
"Schlechter als vor 15 Jahren"
Prekäre Beschäftigung bedeutet schlechte soziale Absicherung. Betroffen sind vor allem Frauen und Migrant_innen. Die Corona-Krise hat die Situation „atypisch Beschäftigter” verschärft, sagt die Autorin Veronika Bohrn Mena.
Forum Migration: Sie erforschen seit Jahren die Entwicklung der prekären Beschäftigung. Inwiefern betrifft das Migrant_innen besonders?
Veronika Bohrn Mena: Seit Jahren ist in der EU eine Spaltung der Arbeitsmärkte zu beobachten. Zum einen gibt es die Beschäftigten in den so genannten Normalarbeitsverhältnissen. Die haben unbefristete Vollzeitarbeitsplätze, werden nach Tarif bezahlt und profitieren von über einhundert Jahren lang erkämpften Rechtsansprüchen als Arbeitnehmer. Rund ein Drittel kommt im EU-Schnitt aber nicht in den Genuss dieser Privilegien. Das sind die so genannten atypisch Beschäftigten, in befristeten oder Teilzeitjobs, ohne Tariflohn oder mit Scheinselbstständigkeit.
Ein Drittel erscheint fast etwas niedrig.
Das Drittel ist über beide Geschlechter und alle Altersgruppen gerechnet. Schaut man auf die Frauen, sind schon die Hälfte atypisch beschäftigt. In der Alterskohorte unter 35 sind es zwei Drittel. Das Gleiche gilt für Menschen mit Migrationsgeschichte. Frauen mit Migrationsgeschichte sind am allerhärtesten betroffen.
Warum?
Atypisch Beschäftigte verdienen wegen der fehlenden Tarifbindung im Schnitt 25 Prozent weniger. Und dann kommt bei Frauen noch der Gender Pay Gap hinzu. Wenn sie eine Migrationsgeschichte haben, sind sie auf dem Arbeitsmarkt dreifach benachteiligt. Das sieht man auch in der Lohnentwicklung extrem. Es gibt die Gruppe von Männern ohne Migrationsgeschichte. Die haben in der Regel langjährige Beschäftigungsverhältnisse mit kontinuierlicher Lohnentwicklung und entsprechend stabilem Lohnwachstum. Die anderen mussten in der Vergangenheit Reallohnverluste von bis zu 3 Prozent im Jahr hinnehmen, während Mieten gestiegen sind. Insgesamt werden kaum Pensionsbeiträge gezahlt. Die Rentenbeiträge sind geringer, weil sie weniger und unregelmäßiger verdienen. Deshalb landen sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Altersarmut.
Wie hat sich die Situation prekär Beschäftigter durch die Corona-Krise verändert?
Für mein neues Buch habe ich dazu von Februar bis August viele Gespräche mit Frauen geführt. Da haben sich zwei Trends gezeigt: Der eine ist, dass vor allem Frauen ihre Arbeit verloren haben. 85 Prozent derjenigen, die durch Corona arbeitslos wurden, sind weiblich. Und sie haben mit hoher Wahrscheinlichkeit Migrationsgeschichte.
Und der andere Trend?
Das waren Frauen im so genannten systemrelevanten Bereich, etwa im Lebensmittelhandel, in der öffentlichen Infrastruktur, im Reinigungsbereich. Sie mussten den Löwenanteil der unbezahlten Arbeit im Haushalt übernehmen und ihre Arbeitszeit ist stark angestiegen. Sie mussten oft Überstunden leisten, die nicht bezahlt wurden. Jobverlust oder mehr Arbeit als vor Corona – dazwischen gibt es kaum etwas.
Veronika Bohrn Mena ist Publizistin und arbeitet als Expertin für atypische Beschäftigung bei der Gewerkschaft GPA-djp in Österreich. Im November erscheint ihr neues Buch „Leistungsklasse” im ÖGB-Verlag: https://prekaere-arbeit.at