Arbeitsrechte via APP
05.12.2025 I Aus den Projekten
Arbeitsrechte via App
In Brasilien können Arbeiter*innen auf Kaffeeplantagen einfach per Anruf oder WhatsApp ihre Stimme gegen Missstände erheben. Dahinter steckt die Gewerkschaft für Landarbeiter*innen CONTAR. Der Mechanismus ist bisher einzigartig, könnte aber Schule machen.
Der Bundesstaat Minas Gerais im Südosten Brasiliens ist überzogen von grünen Hügeln, auf denen endlose Reihen von Kaffeebäumen stehen. Die Region hat Brasilien zum weltweit größten Kaffeeexporteur gemacht, etwa die Hälfte der Exportmenge stammt von hier. Zwischen den Kaffeebäumen wird nun eine Innovation getestet, die die Rechte von Arbeiter*innen deutlich stärken könnte, nicht nur im Kaffeesektor, nicht nur in Brasilien.
Die Idee: Arbeiter*innen auf den Plantagen bekommen ein niedrigschwellig zugängliches Beschwerdesystem und Gewerkschaften können einfach auf diese Beschwerden reagieren, auch Daten und Informationen zu Missständen sammeln. Das Tool dafür heißt „Nossa Voz“, auf deutsch: unsere Stimme.
Das Tool heißt » Nossa Voz «, auf deutsch: unsere Stimme
Die Plantagenarbeiter*innen können Fragen oder Beschwerden kostenlos per Anruf oder über den Messengerdienst Whatsapp an eine zentrale Nummer übermitteln. Am anderen Ende sitzen Mitarbeitende des Nationalen Verbands für Landarbeiterinnen und Landarbeiter (CONTAR). Die Gewerkschaft, die vier Millionen Menschen vertritt, betreibt das Tool und reagiert auf die Anfragen.
„Dieser Mechanismus ist weltweit einzigartig, die Meldungen zu Arbeitsrechtsverstößen gehen direkt an CONTAR, wir können sie dann an jeden Betrieb, der sich Nossa Voz angeschlossen hat, weiterleiten”, erklärt Gabriel Bezerra, Präsident von CONTAR. Dabei fördere das Tool den Dialog zwischen Arbeitnehmer*innen, Arbeitgeber*innen und Unternehmen. Beschwerdeführende können anonym bleiben.
„Für die Arbeitnehmer*innen ist Nossa Voz eine Nummer, unter der sie Informationen erhalten und Beschwerden einreichen können, und für CONTAR ist es ein Programm, das relevante Daten und Informationen speichert, die wir im Gespräch sammeln”, erklärt Bezerra. Den Produzenten können die Informationen dabei helfen, soziale Risiken im Betrieb zu mindern.
Zudem ermöglicht es den CONTAR-Mitarbeitenden, mit den Arbeiter*innen in Kontakt zu bleiben. „Das schafft Vertrauen und stellt sicher, dass ihre Beschwerden bearbeitet werden”, so Bezerra. Alle Beschwerden werden persönlich bearbeitet. Bei schweren Verstößen leitet CONTAR die Fälle an die zuständigen Behörden weiter. „Wenn es möglich ist, eine Lösung zu finden, sprechen wir mit den Betreibern der Farmen“, sagt Bezerra.
Am häufigsten stellten die Plantagenarbeiter*innen Fragen zum Arbeitsrecht, sie bitten um Hilfe in Sozialversicherungsfragen und wollen wissen, ob Löhne korrekt gezahlt wurden. Manche melden Verstöße wie Mobbing oder sexuelle Belästigung.
Es habe auch schon Meldungen von Sklavenarbeit bei Nossa Voz gegeben. Die Fälle seien nicht von Kaffeefarmen gekommen, die bei Nossa Voz registriert waren, sondern von Arbeiter*innen, die von der Hotline-Nummer anderweitig erfahren hätten, erzählt Bezerra: „Wir haben die Fälle an die Abteilung des Arbeitsministeriums weitergeleitet, die für den Bereich der Landarbeit zuständig ist. Am Ende konnten mehr als 20 Arbeiter befreit werden.” Bei den Verstößen habe es sich um unzureichende Unterkünfte, ausbleibende Löhne sowie schlechte Verpflegung und Trinkwasser gehandelt.
Teil des Projektes sind Schulungen auf den Kaffeefarmen, bei denen CONTAR über Nossa Voz informiert und über Arbeits- und Menschenrechte aufklärt. Außerdem werden diese Informationen über WhatsApp verbreitet. Dadurch vergrößere sich die Chance, auch Menschen zu erreichen, die jedes Jahr zur Kaffeeernte aus anderen Bundesstaaten kämen und meist am vulnerabelsten seien, meint Bezerra.
Die Initiative NOSSA VOZ ist seit 2023 aktiv. Seitdem sind bereits mehr als 300 Anrufe bei der Hotline eingegangen. Die Initiative wurde von der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Global Fund to End Modern Slavery finanziert, von der ILO koordiniert und von CONTAR in Zusammenarbeit mit Kaffeefarmen umgesetzt. Sie gilt als fortschrittliche Initiative des sozialen Dialogs, was insbesondere im ländlichen Raum Brasiliens selten ist. Und Nossa Voz ist der einzige nichtstaatliche Beschwerdemechanismus in Brasilien, der von einer nationalen Gewerkschaft unterstützt wird.
Das Pilotprojekt in Minas Geras sei nur der Anfang, erklärt Bezerra. Momentan werde das Tool auch in der Forstwirtschaft gestartet. Bezerra sagt: „Unsere Idee ist es auch in andere Bundesstaaten zu expandieren.”
Das DGB-Bildungswerk wird das Projekt ab 2026 unterstützen. Ziel ist es, die App im Kaffeesektor zu konsolidieren und die Initiative und ihre Bekanntheit zu erweitern.
Langfristig hofft Bezerra, dass Nossa Voz auch dabei helfen kann, versteckte und wiederkehrende Risiken auf den Farmen zu identifizieren. Die verbesserte Datenlage könne bei Tarifverhandlungen helfen und dann auch zu strukturellen Verbesserungen führen.
Quelle: https://nossavoz.org.br/
Autorin: Leila van Rinsum ist Journalistin, sie lebt in Berlin und schreibt über Entwicklungspolitik und globalen Handel.
aus NORDSÜD NEWS - Dezember 2025 "Gute Arbeit entlang der Lieferkette"