Coronafolgen: Informelle Arbeit Mexiko »Wir haben angefangen, Gemüse zu pflanzen«
Keine Arbeit, kein Ausfallgeld, eine kranke Mutter und zwei Kinder – die Mexikanerin Antonia Barrios verdient ihr Geld eigentlich als Hausangestellte und Marktfrau, derzeit fällt beides weg. Sie würde sich sofort einer Gewerkschaft anschließen, die kurzfristig für Hilfen kämpft und langfristig für eine Sozialversicherung.
Nord | Süd news: Frau Barrios, wovon bestreiten Sie normalerweise Ihren Lebensunterhalt?
Antonia Barrios: Ich bin Hausangestellte und putze in mehreren Haushalten. Zudem verkaufe ich samstags auf dem Markt gebrauchte Kleidung, Schuhe, Puppen, Teddybären und alles mögliche. Damit bringe ich meine Familie über die Runden.
Wie hat sich die Situation mit der Ausbreitung des Corona-Virus verändert?
Im Moment habe ich wegen der Pandemie keine Arbeit in den Haushalten. Außerdem hat die Regierung nicht genehmigt, den Markt zu öffnen, da es keine Menschenansammlung geben darf. Also nehme ich auch dort nichts ein
Bekommen Sie Ausfallgeld von den Familien, für die sie arbeiten?
Nein. das ist ganz einfach: Wenn ich in die Haushalte gehe und arbeite, verdiene ich Geld, gehe ich nicht, gibt es keinen Lohn. Nur eine Frau, für die ich tätig bin, zahlt mich weiterhin. Das ist eine große Hilfe.
Wer entscheidet, ob Sie arbeiten gehen?
Ich habe meinen Arbeitgebenden geschrieben, dass ich arbeiten muss, um meine Familie zu ernähren. Aber niemand hat reagiert. Das ist auch schlecht, weil meine Mutter schwer krank ist und ich Geld brauche, um Arznei und spezielle Nahrung zu kaufen. Der Staat hilft uns nicht. Mein Sohn studiert, und das kostet Studiengebühr. Außerdem braucht er einen Internetanschluss. Aber immerhin sparen wir derzeit die Kosten für den Bus, weil wir uns ja nicht bewegen können.
Haben Sie eine Sozialversicherung?
Nein, in keinem der Haushalte, in denen ich tätig bin, zahlt jemand für mich in eine Versicherung ein. Durch eine Reform der neuen Regierung von Andrés Manuel López Obrador müssten sie das eigentlich tun …
… auch das Verfassungsgericht hat 2018 verfügt, dass Hausangestellte ins Sozialversicherungssystem aufgenommen werden …
… aber diese Kultur gibt es bei uns nicht. Die wenigsten Arbeitgeber_innen sind dazu bereit. Und für manche ist das auch schwierig, weil sie nicht so viel Geld haben. Ich könnte auch selbst einzahlen, aber das kann ich nicht finanzieren. Mein geringer Verdienst reicht gerade aus, um täglich über die Runden zu kommen.
Gibt es angesichts der Pandemie finanzielle Hilfen der Regierung?
Es gibt die Möglichkeit, Unterstützung für Kleinstunternehmen zu beantragen. Das sind jedoch keine Hilfen, sondern Kredite. Man kann 20.000 Pesos, also etwa 900 Euro, bekommen, die aber in Raten von 900 Pesos monatlich zurückbezahlt werden müssen. Ich habe das nicht gemacht, weil ich nicht weiß, wie ich das später wieder abbezahlen soll.
Wie überleben Sie?
Ich war vor vier Jahren für eine US-Amerikanerin tätig. Sie ist wieder in die USA zurückgekehrt, weil sie schon sehr alt war. Wir sind aber weiterhin in Kontakt, und sie schickt mir ab und zu etwas Geld. Dazu kommt eben der Lohn, den ich von dem einem Haushalt bekomme. Mit diesem Einkommen schlagen wir uns irgendwie durch. Meine Tochter arbeitet normalerweise als Kiosk-Verkäuferin an einer Schule, aber der ist auch geschlossen.
In einigen Bundesstaaten gibt es die Gewerkschaft SINACTRAHO, die für die Interessen von Hausangestellten eintritt …
… bei uns gibt es die nicht. Zumindest weiß ich nichts davon.
Wenn es eine Interessenvertretung gäbe, was müsste sie fordern?
Erstmal müsste sie uns informieren, dass es sie gibt. Ich würde mich natürlich anschließen. Dann müssten man gemeinsam zum Beispiel fordern, dass wir Haushaltsarbeiterinnen kurzfristig genauso unterstützt werden wie es derzeit für ältere Arbeitnehmende, Menschen mit Behinderung, manche Jugendliche vorgesehen ist – mit Geld, auch wenn das umgerechnet nur 60 Euro pro Monat sind. Und längerfristig wäre es natürlich gut, eine Sozialversicherung zu haben.
Werden Sie eine Rente erhalten?
Nein, ich bin ja nicht sozialversichert.
Von was werden Sie leben, wenn Sie nicht mehr arbeiten können?
Irgendwann wird meine Mutter sterben und bis dahin wird mein Kind das Studium abgeschlossen haben. Dann fallen ein paar Kosten weg. Zudem gehört uns das Haus, wir zahlen also keine Miete. Das erleichtert einiges. Aber letztlich bleibt mir nichts anderes übrig, als zu arbeiten, so lange es geht, und so viel wie möglich Geld für das Alter anzusparen.
Wann werden Sie wieder in die Haushalte gehen können?
Wenn alles so weitergeht, muss ich wohl mindestens bis Ende Juni zuhause bleiben. Aber ich werde meine Arbeitgeber_innen noch mal fragen, ob ich wieder kommen kann, wenn ich einen Mundschutz trage und die anderen Regeln einhalte, um eine Ansteckung zu verhindern.
Wie verbringen Sie jetzt den Tag?
Wir haben angefangen, Gemüse zu pflanzen. Vielleicht können wir in absehbarer Zeit etwas ernten.
Bio: Antonia Georgina Barrios Sánchez, 57, lebt mit ihrem Sohn Miguel Ángel, 20, ihrer Tochter Jenny Paola García Barrios, 31, und ihrem Enkel Manuel Alejandro, 9, in einem armen Viertel in Oaxaca de Juárez, der Landeshauptstadt des südmexikanischen Bundesstaates Oaxaca. Sie ist verheiratet, lebt aber von ihrem Mann getrennt. Eigentlich arbeitet sie als Hausangestellte.
Autor: Wolf-Dieter Vogel lebt als Journalist in Oaxaca und berichtet seit mehr als 20 Jahren aus Mexiko und Mittelamerika.
Juni/2020