
Raunen über die Ukraine
Wer hierzulande an Verschwörungen glaubt, wertet Geflüchtete aus der Ukraine öfter ab. Das ergab eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Je niedriger das Einkommen, desto häufiger geschieht dies.
Die Lage in der Ukraine ist klar: Russland hat das Nachbarland brutal überfallen und trägt deshalb die alleinige Verantwortung für das millionenfache Leid, das seine Armee und seine Milizen den Menschen dort antun. Doch eine zunehmende Zahl an Menschen verschließt sich diesem Befund. Für sie spielen andere Faktoren eine Rolle: „Der Krieg in der Ukraine dient nur der Ablenkung von der Corona-Pandemie“ – dieser Aussage stimmten bei der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) rund 11 Prozent „voll und ganz” oder „eher” zu. In der Aussage steckt der Verschwörungsglaube, Corona und der Ukraine-Krieg seien von – westlicher – Politik und Konzernen gesteuert. Wer solchen Ideen zugänglich ist, der wertet auch geflüchtete Menschen aus der Ukraine ab: 17 Prozent der Befragten unterstützen entsprechende Aussagen. Und die Überschneidung zwischen beiden Gruppen ist erheblich, das belegen die Daten der HBS. Die Befunde zeigen ein „relativ kleines, aber in seinen Einstellungen verhärtetes Klientel, das dem demokratischen Diskurs weit gehend den Rücken kehrt, das den Institutionen misstraut und bereits in der Pandemie unkooperativ handelte“, sagt Studienautor Andreas Hövermann. „Ein erheblicher Anteil derjenigen, die jetzt Verschwörungsdenken zum Ukraine-Krieg teilen, waren bereits zu Beginn der Pandemie bereit, konspirativen Deutungen über das Virus zu glauben.“ Dies verdeutliche, „wie austauschbar und anpassungsfähig letztlich der Inhalt der angeblichen Verschwörungen ist“. Gefährlich ist dies auch vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Lage, in der viele Menschen finanzielle Sorgen plagen und auch das Institutionenvertrauen durch fast drei
Jahre Dauerkrise strapaziert ist. Verschwörungsdenken und die Herabsetzung von Geflüchteten könnten bei einem Teil der unter wirtschaftlichem Druck stehenden Befragten „als Versuch gedeutet werden, den empfundenen Kontrollverlust zu kompensieren“, so Hövermann. Es sei offenbar attraktiv, so „sich selbst oder die Eigengruppe aufzuwerten”.
Entnommen aus Forum Migration November 2022