Porträt Anerkannt: Mut und Stimme haben
Um Migrant_innen zu helfen, gibt es für Nuschin Rawanmehr nur einen Weg: Sie stärken, damit sie für ihre eigenen Rechte eintreten können.
Zum Beispiel damals, 2014, als Nuschin Rawanmehr Flüchtlings-Sozialarbeiterin war. Zu ihrer Einrichtung kamen Menschen aus Afghanistan und Iran, sie sprachen Farsi und Dari – wie Rawanmehr auch. „Du kannst das doch, übersetz‘ doch“, hieß es da, und Nuschin Rawanmehr fand das nicht gerecht, denn es war Arbeit, die sie zusätzlich machen musste – ohne dass sie zusätzlich honoriert worden wäre.
Keine große Sache? Für Rawanmehr war es nur ein Beispiel von vielen für die mangelnde „Wertschätzung und Dankbarkeit für die Ressourcen und Perspektiven, die migrantische Kolleg_innen zusätzlich einbringen“, sagt sie.
Das gelte auch für die soziale Arbeit mit Flüchtlingen, die Rawanmehr als „sehr von oben herab, sehr weiß dominiert“ empfunden hat. Menschen mit eigener Fluchtgeschichte seien dort nur die „Petersilie der ganzen Show“. Aufsteigen können sie meist nicht, glaubt Rawanmehr. Und das schade auch den Flüchtlingen: Denen würde nicht geholfen, eigene Ressourcen zu mobilisieren. „Stattdessen werden sie betreut als wären sie Kinder.“
Mit ihren Eltern floh Rawanmehr 1987 aus dem Iran, die Familie wurde nach Hünxe am Niederrhein umverteilt. „Integration hätte da kaum stattfinden können, es gab dort ja fast nur Kühe und Schafe.“ In der elften Klasse ging sie von der Schule ab, erst viel später studierte sie als Quereinsteigerin Soziale Arbeit und Sozialpädagogik an der FH Düsseldorf. Sie lernte viel über Selbstbehauptung und Empowerment. Was sie als überzeugte Feministin vor allem interessierte: Wie die Sozialisation von benachteiligten Mädchen und Frauen so unterstützt werden kann, „dass sie selbstsicher auftreten, mehr Mut und Stimme haben, damit sie ihre Ziele und Träume selbstbestimmt verwirklichen können“.
Sie habe auf ihrem weiteren Lebensweg feststellen müssen, dass es „strukturelle Machtverhältnisse gibt, die dazu führen, dass Rassismus und Diskriminierung reproduziert werden“, nach innen wie nach außen. „Und dagegen will ich vorgehen“, sagt sie.
So fand Rawanmehr unter anderem zur Münchener ver.di. Dort ist sie heute im Migrationausschuss engagiert, mit Kolleg_innen, die „die gleichen Erfahrungen gemacht haben, denen ich nichts erklären muss“. Ihre politische Agenda ist dabei durchaus grundsätzlich: Die Bevölkerung in Deutschland sei eben nicht nur weiß, der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund steige. Rawanmehr will erreichen, dass diese das Leben in Deutschland mitgestalten können – und zwar konkret. „Es geht nicht nur um Engagement“, sagt sie. „Wir wollen da sitzen, wo für uns Entscheidungen getroffen werden und repräsentativ mitsprechen.“ Machtinteressen stünden dahinter, dass Nicht-Weiße „permanent überall rausgehalten werden“, sagt Rawanmehr. „Solange das so ist, ist es keine Demokratie.“ Unter anderem will sie deshalb eine Quote für Migrant_innen in den Parlamenten.
„Wer in München Feminismus denkt und lebt, kommt an Nuschin kaum vorbei“, schreibt ein Online-Magazin über sie. Heute arbeitet Rawanmehr im Trambahnhäusl in München, leistet quartierbezogene Sozialarbeit in einem Stadtteil mit vielen Sozial-wohnungen. Dort gefällt es ihr besser. „Es ist ein Ort, der offen ist für viele Themen, da kann ich meine Vorstellungen umsetzen“, sagt sie.