Späte Einreise, schmale Rente
Die im November beschlossene Grundrente sei die „Antwort auf ein Gerechtigkeitsproblem“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Hilft sie auch, die verbreitete Altersarmut bei Menschen mit Migrationshintergrund zu senken?
Nach einer Studie der Göttinger Sozialwissenschaftlerin Janina Söhn hat etwa jede_r sechste Zugewanderte (16,1 Prozent) über 65 Jahren keine eigene gesetzliche Altersrente – unter den Einheimischen sind es nur 9,4 Prozent. 56 Prozent der Zugewanderten über 65 Jahren leben in armutsgefährdeten Haushalten – „exorbitant häufig“ nennt Söhn das. Einheimische, die 2014 das erste Mal eine eigene Altersrente bezogen, bekamen im Schnitt rund 900 Euro — Zugewanderte 330 Euro weniger. Rund 42 Prozent von ihnen beziehen deshalb Sozialleistungen.
Diese Differenz erklärt Söhn unter anderem durch die „migrationsbedingt längeren Zeiten ohne Versicherungsbeiträge“. Migrant_innen waren länger arbeitslos und bezogen häufiger unterdurchschnittliches Gehalt – von „prekären und arbeitsmarktfernen Erwerbsverlaufsmustern“ ist in Söhns Studie die Rede. Das Ergebnis: niedrige Renten.
Genau hier soll die neue Grundrente ansetzen. Doch um diese zu bekommen sollen 35 Beitragsjahre erforderlich sein. „Wer erst als älterer Erwachsener in die Bundesrepublik einreist und erst dann beginnen kann, Rentenanwartschaften zu akkumulieren, der oder die wird die geforderten 35 Beitragsjahre nicht erreichen können“, schreibt Söhn. Viele Menschen, die um den Anwerbestopp 1973 herum gekommen sind, haben da Schwierigkeiten. Laut Mikrozensus 2012 lag das Einreisealter etwa von Menschen aus der Türkei bei 31, aus Ex-Jugoslawien bei 33, aus Rumänien, Bulgarien und Tschechien gar bei 39 Jahren. (Spät-)Aussiedler_innen profitieren von dem „Fremdrentengesetz“, das die teilweise Anerkennung von Versicherungszeiten im Herkunftsland vorsieht. Eine ähnliche Regelung gibt es für einige EU-Bürger_innen. „Umgekehrt können Sie sicher auch sagen, dass die Migrant_innen wohl die Beitragsjahre nicht zusammenbekommen, die lange Beschäftigungsverboten unterlagen“, sagt die Frankfurter Sozialrechts-Professorin Astrid Wallrabenstein – das gelte vor allem für die Geduldeten nach dem Zuzug in den 1990er-Jahren, etwa aus Ex-Jugoslawien.
Studie „Erwerbsverläufe und Rentenansprüche von Migrant_innen“ (2018)
Aus Forum Migration Dezember 2019