EU-Lieferkettenrichtlinie: Sorgfaltspflichten müssen sich einfordern lassen

4.12.2025 I Die EU-Lieferkettenrichtlinie sollte einen verbindlichen Rahmen für menschenrechtliche Sorgfalt europäischer Unternehmen bieten. Inzwischen sind ihre Formulierungen windelweich. Letzte Hoffnung ist das Trilog-Verfahren.
Sie sollte ein Meilenstein auf dem Weg zu einem faireren und umweltverträglichen Welthandel sein, aber inzwischen ist sie viel zu stark aufgeweicht, um diese Erwartung erfüllen zu können: die EU-Lieferkettenrichtline. Eine Mehrheit von konservativen und extrem rechten Abgeordneten des EU-Parlaments hat sie Mitte November entkernt – mit der Behauptung, sie würde Unternehmen zu sehr belasten. Dabei zeigt eine aktuelle Studie, dass die Richtlinie in ihrer ursprünglichen Form nicht nur Menschenrechten, sondern auch der europäischen Wirtschaft zu Gute käme.
Grundidee der EU-Lieferkettenrichtlinie: Unternehmen müssen sicherstellen, dass die Rechte der Beschäftigten entlang der ganzen Lieferketten gewahrt und Umweltstandards eingehalten werden. Zum Beispiel sollen bei der Gewinnung von Rohstoffen oder der Produktion keine Kinder arbeiten oder Zwangsarbeiter*innen beschäftigt sein.
Zunächst sollten diese Regeln für Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden und einem Umsatz von 150 Millionen gelten. Doch dieser Kompromiss aus dem Jahr 2023 wurde im Verlauf des Prozesses durch einen Regelungsentwurf ersetzt, der sich auf Konzerne ab 1.000 Beschäftigten und mit einem Jahresumsatz ab 450
Das Argument, das Lieferkettengesetz verursache hohe Bürokratiekosten, ist vorgeschoben, ist Jäger überzeugt.
Millionen Euro beschränkt. Noch später drang der Rechtsausschuss des EU-Parlaments auf weitere Abschwächungen, die zunächst vom Parlament abgelehnt worden waren. Bei einer weiteren Abstimmung im November 2025 stimmte dann eine Mehrheit aus Konservativen und Rechtsextremen gemeinsam für die Aufweichung der Richtlinie an vielen Punkten.
Danach sollen die Vorgaben jetzt nur noch für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz ab 1,5 Milliarden Euro gelten. Damit wären in Deutschland nur noch 120 Unternehmen an das EU-Lieferkettengesetz gebunden – statt ursprünglich 2.700. Außerdem wurden die Berichtspflichten abgeschwächt. Die Konzerne müssen nicht mehr die gesamte Lieferkette kontrollieren, sondern nur noch direkte Zulieferer. Verstöße sollen abweichend von vorherigen Entwürfen keine zivilrechtlichen Folgen mehr haben. Auch die EU-weite Haftung für Verstöße entfällt. Die Verpflichtung, einen Plan zur Einhaltung der Klimaziele zu erstellen, wurde ebenfalls kassiert.
Die Verfechter*innen der drastischen Abschwächung begründen ihre Haltung damit, dass die ursprünglichen Vorgaben Unternehmen angeblich bürokratisch überlastet und weniger wettbewerbsfähig gemacht hätten. Doch diese Annahmen sind falsch, sagt Johannes Jäger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule des BFI Wien. „In der ursprünglichen Form ist das EU-Lieferkettengesetz eine Chance, gleichzeitig Menschenrechte durchzusetzen und die europäische Wirtschaft zu stärken.“ Das Argument, das Lieferkettengesetz verursache hohe Bürokratiekosten, ist vorgeschoben, ist Jäger überzeugt. „Das ist ein rein populistisches Argument, es ist ökonomisch irrelevant“, sagt er. „Wir sagen ja auch nicht, die Buchhaltung kostet etwas, deshalb schaffen wir sie ab.“
Eine von Jäger mitverfasste Studie zu den ökonomischen Auswirkungen des EU-Lieferkettengesetzes benennt eine Reihe von positiven wirtschaftlichen Nebeneffekten der Richtlinie in der ursprünglichen Fassung. „Sie setzt die richtigen Anreize für eine zukunftsorientierte Spezialisierung“, betont er. Denn sie fördere die Spezialisierung auf Geschäftsmodelle, die auf einer nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit und nicht auf Menschenrechtsverletzungen basieren. „Es ist richtig, Unternehmen klar vorzugeben, wohin die Reise geht, damit sie auf den richtigen Pfad kommen“, so Jäger. Langfristig werde es global immer wichtiger, dass Menschen- und Arbeitsrechte beachtet werden. Dieser Trend zeichne sich deutlich ab. Stellten sich europäische Unternehmen darauf ein, sei das kein Wettbewerbsnachteil, sondern ein Vorteil.
