Aus den Projekten: Jünger, weiblicher, professioneller
Die kolumbianische Escuela Nacional Sindical berät mit Unterstützung des DGB-Bildungswerks Gewerkschaften und bildet Arbeiter_innen fort. Jetzt haben die Partner das Projekt ausgeweitet.
Massenentlassungen, Lohnkürzungen und ein Präsident, der sich nicht sonderlich um die Rechte der Arbeitnehmenden schert: Das sind grob zusammengefasst die derzeitigen Herausforderungen für Arbeiter_innen in Kolumbien. Doch auch in der Pandemie und unter der konservativen Regierung von Iván Duque gibt es Erfolge, erzählt Mayra Restrepo Sabaleta.
Die 38-Jährige arbeitet bei der Nichtregierungsorganisation Escuela Nacional Sindical, die mit Unterstützung des DGB-Bildungswerks kleine und weniger erfahrenere Gewerkschaften berät und Arbeiter_innen fortbildet, um erfolgreich mit der Arbeitgebendenseite verhandeln zu können. »Eine unserer Partner-Gewerkschaften hat durch einen monatelangen Streik bisher Entlassungen von hunderten Arbeiter_innen verhindert«, sagt Restrepo. Und: »Alle Gewerkschaften, die wir zuletzt für das DGB BW-Projekt betreut haben, haben heute mehr Mitglieder als zum Projektstart.« Bei den beiden Transportgewerkschaften SNTT aus Cartagena oder Asoexpress aus der Hauptstadt Bogotá betrug der Zuwachs sogar über 50 Prozent.
Das sind nicht die einzigen Zahlen, die Mayra Restrepo Hoffnung machen: In der abgelaufenen Projektphase 2018 bis 2020 hat die Escuela Nacional Sindical insgesamt 85 Beratungen gemacht und 284 Arbeiter_innen in Seminaren fortgebildet – seit Beginn der Pandemie natürlich verstärkt über Online-Tools. Die Schwerpunkte lagen auf kollektiven Verhandlungsstrategien, Gewerkschaftswachstum und Öffentlichkeitsarbeit. Junge und weibliche Arbeitnehmer_innen wurden bei den Fortbildungen bewusst bevorzugt. »In Kolumbien haben viele Gewerkschaften Nachwuchsprobleme«, berichtet Mayra Restrepo per Zoom. »Deshalb liegt uns viel daran, die junge Generation zu fördern.« Im Dezember habe es beispielsweise einen dreitägigen Workshop nur für junge Frauen gegeben, die sich stärker gewerkschaftlich engagieren möchten. »Die Gewerkschaftswelt in Kolumbien ist sehr von Männern dominiert«, sagt Restrepo. Das schüchtere viele Frauen ein. »Wir müssen sie empowern.«
In der neuen DGB BW-Projektförderphase (2021 bis 2023) stehen deshalb auch die Geschlechterrollen als ein neuer Schwerpunkt fest. Auch die Themen Gesundheit, Verstöße gegen das Arbeitsrecht oder Arbeitsrecht und Gesetzgebung kommen zu den bisherigen Schwerpunkten hinzu. Das Ziel, die Akteure zu empowern, steckt überall dahinter. »Das ist auch dringend notwendig«, sagt Restrepo, die seit Anfang Januar die Projektleitung übernommen hat. Für Gewerkschaften sei die momentane Situation in Kolumbien äußerst schwierig. »Selbst Firmen, die Gewinne erzielen, entlassen einfach ihre Leute.« Die Escuala Nacional Sindical hat deshalb die fünf größten Gewerkschaften des Landes als Ratgeber mit ins Boot geholt. Sie können den kleinen Gewerkschaften im Projekt wertvolle Tipps geben.
Zudem beschäftigt Mayra Restrepo seit Januar auch eine Arbeitsrechtlerin, die Verstöße gegen das Arbeitsrecht dokumentieren soll. Auch bei den fünf Gewerkschaften, die momentan Teil des DGB BW-Projekts sind, gab es schon Probleme: So haben beispielsweise Mitglieder der Gewerkschaft SNTT berichtet, sie seien vor die Wahl gestellt worden: Kündigung oder halber Lohn. Wie verbreitet Verstöße gegen Arbeitsschutzrechte sein müssen, zeigt eine Zahl aus dem kolumbianischen Arbeitsministerium: Demnach gingen dort im vergangenen Jahr mehr als 5.000 arbeitsrechtliche oder gesundheitsrechtliche Beschwerden ein. Gleichzeitig wollten Arbeitgebende in über 4.000 Fällen Arbeiter_innen kollektiv entlassen, ihre Arbeitsverträge annullieren oder sie bis zu 120 Tage nach Hause schicken. Die Regierung brüstet sich damit, mehr als 100.000 Arbeitsplätze gegen den Willen der Unternehmen erhalten zu haben.
Mayra Restrepo hat eine ganz andere Wahrnehmung von der Regierung. Iván Duque stelle die Interessen der Unternehmen über die Rechte der Arbeiter_innen. Die Regierung schütze noch nicht mal deren Leben, sagt Restrepo und spielt damit auf die hohe Anzahl an getöteten Gewerkschaftsführer_innen, aber auch von Menschenrechtsaktivist_innen und Ex-Guerilleros an. »In den kommenden zwei Jahren bis zum Ende von Duques’ Amtszeit erwarte ich keine Verbesserungen für unseren Arbeitskampf.« Dennoch legt Restrepo in der Ausbildung auf eines großen Wert: das, was in Kolumbien als »diálogo social« bezeichnet wird. Das ist der Versuch, zwischen allen relevanten Akteur_innen der Gesellschaft einen Konsens darüber herzustellen, dass Arbeitnehmendenrechte wichtig sind und gesetzlich geschützt werden müssen. Dass das eines Tages möglich sein wird, darauf vertraut sie.
Autor: Ralf Pauli ist Journalist, er lebt in Berlin und ist immer wieder in Lateinamerika unterwegs.
März/2021