
Rückkehrpolitik: Von wegen freiwillig
„Freiwillige Rückkehr” ist eines der wichtigsten Ziele der europäischen und deutschen Migrationspolitik. Mit finanziellen Anreizen und mit Druck wird abgelehnten – und teils auch noch nicht abgelehnten – Asylsuchenden eine Rückreise in ihr Herkunftsland nahegelegt. So sollen aufwändige Abschiebungen vermieden werden. Eine neue Dokumentation der NGO medico international zeigt, dass die Rückkehrprogramme oft mit falschen Versprechen arbeiten und den Menschen de facto weder langfristige Perspektiven noch persönliche Sicherheit bieten.
1.200 Euro plus Flugticket und befristeter medizinischer Unterstützung bietet das deutsche REAG/GARP-Programm Menschen, die auf einen Asylantrag in Deutschland verzichten oder einer Abschiebung zuvorkommen wollen – auch wenn sie aus Kriegsgebieten oder Diktaturen stammen. Rund 65.000 Menschen machten in den Jahren 2017 bis 2020 von diesem Angebot Gebrauch.
Rund 2.000 stammten aus Afghanistan. Das Programm für das Land wurde am 17. August 2021 ausgesetzt. Doch ihr Beispiel zeige auf drastische Weise, welche Risiken die Rückkehrpolitik berge, schreibt medico. „Schon vor der Machtübernahme der Taliban endete eine dieser Geschichten mit dem Tod. Alle anderen Rückkehrer_innen befinden sich jetzt in einer lebensgefährlichen Situation.” In diese seien sie von „der unheiligen Allianz deutscher Innenpolitik mit der Entwicklungszusammenarbeit, die Rückkehr- und Reintegrationsprogramme umsetzt” gebracht worden. Menschen würden dazu gedrängt, „gegen Geld auf Schutz zu verzichten”, so medico. In einem umfangreichen Portal namens „Rückkehr-Watch“ hat die NGO mit Porträts und Länderreports dokumentiert, dass „nur in den wenigsten Fällen eine erfolgreiche Reintegration“ nach einer „geförderten Rückkehr“ gelinge. „Am Ende eines langen Weges stehen die Rückgekehrten oft schlechter da als zuvor.“
Auch die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat eine neue Studie zur freiwilligen Rückkehr ausreisepflichtiger Migrant_innen publiziert. „Neben dem Ziel, die Rückkehrzahlen zu steigern, haben verstärkte rückkehrpolitische Bemühungen auch eine symbolische Funktion: Sie dienen dazu, die Durchsetzungskraft des Rechtsstaats zu demonstrieren, und gelten als wichtiges Mittel, das weitere Erstarken rechtsextremer Parteien zu verhindern“, so die SWP. In der Praxis erweise es sich allerdings als schwierig, die Ausreisepflicht durchzusetzen – im europäischen Durchschnitt gelingt dies nur in etwa einem Drittel der Fälle. Zudem gingen die Bemühungen, die Rückkehrzahlen zu erhöhen, mit entwicklungs-, außen- und sicherheitspolitischen Kosten einher, die oft nicht hinreichend beachtet würden, heißt es in der Studie. So könne der Druck zur rückkehrpolitischen Kooperation demokratische Transitionsprozesse in Herkunftsländern gefährden. Die SWP plädiert dafür, diese Zielkonflikte stärker zu berücksichtigen und pragmatisch über Alternativen zur Rückkehr nachzudenken.
Neue SWP-Studie: „Risiken und Nebenwirkungen deutscher und europäischer Rückkehrpolitik“
Neues Infoportal „Rückkehr-Watch“ von medico international
Entnommen aus Forum Migration Oktober 2021