslosigkeit geprägten Volkswirtschaft, in der atypische Beschäftigung ohnehin häufig vorkommt, erschien das Plattformmodell innovativ und attraktiv. Es bot die Möglichkeit, Marktfunktionen zu optimieren und Menschen in das Wirtschaftsgeschehen zu integrieren: Es reichte, sich als Fahrgast bzw. Fahrdienstleister_in bei Uber zu registrieren – und es konnte losgehen. Fahrgäste und Vielreisende nahmen das Angebot dankbar an. Endlich gab es einen hocheffizienten und günstigen Fahrdienst. Die Fahrer_innen teilten die Begeisterung anfangs. Sie konnten nun „ohne Vorbedingungen“ arbeiten, wann immer sie wollten.
Es blieb nicht bei Uber. Der Bericht Pathways to digital work aus dem Jahr 2019 verzeichnet für Südafrika 90 digitale Plattformen in unterschiedlichsten Branchen. Die Geschäftsmodelle setzen auf gering qualifizierte Arbeitskräfte und versprechen ihnen eine reale Chance auf ein Arbeitseinkommen. Vor allem bei einfachen Tätigkeiten im Transportwesen und in den Bereichen Nahrung und Lieferdienste finden sich entsprechend mehr und mehr Arbeitskräfte auf Plattformen wieder. Damit ist eine Ökonomie entstanden, die das eingangs beschriebene Muster der Ungleichheit in Gesellschaft und Wirtschaft noch stärker abbildet als die traditionelle. Sie bedient vorrangig die Nachfrage der wohlhabenden Schichten.
Seither werden Gerichtsverfahren geführt, und die Arbeitenden streiten unermüdlich für gute Arbeitsbedingungen und ihre Anerkennung als abhängig Beschäftigte.
Bei den geringer Qualifizierten, die sich neue Zugänge zu Arbeit erhofft haben, ist die Euphorie inzwischen gewichen. Denn die Plattformen haben sich als ambivalent erwiesen: Sie können zwar eine verborgene Nachfrage nach gering qualifizierten Tätigkeiten sicht- und nutzbar machen, aber sie können auch zu grenzenloser Ausbeutung führen.
Bestes Beispiel dafür ist Uber, dem die Fahrer_innen bald vorwarfen, zu niedrige Tarife zu nehmen, von denen sie nicht leben konnten. Zudem könne der Mitfahrdienst sie einseitig von der App nehmen und damit „abschalten“. Im Jahr 2017 legten betroffene Fahrer_innen bei der paritätischen Schlichtungskommission CCMA Einspruch gegen solche Quasi-Kündigungen ein. Die CCMA (Commission for Conciliation, Mediation and Arbitration) ist in Südafrika den Arbeitsgerichten vorgeschaltet, um Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden im Idealfall zu klären, bevor sie vor Gericht landen. Uber zog jedoch die Zuständigkeit der CCMA in Zweifel und forderte sie auf, zunächst zu prüfen, ob es sich bei Uber-Fahrenden überhaupt um abhängig Beschäftigte im Sinne des 1995 verabschiedeten Arbeitsgesetzes handle. Seither werden Gerichtsverfahren geführt, und die Arbeitenden streiten unermüdlich für gute Arbeitsbedingungen und ihre Anerkennung als abhängig Beschäftigte.
Das ist Prinzip. Der wirtschaftliche Erfolg der digitalen Plattformen beruht generell auf einem Modell, das die dort Arbeitenden als Werkvertragsnehmende einstuft und nicht als abhängig Beschäftigte. Neben Fahrdiensten wie eben Uber und Bolt, agieren auch Plattformen aus anderen Branchen wie beispielsweise Sweepsouth und Domestly bei den haushaltsnahen Dienstleistungen immer gleich: Der Plattformbetreiber setzt die Qualität und den Preis der Leistung fest, übernimmt aber keine Verantwortung für die Kosten, die den Arbeitenden bei der Leistungserbringung entstehen.
