Porträt Anerkannt: Symbole, auf die es ankommt
Um den Ort zu beschreiben, an dem er arbeitet, hat Volker Wohlfahrth (im Foto rechts) eine Formel: „Über 90 plus eins, sage ich immer.“ „Über 90”, das ist die Zahl der Nationalitäten im Mercedes-Werk Untertürkheim. Volker Wohlfahrth ist hier Betriebsrat, zuständig für die Getriebefertigung. 700 Menschen arbeiten in seinem betreuten Bereich, 19.000 sind es im Werk insgesamt. Ein Abbild der Gesellschaft, sagt Wohlfahrth.
Es ist eine multikulturelle, auch migrantisch geprägte Gesellschaft. Aber es ist auch eine Gesellschaft, in der 10 Prozent in Baden-Württemberg rechts wählen. Das macht vor dem Betrieb nicht halt. Etwa in Form des so genannten „Zentrum Automobil“, einer AfD-nahen Betriebsratsliste, die sich als „alternative Gewerkschaft“ bezeichnet. Bei Daimler gehören elf von insgesamt 755 Betriebsräten der Gruppe an. Kürzlich warnte der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer vor ihnen: „Wir stellen fest, dass die Neue Rechte ganz gezielt versucht, nicht nur den politischen Raum, sondern auch den sozialen Raum zu erobern.“ Für den IG Metaller Wohlfahrth ist die Sache klar: „Die haben nichts zu suchen im Betrieb. Wir stehen zusammen – und wir sind viele“, sagt er. Auch Daimler-Vorstandschef Ola Källenius hatte die rechten Umtriebe kritisiert. „Daimler ist nicht nur ein Innovations- und Jobmotor, sondern auch ein Motor für Integration“, sagte Källenius im Juli.
Doch mit solchen Erklärungen allein ist es nicht getan. Sie mit Leben zu erfüllen, das ist die Aufgabe der Betriebsangehörigen insgesamt – und jene des Betriebsrates. „Wir schaffen hier alle miteinander. Und als Betriebsrat kämpfe ich dafür, dass alle mit Respekt und Anerkennung behandelt werden“, sagt Wohlfahrth. Zum Beispiel mit der „Respekt! Kein Platz für Rassismus“-Aktion im September, die der Betriebsrat anstieß. Über 100 Fotos von Kolleg_innen mit einem „Respekt“-Schild wurden dabei im „Social Intranet“ des Werks gepostet. Ein „überraschend großer Erfolg“, sagt Wohlfahrth. Zeitgleich veröffentlichte der Betriebsrat in seinem „Brennpunkt”-Rundschreiben detaillierte Tips zum Umgang mit Rechten im Betrieb und in den sozialen Netzwerken. Oder während der Interkulturellen Woche, ebenfalls im September. Da änderte die Kantine auf Anregung des Betriebsrates den Speiseplan – an einem Tag gab es türkisches, an einem anderen griechisches, dann serbisches Essen. „Es sind kleine Gesten und Symbole, gewiss, aber auf genau diese komme es an“, sagt Wohlfahrth. Ein Weg, solche Themen im Betrieb zu etablieren, sind Seminare wie „Migrationsland Deutschland”, die die IG Metall Geschäftsstelle Stuttgart organisiert. „Das bieten wir unseren Vertrauensleuten an, und schauen, dass wir die dahin schicken”, sagt Wohlfahrth.
Für ihn ist das auch eine Frage der Tradition: „Ich bin in der dritten Generation bei Daimler und schon mein Opa war Gewerkschafter“, sagt er. „Wir haben in der Schule noch etwas mitgekriegt, was in unserer jüngeren Gesellschaft fehlt”, sagt er. „Was war in Auschwitz, in Dachau, in Treblinka?“ Es sei bisweilen erschreckend, wie wenig die jungen Leute davon wissen. Daran zu erinnern, „was in der Zeit des Nationalsozialismus passiert ist“, sieht er als eine Aufgabe der Gewerkschaften. Schließlich seien auch viele Gewerkschafter_innen verfolgt worden.