Aus den Projekten »Die Einhaltung von Menschenrechten muss bedingungslos festgeschrieben werden«
Ein deutsches Lieferkettengesetz berge Gefahren, sagt Rafael Freire vom Amerikanischen Gewerkschaftsbund CSA/TUCA: Es sei nicht für alle Unternehmen gültig. Zudem seien Sorgfaltspflichten zu unverbindlich
Nord | Süd news: Das Lieferkettengesetz soll weltweit tätige deutsche Unternehmen verpflichten, auch im Ausland ein Mindestmaß an sozialen und ökologischen Standards einzuhalten. Wie bewerten Sie aus Sicht amerikanischer Gewerkschafter ein solches Gesetz?
Rafael Freire: Die CSA* unterstützt die Schaffung eines rechtlich verbindlichen Instruments, das derzeit Im Menschenrechtsrat der UNO – im sogenannten Treaty Prozess – diskutiert wird. Aus unserer Sicht ist es notwendig, transnationale Unternehmen mittels eines neuen Rechtsrahmens** effektiv zu regulieren, damit Menschenrechtsverletzungen und auch Arbeitsrechtsverletzungen verfolgt werden.
Die desproportionale Macht, die transnationale Unternehmen auf globaler Ebene inzwischen erreicht haben, ist Grund genug, von ihnen die Einhaltung von Richtlinien auf internationaler Ebene zu verlangen. Zumal das Vorgehen dieser Unternehmen grundlegende Rechte von Menschen in anderen Teilen der Welt in Mitleidenschaft ziehen kann.
Zwar gibt es bereits internationale Instrumente, deren Ziel es ist, das Verhalten von Unternehmen in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen zu regulieren. Doch diese sind unzureichend, da sie nicht verbindlich sind. Wir brauchen also rechtlich bindende Instrumente, die nicht von den jeweiligen Interessen abhängen oder auf freiwillige Selbstverantwortung setzen.
Nationale Initiativen wie das Lieferkettengesetz in Deutschland oder ähnliche in anderen Ländern bergen die Gefahr, sich lediglich auf die nationale Herkunft von Unternehmen zu beziehen und damit nicht für alle Unternehmen gültig zu sein. Im Gegensatz dazu haben die Globalen Gewerkschaften transnationale Antworten für dieses Problem entwickelt, die über die nationalen Grenzen hinausgehen. Die Globalen Rahmenabkommen (GFA) sind ein Beispiel für solche Maßnahmen auf transnationaler Ebene. Solche Antworten, die die Verantwortung der Unternehmen in den Mittelpunkt stellen, müssen ausgebaut werden.
Werden Vorschläge wie das deutsche Lieferkettengesetz in Lateinamerika diskutiert?
Kaum. Auch wenn in einigen Gewerkschaftskreisen beispielsweise das französische Due-Diligence-Gesetz debattiert wurde, wird immer wieder darauf hingewiesen, dass jede Initiative in diesem Kontext darauf abzielen muss, die Kollektivverhandlungen als fundamentales Instrument der Arbeiterklasse im Kampf um ihre Rechte zu betonen. Die CSA, genauso wie viele soziale Bewegungen und Organisationen in der Region, unterstützen die Idee eines verbindlichen internationalen Vertrags. Dies wäre eine effektive Maßnahme gegen die Straflosigkeit transnationaler Konzerne, würde die Einhaltung von Arbeitsrechten fördern und auch das Recht auf freie Organisierung entlang der globalen Produktionsketten stärken. Teil unserer Strategie ist auch, Rechtsverletzungen kontinuierlich bei supranationalen Organen, vor allem bei der ILO, anzuzeigen.
Kann ein solcher internationaler Pakt Grundlage für eine Zusammenarbeit mit Gewerkschaften in der lateinamerikanischen Region sein?
Aus unserer Sicht kann die unternehmerische Sorgfaltspflicht nur ein kleinster gemeinsamer Nenner sein. Als gestecktes Ziel wäre dies zu wenig, da letztendlich keine Verbindlichkeit besteht. Es ist unzureichend, nur das Respektieren von Menschenrechten einzufordern. Die Einhaltung von Menschenrechten muss bedingungslos festgeschrieben sein.
Teil des Problems ist die weit verbreitete Informalität. Laut ILO sind 53 Prozent der auf dem amerikanischen Kontinent tätigen Arbeiter_innen auf informeller Basis beschäftigt und somit von kollektiven Verhandlungen und formalen Arbeitsrechten ausgeschlossen. Hier geht es also nicht darum, dass die Unternehmen die Einhaltung von Rechten zusagen, sondern um das Problem, dass die Informellen gar keine festgeschriebenen Rechte haben.
Wichtig ist, dass es eine enge Kooperation zwischen zivilgesellschaftlichen Initiativen wie der deutschen Initiative Lieferkettengesetz und der CSA sowie ihren Mitgliedsgewerkschaften gibt. Nur dann kann es gelingen, die Rechte von Arbeitenden sowohl in Mutterkonzernen wie auch in den anderen Bereichen der Lieferkette durchzusetzen.
*CSA: Seit ihrer Gründung im Jahr 2008 setzt sich die CSA für Arbeitsrechte in globalen Produktionsketten ein. Dieses Thema ist auch Gegenstand eines Kooperationsprojekts mit dem DGB Bildungswerk BUND, das 2017 begann und inzwischen in den zweiten Projektzyklus eingetreten ist. In mehreren Ländern Lateinamerikas, darunter Brasilien, Argentinien und einige mittelamerikanische Staaten, werden das Wissen über globale Produktionsketten vertieft, organisatorische Schwächen von Gewerkschaften analysiert und neue Aktionsformen entwickelt. Ein zentrales Ziel des Projekts ist es, den in weltweiten Lieferketten Beschäftigten den Zugang Arbeitnehmendenvertretungen zu erleichtern und betriebliche Mitbestimmung umzusetzen.
**Regeln für Unternehmen:In Deutschland haben sich der Deutsche Gewerkschaftsbund, DGB, und andere Organisationen in der Initiative Lieferkettengesetz https://lieferkettengesetz.de/ zusammengetan. Sie fordern, dass Unternehmen, die Schäden an Mensch und Umwelt in ihren Lieferketten verursachen oder in Kauf nehmen, dafür haftbar gemacht werden können. Das würde heißen, dass Menschen vor deutschen Gerichten Schadensersatz einklagen könnten. Zugleich hat der UN-Menschenrechtsrat auf Initiative von Ecuador und Südafrika im Juni 2014 beschlossen eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe (OEIGWG) einzurichten zur Entwicklung verbindlicher Regeln für transnationale Unternehmen. Am Ende soll ein UN-Treaty, ein international verbindliches Abkommen stehen. Vom 26. bis zum 30. Oktober soll ein Entwurf, es ist der zweite, verhandelt werden.
Fragen gestellt von Andreas Behn, Leiter des Regionalbüros des DGB-Bildungswerk BUND in Brasilien
Rafael Freire ist Generalsekretär des Amerikanischen Gewerkschaftsbunds CSA/TUCA
09/2020