Eine genossenschaftlich organisierte Plattform
Um Strategien dagegen zu entwickeln, kann der Blick auf die Entwicklung bei den Hausangestellten hilfreich sein. Weil diese meist als Einzelpersonen in Privathaushalten tätig sind, ist es kaum möglich, sie nach Art traditioneller Industriegewerkschaften zu organisieren. Eine ähnliche Vereinzelung am Arbeitsplatz und ein häufiger Wechsel der Arbeitgebenden ist auch bei der Plattformarbeit zu beobachten und bedingen dort den ebenfalls geringen Organisationsgrad. Das allgemeine Recht auf Tarifverhandlungen lässt sich unter solchen Bedingungen auf den ersten Blick nur schwer durchsetzen.
Aktuell nutzen Uber und andere Unternehmen die Informations- und Kommunikationstechnologien in ausbeuterischer Absicht. Die digitalen Möglichkeiten und Treiber von Veränderungen in der Arbeitswelt und im Privatleben bieten aber auch neue Chancen der Selbstorganisation
Aktuell nutzen Uber und andere Unternehmen die Informations- und Kommunikationstechnologien in ausbeuterischer Absicht. Die digitalen Möglichkeiten und Treiber von Veränderungen in der Arbeitswelt und im Privatleben bieten aber auch neue Chancen der Selbstorganisation: Immerhin nutzen in Südafrika 95 Prozent der Erwachsenen ein Mobiltelefon, 60 Prozent ein Smartphone. Damit sind nicht nur die technischen Grundvoraussetzungen für digitale Plattformen gegeben, sondern auch dafür, die prekär Beschäftigten zu erreichen und zu organisieren. Das hat die Forschungsgruppe Sozialrecht an der Universität Western Cape in Kapstadt erkannt und damit begonnen beides zu vereinen. Sie entwickeln ein alternatives digitales Plattformmodell für Hausangestellte und greifen damit eine Idee der sozialen und solidarischen Ökonomie auf. Dieses Konzept richtet sich an Unternehmen und Organisationen wie Genossenschaften. Indem sie ökologisch und sozial nachhaltig Waren produzieren, Dienstleistungen erbringen und Wissen schaffen, wollen sie ihren Beitrag zu einer solidarischen Gesellschaft leisten.
Diese Plattform, die mit Unterstützung des DGB Bildungswerks erstellt wird, ist genossenschaftlich organisiert und trägt den Namen „Siyakhathala“. Das Pilotprojekt ist den Grundsätzen genossenschaftlicher Zusammenarbeit verschrieben und hat das Ziel, eine „digitale Plattform von Hausangestellten für Hausangestellte“ einzurichten. Bis Ende 2022 soll sie gegründet und eingetragen sein und zunächst in den Provinzen Gauteng und Westkap zur Anwendung kommen. Die Entwicklung ist zweigleisig geplant: Zum einen sollen Hausangestellte und Arbeitgebende durch Fortbildungsangebote zur bewussten Beschaffung einschlägiger Waren, Dienstleistungen und Wissen befähigt werden. Parallel dazu wird die passende digitale Internetplattform entstehen.
Fazit: Das Modell erproben und weiterentwickeln
Die Idee der digitalen Plattformgenossenschaften ist relativ neu. Auf dem Weg in die Zukunft der Arbeit könnten sie ein erster Versuch sein, auf die negativen Folgen der Plattformarbeit zu reagieren. Vor allem aber sind sie eine Antwort auf das extrem ungleiche Modell monopolistischer Ausbeutungsplattformen, die weite Teile der Bevölkerung von Sozialleistungen und wirtschaftlicher Teilhabe ausschließen. Plattformgenossenschaften, die gemeinsam von unten errichtet und gestaltet werden, sind eine vielversprechende Alternative. Sie werfen ganz eigene Fragen und Probleme auf und sollten ohne Vorbehalte ausprobiert, angepasst und stetig weiterentwickelt werden.
Die Autorin, Fairuz Mullagee, ist Wissenschaftlerin an der Juristischen Fakultät der Universität Western Cape in Kapstadt, Südafrika, und Koordinatorin des Forschungsprojekts Sozialrecht, Schwerpunkt Arbeitswelt und soziale Gerechtigkeit. Als Projektmanagerin unterstützt sie den Aufbau der ersten digitalen Plattformgenossenschaft für Hausangestellte in Südafrika.
Der Artikel erschien in der Broschüre, Transformation weltweit – für Gute Arbeit im digitalen und ökologischen Wandel, im Dezember 2020.