Aus den Projekten: Konzerne als Hebel für Gewerkschaftsarbeit
16.06.2021 I Es erscheint paradox: IndustriAll nutzt die Macht großer Markenfirmen, um die Lage der Textilbeschäftigten in Bangladesch zu verbessern.
179 Textilfabriken in Dhaka sind geschlossen, weil westliche Firmen ihre Aufträge storniert oder verschoben haben. Diese Frauen kämpfen um Aufmerksamkeit.
»Wir kooperieren stark mit Markenfirmen wie H&M und Inditex«, sagt Rafiqul Alam aus Bangladesch. Sein dreiköpfiges Team beim globalen Gewerkschaftsverband IndustriAll versucht, Gewerkschaftsstrukturen in der Textilwirtschaft des südasiatischen Landes aufzubauen. Kein einfaches Unterfangen. Bevor Corona 2020 zu Massenentlassungen führte, arbeiteten über 4 Millionen Menschen in der mit Abstand wichtigsten Export-Branche Bangladeschs. Nur in einem Bruchteil der Produktionsbetriebe gibt es eine Beschäftigtenvertretung. Ausgerechnet die europäischen Modekonzerne unterstützen IndustriAll dabei, dass sich das ändert. Sie wollen nicht noch einmal einen Imageschaden riskieren wie 2013, als in einem Vorort von Dhaka das Fabrikgebäude Rana Plaza einstürzte und über 1.100 Menschen starben. In Bangladesch sind Gewerkschaften Betriebsorganisationen. Um eine zu gründen, müssen 20 Prozent der Belegschaft mitmachen. Doch das ist gefährlich. »Wenn die Unternehmensleitung was mitkriegt, werden die Initiatoren oft gefeuert. Die Organisationsarbeit muss deshalb meist heimlich passieren«, so Alam. Ist das aber geglückt, können die Belegschaften mit Unterstützung rechnen, falls ihre Firma Kleidung für bestimmte internationale Modefirmen produziert. Inditex, zu dem Marken wie Zara gehören, Esprit, H&M, Tchibo und andere haben sich nämlich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre Lieferanten die Kernarbeitsnormen einhalten – wozu das Recht auf Kollektivverhandlungen gehört.
IndustriAll nutzt das als Hebel. Erfahren die großen Brands von Verstößen, üben sie Druck auf die Zulieferer aus. Deshalb informieren die Gewerkschaftsorganisationen sie regelmäßig. Bereits jetzt sind dadurch hunderte von Fällen auf den Tisch gekommen. Die Firma Tanzila Textile sah sich beispielsweise gezwungen, 12 Arbeiter_innen wieder einzustellen und ihnen den Lohn nachzuzahlen. Ihnen war gekündigt worden, weil sie einer neuen Gewerkschaft beitreten wollten.
Rafiqul Alam und seine Leute arbeiten in Bangladesch mit 16 Föderationen zusammen, zu denen sich die Betriebsgewerkschaften zusammenschließen. »In der ersten Phase ging es vor allem darum, diese Föderationen fit zu machen«, berichtet Susanne Ludwig vom Nord-Süd-Netz des DGB-Bildungswerks, das das Projekt seit 2017 unterstützt. Trainings- und Bildungsmaßnahmen wurden konzipiert, die globalen Abkommen in die Landessprache übersetzt und eine Studie beauftragt, die einen Überblick über die Branche liefern sollte: Wo befinden sich die Firmen, die am stärksten von den großen Markenfirmen abhängig sind? 500 Fabriken mit etwa 500.000 Beschäftigten wurden identifiziert. Parallel wurden die Förderationsmitarbeiter_innen darin geschult, wie sie bei der Entstehung neuer Gewerkschaften helfen können.
So gelang es innerhalb der ersten 3 Jahre, Beschäftigtenvertretungen in 26 Firmen neu zu installieren, in denen etwa 30.000 Menschen arbeiten. Corona hat die Entwicklung nun zwar deutlich gebremst. Doch Alam hofft, dass bald weitere 13 Organisationen die nötige Lizenz bekommen. Außerdem berichtet er von 30 Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen, die inzwischen abgeschlossen worden sind. Darin geht es nicht nur um höhere Löhne, sondern auch um zusätzliche freie Tage oder die Gleichbehandlung von Frauen. Auch ein- bis dreitägige Freistellungen für Gewerkschaftsschulungen konnten schon durchgesetzt werden. »Die Firmenleitungen tun, was die westlichen Modefirmen von ihnen verlangen«, so Alam.
»Wir sind abhängig von den westlichen Märkten«, fasste Rubana Huq vom Verband der Textilhersteller und –exporteure in Bangladesch die Lage im Frühjahr 2020 zusammen. Damals hatten viele europäische Abnehmer ihre Bestellungen storniert, weil die Läden pandemiebedingt geschlossen blieben.
Viele Fabriken standen vor der Pleite, auch staatliche Überbrückungskredite verhinderten nicht, dass es zu Massenentlassungen kam. Zwar platzten am Ende nur 10 Prozent der Aufträge direkt, doch die Abnehmer streckten die Zahlungsfristen und bestellten danach deutlich weniger Ware als in den Vorjahren. Als im Frühjahr 2021 in Bangladesch erneut ein Lockdown stattfand, wurden die Textilfirmen explizit davon ausgenommen, um die Bestellungen pünktlich ausliefern zu können. Zugleich läuft gegenwärtig die Debatte, ob der auslaufende Vertrag zum Brandschutz verlängert wird, zu dem sich internationale Konzerne nach der Katastrophe von Rana Plaza verbindlich verpflichtet hatten.
Rafiqual Alam
Autorin: Annette Jensen lebt in Berlin. Sie schreibt über soziales und ökologisches Wirtschaften.