Bergbaukonflikte in Kolumbien: Ein Konzern bringt alle gegen sich auf
Kolumbien ist einer der wichtigsten – und letzten – Lieferanten von Steinkohle überhaupt. Die Mine Cerrejón zeigt exemplarisch, was im Bergbau schief läuft: Dörfer werden verseucht, Menschen- und Arbeiter_innenrechte missachtet, die Umwelt leidet.
»Das war der Pegelstand, der früher um diese Jahreszeit normal war«, sagt Laura Brito und deutet auf eine dunkle Linie im Felsen, der das Flussbett des Río Ranchería einfasst. Die Kolumbianerin lebt im Nordosten Kolumbiens im Verwaltungsbezirk La Guiajira. Rund einen halben Meter ist der Pegelstand des wichtigsten Flusses der Region in den letzten Jahren gesunken, und den Verantwortlichen dafür kann sie klar benennen: den Steinkohlebergbau.
Die Mine liegt hinter den beiden Abraumhalden. »Und sie ist der größte Wasserkonsument der Region. Das kann man sehen«, sagt Brito und deutet auf mit bloßem Auge sichtbare Wasserfontänen, die einen dunklen Schatten auf den aufgetürmten Bergen hinterlassen. »Etliche Millionen Liter fließen da tagtäglich, und wir im Dorf leiden latent unter Wassermangel.«
Provincial heißt das 700-Einwohner_innen-Dorf, in dem die 21-Jährige lebt. Es liegt nur ein paar hundert Meter von der größten Steinkohlemine Lateinamerikas entfernt. Carbones de Cerrejón Limited heißt diese und erstreckt sich über 69.000 Hektar nahe der Provinzstadt Barrancas. In Provincial sind die Folgen der Fördertätigkeit jeden Tag zu spüren. Der sinkende Pegelstand des Flusses ist nur eine davon. Aktuell schlimmer ist der Kohlestaub, der das Wasser kontaminiert, womöglich verschmutzen zusätzlich Einleitungen den Fluss. Wildtiere sind geflüchtet, Viehhaltung und Anbau von Nahrungsmitteln nur noch eingeschränkt möglich. Selbst das Atmen fällt im Dorf schwer. »Der Kohlestaub hängt in der Luft, sorgt für Atemwegserkrankungen und Hautprobleme – die Mine zerstört unsere Lebensgrundlage«, sagt Laura Brito.
Das ist kein unbewiesener Vorwurf, sondern eine Tatsache, wie das Verfassungsgericht Kolumbiens auf Basis mehrerer Gutachten am 16. Dezember 2019 festgestellt hat. Zwei Frauen aus der Gemeinde Provincial, Mary Luz Uriana und Yasmina Uriana, hatten wegen der durch die Mine hervorgerufenen Umwelt- und Gesundheitsschäden geklagt und ihre Schließung gefordert. Die Richter gaben den Klägerinnen zwar Recht, verurteilten das Betreiberkonsortium aber nur, mehr zum Schutz der umliegenden Wayuú-Gemeinden zu tun.
Wayuú heißt die knapp 300.000 Köpfe zählende indigene Ethnie, die im Verwaltungsdistrikt La Guajira lebt. Mehr als ein Dutzend ihrer Dörfer liegen in direkter Nachbarschaft des Stollens – darunter Provincial. In der Region ist die Carbones de Cerrejón mit rund 12.000 direkt und indirekt Angestellten ein zentraler ökonomischer Faktor und extrem einflussreich. Desto wichtiger sei der juristische Erfolg, sagt Anwältin Rosa María Mateus, die die Bergbaukritiker_innen aus dem Dorf vertritt. »Erstmals ist vor Gericht anerkannt worden, dass Cerrejón die Lebensbedingungen einer Gemeinde spürbar verschlechtert hat«, sagt sie. »Das hat das Unternehmen immer bestritten. Nun muss es Missstände korrigieren und soll das Urteil auch den Aktionären vorlegen.«
Auch Igor Kareld Díaz, der Präsident von Sintracarbón, der Gewerkschaft der Kohlearbeiter_innen, spricht von einem Achtungserfolg: »Die vom Gericht angeordnete Senkung der Emissionen, die Umweltauflagen sowie die Reduktion der Erschütterungen durch die Sprengungen begrüßen wir. Wir sind solidarisch mit Provincial«, sagt der 53-Jährige, der lange einen der riesigen Kipplader in der Mine fuhr. Auf denen prangt unter dem Logo der Mine der Schriftzug »Minería responsable«, was so viel bedeutet wie »verantwortungsvoller Bergbau«. Von dem ist in Provincial wenig zu sehen und auch Díaz kritisiert das Vorgehen des Unternehmens. Das hat nicht nur Rechtsmittel gegen das Verfassungsgerichtsurteil eingelegt, sondern steuert auch auf einen Arbeitskonflikt mit der Gewerkschaft hin.
Nachdem sich die Tarifpartner im Februar bei den Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag nicht einigen konnten, hat das Unternehmen den Lockdown in Kolumbien genutzt, um ein neues Förderkonzept und Schichtsystem einzuführen. »Das ist unannehmbar, denn es beinhaltet Nachtarbeit, wodurch das Unfallrisiko steigt«, sagt Diaz. »Dadurch sollen 1.200 Jobs eingespart werden.« Zusätzlich sollen etliche Lohnzuschläge und auch der Transport der Arbeiter in die Wohnorte gestrichen werden. Damit geht Cerrejón gleich auf doppelten Konfrontationskurs: gegen die eigenen Beschäftigten, die einen Streik vorbereiten, und gegen ein Dorf, das Grundrechte einklagt.
Autor: Knut Henkel ist Journalist und berichtet regelmäßig aus den lateinamerikanischen Ländern
09/2020