
Täter zur Verantwortung ziehen

Kommentar von Felix Weiß, Sea Watch e.V.
Seit Ende Oktober ist die italienische Rechtspopulistin Giorgia Meloni, Chefin der postfaschistischen Partei „Fratelli d‘Italia“ (Brüder Italiens), nun Ministerpräsidentin von Italien. Gemeinsam mit der Forza Italia um Ex-Premier Silvio Berlusconi und der Lega um Ex-Innenminister Matteo Salvini regiert nun also ein faschistisches Bündnis aus Mussolini-Nostalgiker_innen und Politiker_innen, die sich dem Kampf gegen Migration verschrieben haben. Ein Paukenschlag für die zivile Seenotrettung und eine neue Eskalationsstufe in einer nicht enden wollenden Debatte, die uns an keine andere erinnert, als die des ehemaligen Innenministers Matteo Salvini im Jahr 2019.
Schon im Wahlkampf hatte Giorgia Meloni sich immer wieder für eine „Seeblockade“ ausgesprochen, um die Fluchtroute von Nordafrika nach Italien komplett zu schließen.
Doch rechtlich gesehen ist diese Drohung kaum umsetzbar, da auch Italien sich an international geltende Normen wie das Seevölkerrecht halten muss. Außerdem hängt Ex-Innenminister Matteo Salvini juristisch nach, dass er in seiner Amtszeit Schiffen mit Geretteten die Einfahrt in Italiens Häfen verboten hat. Bis heute steht er wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauchs vor Gericht und konnte deshalb nicht Innenminister werden. All das bildet keine gute Ausgangslage, um das Vorhaben einer „Seeblockade“ in die Tat umzusetzen.
Dennoch zeigt der Tonfall klar, in welche Richtung Migrations- und Asylpolitik Italiens gehen wird. Die neue Regierung hat allen zivilen Seenotretter_innen rhetorisch den Kampf angesagt. Die zivilen Organisationen müssen sich dem vereint stellen und neben ihrem eigentlichen Job – also dem Retten von Menschenleben – standhalten.
Nichts anderes war zu erwarten, als dass die faschistische Regierung Menschen auf der Flucht als politische Geiseln missbrauchen wird und die Lage auf überfüllten Rettungsschiffen vor der italienischen Küste eskalieren lässt. So erreichte der erste Schlagabtausch zwischen zivilen Seenotretter_innen und der italienischen Regierung Anfang November internationale Aufmerksamkeit, als 1.078 Menschen, verteilt auf vier Seenotrettungsschiffe, über Wochen keinen sicheren Hafen zugewiesen bekamen. Endlich im Hafen eingelaufen, durfte nur eine Auswahl von Menschen an Land. Grundlage dafür bildete ein rechtswidriges Dekret der neuen Regierung. Alle Geretteten, die für „gesund“ erklärt worden waren, mussten an Bord bleiben. Das war inakzeptabel und menschenverachtend. Tage später mussten die italienischen Behörden nachgeben und alle geretteten Personen konnten die Schiffe verlassen.
Das erste Kräftemessen hat Italien also verloren, da es ihnen nicht gelungen ist, ihre Linie durchsetzen zu können und Menschen zurückzudrängen. Was bleibt, ist jedoch ein bitterer Nachgeschmack für uns alle und ein ungewisser Vorgeschmack auf das, was noch folgen wird. So muss stets aufmerksam beobachtet werden, was in den kommenden Wochen mit denjenigen Geretteten passieren wird, die an Deck von zivilen Seenotrettungsschiffen auf die Anlandungen in einem Hafen warten. Klar ist dabei auch, dass Italien nicht alleine daran beteiligt ist, diese menschenfeindliche Agenda durchzusetzen.
Nicht zuletzt aus diesen Gründen haben wir als Sea Watch gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) eine Strafanzeige beim internationalen Gerichtshof eingereicht. Die Angeklagten: hochrangige Beamt_innen der EU-Mitgliedstaaten und EU-Behörden. Der Vorwurf: schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit von Flüchtenden als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Grundlage sind zwölf beispielhafte Fälle, deren Material aus öffentlich zugänglichen Daten und dokumentierten Vorfällen von unterschiedlichen Organisationen zusammengetragen wurden: Dem Watch the Med Alarm Phone, Open Arms, Border Forensics, Frag den Staat, Human Rights Watch und von uns selbst, Sea-Watch. Diese Fälle zeigen ein klares und detailliertes Bild der Zusammenarbeit zwischen den Organen, Agenturen, Einrichtungen und Operationen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten, einschließlich Italien und Malta, mit libyschen Akteur_innen, sowohl auf politischer als auch auf operativer Ebene.
Diese Verbrechen geschehen nicht anonym – sie werden an Schreibtischen von Menschen in Behörden der Europäischen Union geplant. Menschen mit Namen und Titeln, Zuständigkeiten und Befugnissen. So fordern wir Den Haag auf, die Beteiligung hochrangiger Beamt_innen der EU-Mitgliedstaaten und EU-Behörden an den Verbrechen zu untersuchen. Ihre Taten müssen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.
Entnommen aus Forum Migration Januar 2023