Eine weitere Chance, die mit der Entkernung vertan wird: Die Richtlinie hätte einen neuen globalen Standard geschaffen und so den Weg geebnet zu verbindlichen internationalen Sozial- und Umweltvorschriften. Als größter internationaler Wirtschaftsraum würde die EU davon profitieren. „Die Position der EU als globaler Standardsetzer in Sachen Wettbewerbsfähigkeit aufzugeben, birgt die Gefahr, eine strategische Chance für die europäische Wirtschaft zu verpassen“, sagt Jäger.
Eine Folge: Europäische Unternehmen würden dem unlauteren Wettbewerb durch ausländische Firmen ausgesetzt, die Sozial- und Umweltdumping betreiben. Mit den ursprünglich vorgesehenen Vorgaben wären Beschäftigte im Globalen Süden und im Norden gestärkt worden, ist Jäger überzeugt. „Mit der Lieferkettendebatte ist die Diskussion über internationale Solidarität wieder in Gang gekommen.“ Ein stärkerer Informationsfluss könne verhindern, dass Beschäftigte im Globalen Süden und Norden gegeneinander ausgespielt werden.
Eine weitere Chance, die mit der Entkernung vertan wird: Die Richtlinie hätte einen neuen globalen Standard geschaffen
Mit der Aufweichung der Richtlinie fallen diese Chancen für die europäische Wirtschaft in weiten Teilen weg. Vermeidbare Risiken aber bleiben. Beispiel Haftung: Enthält die Richtlinie auf europäischer Ebene nicht die für Unternehmen vorgesehene Haftung bei Verstößen, gelten die vielen verschiedenen Regeln der einzelnen EU-Staaten. „Das macht es für Unternehmen komplizierter, nicht einfacher“, sagt Jäger.
Gewerkschaften kritisieren zudem, dass die Entkernung der EU-Richtlinie mit Hilfe der Stimmen der extremen Rechten durchgesetzt wurde – das erste Mal, dass Konservative gemeinsam mit ihnen etwas im EU-Parlament durchgesetzt haben. „Wer mit Rechtsextremen paktiert, um den Schutz vor Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltzerstörung zurückzunehmen, begeht politischen Verrat an Europas Werten“, sagt Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB).
Mit der Abstimmung im EU-Parlament ist die Richtlinie noch nicht rechtskräftig. Sie muss nun im sogenannten Trilog-Verfahren verabschiedet werden, den Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und EU-Mitgliedsländern. Gewerkschaften fordern, dass die Aufweichung rückgängig gemacht wird. „Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass Menschen- und Arbeitnehmerrechte nicht bis zur Unkenntlichkeit geschliffen werden“, fordert etwa der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Werneke. Das verlangt auch die Initiative Lieferkettengesetz. „Europa darf nicht zulassen, dass seine Werte unter dem Deckmantel der Deregulierung ausgehöhlt werden“, sagt Sofie Kreusch, Koordinatorin der Initiative.
Link zur Studie:
https://www.akeuropa.eu/sites/default/files/2025-09/AC17640802.pdf
Autorin: Anja Krüger ist Journalistin. Sie lebt in Berlin und verfolgt die gewerkschaftlichen Entwicklungen seit vielen Jahren.
Aus NORDSÜD NEWS III Dezember 2025 - Gute Arbeit entlang der Lieferkette