Wie die EU-Kommission das Mobilitätspaket zum Stillstand brachte
Kommentar von Cristina Tilling
Politische Sekretärin für Straßenverkehr und Gleichstellung der Geschlechter bei der European Transport Workers‘ Federation in Brüssel
Vorbemerkung: Im Juli hat das EU-Parlament das so genannte Mobilitätspaket abgelehnt. Das Paket, das zunächst vom Verkehrsausschuss vor allem mit den Stimmen von Konservativen und Liberalen verabschiedet worden war, sah unter anderem eine Lockerung der Arbeitsvorschriften für Lkw- und Busfahrer vor. Sie sollten demnach erst nach drei Wochen Anspruch auf ein freies Wochenende haben. Außerdem sollten sie bis zu zwölf Tage hintereinander fahren dürfen – und innerhalb dieser Zeit an vier Tagen bis zu 16 Stunden. Diese Pläne stießen im Europaparlament auf Widerstand vor allem bei Vertretern linker Fraktionen und bei den Grünen. Aber auch ein Teil der Konservativen lehnte die Vorschläge ab. Sie befürchten vor allem einen unlauteren Wettbewerb durch Speditionen in den osteuropäischen Staaten, wo die Arbeitslöhne deutlich niedriger sind als etwa in Frankreich oder Deutschland. Erst Ende Mai hatte das Europaparlament eine neue Richtlinie verabschiedet, die entsandte Arbeitnehmer besser vor Sozialdumping schützen soll. Die rund drei Millionen Fernfahrer in der EU wurden dabei jedoch ausgenommen – für sie sollten Vorschriften im Rahmen des Mobilitätspakets verankert werden. Bei der ver.di waren vor allem die geplanten Arbeitszeitverlängerungen auf heftigen Widerstand gestoßen.
Die Abstimmung zum Mobilitätspaket im Europäischen Parlament, am 4. Juli, kurz vor der Sommerpause, war für alle eine Überraschung – auch für die Europäische Transportarbeitergewerkschaft (ETF). Die mehr als 150 Änderungsanträge, aufgeteilt auf drei Dossiers, durchliefen einen echten Abstimmungsmarathon. Es ging dabei um Fragen des Speditionsmarktes aber auch um die sozialen Aspekte des Sektors. Einige der Anträge wurden angenommen, andere abgelehnt. Zu denen, die systematisch und mit großer Mehrheit im Plenum abgelehnt wurden, gehören alle drei Vorschläge der Europäischen Kommission. Und aus Sicht der ETF lag das daran, dass diese Vorschläge spalterisch sind.
Die Kommission schlug beispielsweise vor, dass drei Arbeitstage pro Monat nach den Einkommensregeln des Herkunftslands des Fahrers bezahlt werden dürfen – und das für jeden Mitgliedsstaat, in dem er eingesetzt wird. Sie plädierte für mehr Flexibilität bei den Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer und vieles mehr. Damit löste die Kommission endlose, kontroverse Debatten aus und drängte schließlich die Länderdelegationen im EU-Parlament, ebenso wie die politischen Parteien, in unvereinbare Positionen. Die ETF hat vor jeder Plenarabstimmung – und davon gab es zwei innerhalb eines Monats – den Puls des Europäischen Parlaments gefühlt: Wir waren in Straßburg vor Ort, klopften an Türen und trafen uns mit Abgeordneten. Wir fanden heraus: Es gab immer weniger, die noch von uns überzeugt werden mussten. Fast alle Abgeordneten hatten sich entschieden – gegen die Änderungsvorschläge der Kommission.
Bedauerlicherweise war dies nicht zur Kommission durchgedrungen. In einer geradezu wahnhaften Weise behauptete diese bei einem Sozialdialog Ende Juni in Brüssel noch, dass ihre Änderungsvorschläge zum Mobilitätspaket ein „Klima des Vertrauens“ förderten. Das Gegenteil war der Fall: Diese massive Ablehnung im Parlament zeigt irreparable Brüche und, was noch bedauerlicher, ist: die guten Elemente des Pakets gingen ebenfalls verloren. Zu diesen zählt zum Beispiel eine strengere und effektivere Verfolgung von Verstößen etwa bei Ruhezeiten durch den „intelligenten“ Tacho eine Art Black Box, die die Aktivität des Fahrers registriert. Gerade wegen solcher positiver Aspekte hat sich die ETF nicht für die Ablehnung des Pakets eingesetzt. Und dennoch wurde es abgelehnt und an den TRAN, den zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments, zurückverwiesen.
Die Kommission ist nach wie vor der Ansicht, dass ihre Vorschläge Aussicht auf Erfolg haben. Doch wer sich Zeit nimmt, den Mitgliedstaaten und den Abgeordneten zuzuhören, ist klar, dass sowohl das Paket als auch sein Träger – die Kommission – an Glaubwürdigkeit verloren haben. Was nun? Der TRAN-Ausschuss des Europäischen Parlaments muss sich erneut mit dem Paket befassen. Entweder hält er grundsätzlich an dem Paket fest und macht Kompromissvorschläge, über die dann erneut im Plenum abgestimmt werden müsste. Oder der Ausschuss fängt wieder bei null an. Oder das gesamte Projekt wird nach den EU-Wahlen im Mai 2019 begraben.
Dem Mobilitätspaket ging eine Konsultationsphase von etwa zwei Jahren voraus. Es sollte die EU-Vorschriften für den Straßenverkehr vereinfachen und sie durchsetzbarer machen, als es heute der Fall ist. Die ETF hat sich an diesem Prozess mit konkreten Vorschlägen beteiligt. Was am Ende alles durcheinander brachte, war die überraschende Initiative der Kommission für eine totale Umgestaltung der Ruhezeiten für Bus- und LKW-Fahrer, die sich nachteilig auf ihre Arbeitszeiten, ihre Bezahlung und ihre Freizeit auswirken würde. Das lehnen wir ab. Ausnahmen bei den Lenkzeiten und mehr Flexibilität bei Dienstplänen von Fahrern sind für uns nicht akzeptabel. Sie verstoßen gegen den erklärten Zweck des Mobilitätspakets. Die ETF wünscht faire Arbeits- und Lebensbedingungen für die Fahrer, die sie vertritt. Wir wollen, dass der Straßenverkehr zum Vorreiter beim „Fair Transport“ wird.
Dieser Beitrag wurde der Publikation "Forum Migration September 2018" entnommen.