Der Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach ist aus der Tarifbindung ausgestiegen. Dagegen will die Gewerkschaft IGBCE nun mit dem Lieferkettengesetz angehen. Das schiebt der Tarifflucht deutscher Konzerne zwar keinen Riegel vor, wenn diese nicht menschenrechtswidrig schlecht bezahlen – es kann aber trotzdem helfen.
Die IGBCE setzt sich für den Erhalt der Tarifbindung bei Adidas ein. Auf ihrer Website kann jede*r die Aufforderung unterschreiben
Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) droht dem Sportartikelhersteller Adidas, weil dieser in Deutschland die Tarifbindung verlassen hat. „Adidas rühmt sich, ein cooles, verantwortliches Markenunternehmen zu sein. Für den Umgang mit seinen Beschäftigten gilt dies offenbar nicht“, beklagte sich IGBCE-Vorsitzender Michael Vassiliadis im Oktober. So weit, so normal – aber womit der Gewerkschaftschef drohte, war außergewöhnlich.
Um gegen die Entscheidung von Adidas vorzugehen, werde die Gewerkschaft unter anderem „die ganze Bandbreite, die das Lieferkettengesetz bietet,” nutzen, so Vassiliadis. „Wir hatten den Eindruck, es ist für Vietnam gemacht, aber es ist für Herzogenaurach.“ In dem fränkischen Ort hat Adidas seinen Hauptsitz. Die IGBCE sei Mitglied im internationalen Gewerkschaftsverbund IndustriALL Global Union und befasse sich dort intensiv mit den globalen Lieferketten von Adidas.
Die deutsche Arbeitnehmer*innenvertretung entdeckt also das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz Lieferkettengesetz für sich. Es verpflichtet Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden, Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und Nachhaltigkeit in ihren globalen Lieferketten zu übernehmen. Zwar schiebt das Lieferkettengesetz einer Tarifflucht deutscher Konzerne keinen Riegel vor, sofern diese nicht gerade menschenrechtswidrig schlecht bezahlen. Für Hannes Hauke Kühn, der bei der IGBCE internationaler Sekretär ist, ist es trotzdem auch ein Hebel zugunsten der deutschen Arbeiter*innen: „Man kann öffentlichen Druck erzeugen, indem man genau auf die Behandlung der Arbeiter*innen schaut, im Ausland und im Inland”, erklärt der Gewerkschafter.
Auf Kühns Schreibtisch landen die Beschwerden anderer Gewerkschaften, wenn diese im eigenen Land einen Missstand bei einem Zulieferer eines Unternehmens feststellen, das in den Bereich der IGBCE fällt und bei dem das Lieferkettengesetz greift.
„Wir führen eine enge Sozialpartnerschaft mit den Unternehmen und versuchen, vorgelagert zu arbeiten”, sagt er. Das heißt: Erst mal kontaktiert Kühn die IGBCE-Mitglieder im Aufsichtsrat, macht auf den Vorwurf aufmerksam – bevor es überhaupt zu einer offiziellen Beschwerde beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) kommt.
» Manchmal reicht es, dass wir einen Brief schreiben. « Hannes Hauke Kühn, Internationaler Sekretär
„Darauf reagieren die Unternehmen in aller Regel”, berichtet Kühn. Es komme zwar vor, dass Unternehmen die Verantwortung negieren würden. Manchmal ergebe sich auch, dass der Fall im Sinne des Lieferkettengesetzes doch nicht relevant sei. Teils lasse sich das Problem aber lösen, bevor es „Bafa-relevant“ werde. „Manchmal reicht es, dass wir einen Brief schreiben”, sagt Kühn. „Das Lieferkettengesetz sorgt dafür, dass wir Druck ausüben können.“
Um Nachhaltigkeit und Menschenrechte stärker in den Mitbestimmungsgremien der Unternehmen zu verankern, baut die IGBCE zudem das Netzwerk Sustain Industry Net auf. Es veranstaltet beispielsweise Workshops, um Betriebsräte zu ihren Möglichkeiten weiterzubilden, faire und nachhaltige Lieferketten durchzusetzen.
Das will auch Judith Beile erreichen. Sie ist Geschäftsführerin des Beratungsunternehmens wmp consult und Ko-Autorin einer Broschüre mit Tipps für Mitbestimmungsakteur*innen, die faire Lieferketten mitgestalten wollen.
Ihr Plädoyer: Das lohnt sich nicht nur ideell, sondern auch wirtschaftlich. „Verstöße gegen die Menschenrechte oder Umweltskandale wirken sich auf die öffentliche Meinung und die Wahrnehmung von Risikoprofilen durch die Anleger und damit auf den Börsenwert aus”, heißt es in dem Papier. Ein gutes oder schlechtes Nachhaltigkeitsmanagement in der Lieferkette könne direkte wirtschaftliche Vor- oder Nachteile haben, den Zugang zu Krediten oder die Auftragsvergabe beeinflussen und bei der Rekrutierung von Fachkräften eine Rolle spielen.
Die Arbeitnehmendenvertretungen haben zwar durch das Lieferkettengesetz keine zwingenden Mitbestimmungsrechte in der Sache. Wenn es aber einen Wirtschaftsausschuss gibt, also in Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden, muss dieser über alle Fragen der unternehmerischen Sorgfaltspflicht in Lieferketten unterrichtet werden – wenn er das einfordert. “Das wissen viele Betriebsräte nicht, und man muss ehrlich sagen, es interessiert auch nicht jeden”, sagt Beile.
Es sei ein häufiges Missverständnis, dass das Lieferkettengesetz nur den Globalen Süden angehe, meint sie. Ein weiteres, dass es in Deutschland nur um wenige Großkonzerne gehe. Zwar greife das Lieferkettengesetz nur bei Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden unmittelbar, aber auch kleinere Firmen und ihre Mitbestimmungen können mittelbar betroffen sein - wenn sie nämlich selbst Zulieferer der großen Unternehmen sind.
In großen Unternehmen stößt Beile auf mehr Interesse in Betriebs- und Aufsichtsräten als in kleinen, erzählt die Beraterin. Das habe aber auch mit den Umständen zu tun: Große Unternehmen hätten schließlich mehr freigestellte Betriebsrät*innen mit Kapazitäten, sich in das Thema einzuarbeiten.
Autorin: Susanne Schwarz lebt in Berlin und ist Co-Leiterin des Ressorts „Wirtschaft und Umwelt“ der taz.